Wolfgang Platter, am 17. Jänner, Namenstag des Hlg. Antonius Abt, Viehheiliger „Fackl Töni“- Kirchenpatron in Eyrs
In der ersten Zeitungsnummer dieses Jahres habe ich einige Überwinterungsstrategien von Wirbeltieren vorgestellt. Der heutige Beitrag ist einigen Überwinterungsstrategien der Blütenpflanzen im Gebirge oberhalb der Waldgrenze gewidmet. Auch die Pflanzen auf diesen Extremstandorten sind Spezialisten wie die Tiere, wobei die Pflanzen ortsgebunden sind und keine Ortswechsel in Winterquartiere vornehmen können wie die Tiere. Im Laufe der Evolution haben die Pflanzen morphologische und anatomische Anpassungen im Bau ihres Pflanzenköpers und physiologische Anpassungen in ihrem Stoffwechsel entwickelt, um den kalten und lebensfeindlichen Hochgebirgswinter zu überstehen.
Extreme Standortbedingungen
An ihren jeweiligen Wuchsstandorten müssen die Hochgebirgspflanzen teilweise extremen Wachstumsbedingungen trotzen. Sie leben an der Grenze. Als Grenzgänger mit den Fähigkeiten von Überlebenskünstlern. Das Hochgebirge bringt klimatische und meteorologische Extreme mit sich:
• Mit zunehmender Meereshöhe nehmen der Luftdruck und die Lufttemperatur ab, die Windstärke und Windhäufigkeit sowie die Strahlungsintensität zu;
• die Lufttemperaturen sinken im Winter auf Temperaturen bis -30°C;
• der Boden friert an vielen Standorten tief durch und der Bodenfrost bleibt über viele Monate erhalten. Eis als fester Aggregatzustand des Wassers ist für die Pflanzenwurzel nicht verwertbar;
• die Gesamtstrahlung ist hoch, wobei der Anteil des ultravioletten Lichtes an der Strahlung höher ist als im Tiefland. UV-Licht wirkt zellteilungs- und damit wachstumshemmend und austrocknend;
• die Winde erreichen hohe Geschwindigkeiten und erhöhen die austrocknende Wirkung der intensiven Sonneneinstrahlung, wobei das durch Verdunstung aus den Pflanzenkörpern abgegebene Wasser nicht über die Wurzeln ergänzt werden kann, wenn Eis statt Wasser im Boden lagert;
• die Vegetationszeit ist im Hochgebirge gegenüber dem Tiefland deutlich verkürzt. Hinzu kommt das das Pflanzenwachstum auch während der kurzen sommerlichen Wachstumsperiode durch plötzliche Schlechtwettereinbrüche im Gebirge verlangsamt oder ganz gestoppt werden kann.
Das Mikroklima
Im baumfreien Hochgebirge wirken sich die Ausformung und die Struktur des Geländes sehr direkt und als auslesender Standortfaktor aus: Das kleinräumig wechselnde Mik-roklima, das wenige Zentimeter bis einige Dezimeter knapp über dem Boden herrscht, wird bestimmend für die Standortwahl und für das Überleben der verschiedenen Pflanzenarten. Aus dem makroskopischen Landschaftsbild, das sich etwa nach einem Neuschneefall bietet, dem starke Höhenwinde folgen, kann man schon aus der weiten Entfernung der Talsohle die unterschiedlichen Standortbedingungen erkennen zwischen windaperem Grat und schneeverfüllter Mulde erkennen.
