In der Hochburg des Tourismus, vor den Toren der Bergwelt, ein Geist, ein Genius Loci oder die Erkenntnis, dass wir unsere eigene, ganzheitliche Baukultur nicht für Touristen opfern dürfen. Die ganze Welt hat den Mitterhofer verkannt, die Partschinser hingegen heben ihn heraus – doch nur im Namen des Tourismus: Das Verflixte an Partschins
Spätnachmittags, so gegen 17.00 Uhr, steige ich nach Partschins auf. Ich folge der heißen, schattenlosen Asphaltstraße. Was eine erholsame Wanderung wäre, wird zur Hölle in der späten Nachmittagshitze. Wie wohltuend wäre eine Allee! So klettere ich mühsam hinauf in eine kleine enge Dorflandschaft von ehemaligen Steigen, Wegen und Pfaden durchwirkt und miteinander verwoben.
Nicht überall konnte man die Straßen erweitern, Gott sei Dank! Es ist ruhig und still. An diesem Ort scheint ein besonderer „Geist“ zu wohnen, der seelisch wirksam ist und über das Schöne hinaushebt.
Das Mitterhofergefühl. Das Dorf ist bis über die Ohren zugeschildert mit „Mitterhoferplatz, Mitterhoferweg, Mitterhofermuseum, Mitterhoferschule.“ Man bekommt so etwas wie ein „Mitterhofergefühl.“ Es ist allgegenwärtig und man wird neugierig. Was machte ihn so wichtig für das Dorf, obwohl genug herrschaftlicher Geist sich auf den Hängen tummelte? Es gäbe zahlreiche andere historische Themen, mit denen man sich auseinandersetzen könnte: Mayereien und „Nobelhöfe“ sowie archaischer Handel und Verkehr, steinalte Wege mit seinen Markierungen, Auswüchsen und Zeichen, welche bis in das Dorf führen und einen ähnlichen Schilderwald verursachen könnten.
Wieso verwenden die Dorfbewohner das Haus M. nicht als Museum? Warum steht es leer und ungenutzt? Eine kleine Gasse, das Haus klebt am Berg, der Nussbaum und der Garten lindern die Hitze. Die Gasse mit den angrenzenden und gegenüberliegenden Häusern bildet einen Platz, man will verweilen, sich in den Garten setzen, einen Kaffee trinken. Man wünscht sich die Bewohner zurück, man wünscht sich Leben ins Haus, das einen umwirbt, umsorgt und von der Vergangenheit und von Mitterhofer erzählt. Man wünscht sich aber auch Leben in der Nachbarschaft. Die Stimmung an diesem Ort vermittelt das Schicksal, die Besessenheit und Ausdauer eines unverstandenen, einsamen Geistes, lebenslang um Verständnis ringend. Was bleibt? Ein vergessener, verkannter Erfinder, symbolisiert im verlassenen Haus mit Garten.
Die spezielle Lage dieses Dorfes, seine verlassenen, sich der Natur und dem Allgemeinwohl untergeordneten Häuser mit seinen alten Bäumen und Gärten und das Baumaterial Stein sind auch jetzt noch spürbar, welche meinen Geist zur Ruhe führen und in zeitloser Geborgenheit weiterspinnen lassen. Der Grund allein ist nicht in der Natur zu suchen, sondern in dem dicht verbundenen, zusammengebauten Dorfkern, welcher diese Stimmung verbreitet und wohltuende Spannung erzeugt. Der eigentliche Grund für dieses Heimatgefühl liegt vor allem in der demütigen Haltung dieser dicht beieinander stehenden Häuser, liegt im Bemühen um Anpassung, um ein sich Fügen. Diese Häuser stehen im Einklang und in Übereinstimmung mit anderen und ordnen sich dem Allgemeinwohl unter.
Es sind diese alten Gebäude, welche in jede Zeit passen und jeder architektonischen Mode überlegen sind. Diese „Klassiker“ erheben einen unvergänglichen Anspruch an die Zeit, an die Menschen und an den Glauben. Das alte Haus M. und seine Nachbarn vermitteln Beschaulichkeit und Teilnahmslosigkeit über eine Erfindung, welche die Welt veränderte. Es ist die Pause und die Erholung, die sich hier aufhält, weil alles untätig bleibt, und die Welt sich unbeirrt weiterdreht. Es ist der Friede und die Seelenruhe, die ich hier erhalte, weil etwas einmal nicht nach Plan gelaufen ist und man mir trotzdem oder gerade deshalb Erholung und Muse gönnt. Es ist das Beständige im Leben. Die alten Gebäude zeigen es mir, vermitteln Ruhe und strahlen Gelassenheit aus.
Der Mitterhoferkomplex
Die Dorfbewohner kleben an diesem Mitterhofer, das ist das Dorfproblem. Er überdeckt das eigentliche Problem und verhindert, dass sie ihren eigenen Geist entfalten. Doch ehrlich gesagt, was würden sie sonst tun? Sie müssten selbst ihre Größe in diesen alten Gebäuden erkennen und ihre eigenen Qualitäten leben. Sie müssten ihre neuen Häuser verlassen und die alten renovieren. Sie müssten ihr Dorf erhalten. Doch heute geht es nur mehr um Apfelbau und Tourismus. Was wollen diese Menschen einem Mitterhofer entgegnen, der etwas von der Welt hereingebracht hat - und dabei handelt es sich nicht um Geld? Er lebte für eine Idee. Eine, die Welt verändernde Idee.
Sie verkennen das ehemalige Mitterhofer Haus, leugnen es wie ihre eigenen Schwächen, die sie nicht anschauen wollen. Das leere Haus steht symbolisch für das Zerstören der eigenen Baukultur, das Verkennen der eigenen Werte. Dort wo man meint, diese alten „Hitten“ seien für unsere Touristen nicht interessant, da müssten andere Häuser, andere Vorbilder her, genau da sitzt die Kraft und dort wo man meint, das hätten die Touristen gerne, genau das suchen Touristen nicht. Das scheinbar Lästige und Störende wird gestrichen und ausradiert. Sie wollen es weder anschauen noch kennen, geschweige denn schätzen lernen. Wie leicht wäre es, die alten, halbverfallenen, noch bestehenden Gebäude zu restaurieren und damit die Mitterhofsche Stimmung als Impuls für Eigenes zu nutzen.
Wir haben alle so etwas „Mitterhofer-isches“
Früher gab es Leute, welche das Gespür für die Gemeinschaft, für das Bauen und ihre Baukultur besaßen. Jetzt gibt es nur mehr die Tourismuspaläste und Viersterne-Hotels und, nicht zu vergessen, die Masse an Einfamilienhäusern. Früher gab es Leute, welche noch in der Lage waren, ein ganzheitliches Dorf zu bauen, während heute mit großen Baggern und Kränen „Hütten“ entstehen, welche mit Sicherheitsabstand und Beziehungslosigkeit in ihrem eigenen Saft schmoren. Diese Bauten oder Hotels kommunizieren nicht miteinander, sie konkurrieren. Sie ersetzen ihre „Heimat “ mit scheinbar Gutem und Schönem - meist liegt das nur im technischen Komfort und in einer Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl. Während wir den angeblichen Forderungen der Touristen laufend entsprechen, verkaufen und verlieren wir unsere Kraft, unser Rückgrat. Wir haben alle etwas „Mitterhoferisches,“ wir müssen es nur erkennen und umsetzen.
Frieda B. Seissl, wirft den Blick einer Fremden auf den Vinschgau, vorher Projektleitung im Architektur Zentrum Wien und Lehrerin an einem Realgymnasium
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