„Berliner Zimmer“, der zweite Roman von Sepp Mall: Vatersuche, die Suche nach dem ewig Menschlichen
Erst als der Vater tot ist und das Ordnen seiner Hinterlassenschaft ansteht, lässt sich die Familie darauf ein, ihn besser kennen zu lernen. Was weiß sie vom Vater? Von seinem Glück und seinen Wunden? Von seinen Geschichten aus der Nazizeit, seinem Mädchen damals in Berlin? Johannes ist es, der sich bald nach Vaters Beerdigung nach Berlin aufmacht, er will sich vorstellen können, wie sein Vater „durch das untergehende Berlin des Zweiten Weltkriegs lief“.
Die Unsicherheit nach dem Verlust des Vaters und das plötzlich erwachte Interesse an dessen Lebensgeschichte sind die Triebfedern für die Vatersuche. Den Verstorbenen nun holt der Autor in „Berliner Zimmer“ (Haymon, 2012, 188 S.) als Fantasiegestalt, als Geist, ins Leben zurück, das Ineinandergreifen der Parallelwelten gestaltet er kunstvoll und feinfühlig. Mit sanfter Gewichtigkeit bannt er das Mysterium Tod: Es ist das Potential der Literatur, einen Toten zum Leben zu erwecken.
Johannes, der Ich-Erzähler, begegnet dem Vater im Berlin der letzten Kriegsjahre und im heutigen, dort in der Ferne kommt er ihm näher, Vater freilich beharrt auf sein Eigenleben und auf die Totenruhe. Ohne große Gesten, mit gefasster Stimme spricht der Erzähler, er entwirft Bilder mit feinen Nuancen, auf seiner Spurensuche rührt er an intime Formen, an Komplikationen und Berührungsängste. Er reflektiert die Auflösung von Gewissheiten, wagt Befreiungsschläge. Den verwickelten Text mischt der Autor dann und wann mit scherzenden Akzenten auf, im Besonderen aber ist seine lyrische Virtuosität spürbar, nicht erst auf den Seiten 129 und 130.
Von Vaters Situationen aus formt Mall die anderen Figuren, bringt die unterschiedlichen Standorte ins Spiel: Klara, die das Warten nicht aufgibt, Gregor in seiner oberflächlichen Haltung, Alma, die nachbohrt, wenn es um Großvater geht, Mutter, die in ihrer Demenz verschwindet und Angelina, die sich nach Vaters Ableben ein bisschen tröstende Leidenschaft zugesteht. Berliner Zimmer gibt es mehrere - Klaras halb zerbombtes Zimmer, das Krankenzimmer, die Hotelzimmer: zum Wohnen und Sterben, zum Schreiben und Lieben. Sepp Mall schreibt von dem, „was hinter einem liegt“, von Zimmern, die man „längst geräumt hat“. Die Türen dazu sind nicht zugeschlagen.
Claudia Theiner
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