Windgrat und Schneetälchen
Innerhalb von wenigen Metern horizontaler Distanz kann im Hochgebirge ein sehr verschiedenes Kleinklima herrschen. Dieser Wechsel des Mikroklimas innerhalb eines engen Raumes bestimmt sehr wesentlich die Pflanzendecke: Auf dem windaperen Grat sind die pflanzlichen Besiedler beispielsweise extremen Windverhältnissen, wechselnden Strahlungsextremen zwischen Sonnenstunden und Nebel sowie täglich großen Temperaturschwankungen zwischen Tag- und Nachtstunden oder saisonal zwischen sommerlichen Schönwettertagen und winterlichen Schlechtwettertagen ausgesetzt. Die Pflanzen haben oft nur kurze Zeitabschnitte für die Stoffproduktion in der Fotosynthese zur Verfügung und ihre Körper riskieren im Winter den Austrocknungstod durch Frosttrocknis, wenn die austrocknende Wirkung von Wind und Sonneneinstrahlung sich summieren: Bei gefrorenem Boden kann das durch Verdunstung über den Pflanzenkörper verlorene Wasser aus dem Bodeneis nicht ergänzt werden. Ab einem bestimmten Mindestwassergehalt wird diese Austrocknung für die jeweilige Pflanzenart lebensbedrohlich. Die Pflanze stirbt nicht den Kälte-, sondern den Dürretod.
Gämsheide am Windgrat
Ein extremer Spezialist des windaperen Grates ist die Alpenazalee oder Gämsheide (Loiseleuria procumbens). Als verholzender Spalierstrauch bildet sie Kriechsprosse und drückt sich engstens an den Boden an. Der Pflanzenkörper ragt nur wenige Zentimeter über die Bodenoberfläche. Für ihr Überleben nutzt diese Pflanzenart die wärmendspeichernde Wirkung der dunklen Humuserde und der Steinsplitter an ihrem Standort. Die verdunstungsgefährdeten Blätter sind auf winzige, oberseits ledrige Rollblättchen reduziert. Die nach unten gekrümmten Rollblättchen haben zudem Spaltöffnungen für den Austausch der Fotosynthese- und Atemgase nur an der sonnenabgewendeten Blattunterseite: Nur so kann der Gaswechsel zwischen Kohlendioxyd, Wasserdampf und Sauerstoff stattfinden, ohne das Leben durch Austrocknung zu riskieren. In der feuchten, winzigen Innenkammer der Blattunterseiten kann Kohlendioxyd aus der Luft aufgenommen werden, ohne über Gebühr Wasserdampf aus dem Pflanzenkörper durch häufigen Wind und intensive Ultraviolettstrahlung zu verlieren. Die Gämsheide ist ein exzellentes Beispiel für das Leben an der Grenze: Spezialisierung in Morphologie, Anatomie und Physiologie und Rückzug auf den Nischenlebensraum Windgrat schaffen den Konkurrenzvorteil gegenüber anderen Pflanzenarten des Hochgebirges, um an diesem Extremstandort zu überleben.
Eisglöckchen im Schneetälchen
Ganz anders als am Windgrat sind die Standortbedingungen unter dem Schnee wenige Metern daneben im sogenannten Schneetälchen: Monate lange Schneebedeckung, absolute Dunkelheit auch bei Tag und damit Erliegen der Fotosynthese, geringe Temperaturschwankungen zwischen Sonnenstunden tagsüber und den Nachtstunden, aber auch spätes Ausapern und stark verkürzte Vegetationszeit. Pflanzen im Schneetälchen wie beispielsweise die Almrose nutzen die isolierende Wirkung der langen Schneebedeckung, um in ihren oberflächlichen Pflanzenteilen mit immergrünen Blättern nicht zu erfrieren. Eine weitere Überlebensstrategie besteht auch darin, im Herbst die oberirdischen Pflanzenteile einzuziehen und nur mit unterirdischen Organen im Schutz der Schneedecke zu überleben. Die verkürzte Vegetationszeit im an sich sehr kurzen und unausgeprägten Frühling des Hochgebirges müssen diese Pflanzenarten dann durch ein explosionsartig schnelles Wachsen ausgleichen, um in der kurzen nutzbaren Zeit zu blühen und zu fruchten und den Erhalt der Art zu sichern. Ein Beispiel für die Nutzung der kälteisolierenden Wirkung des Schnees im Schneetälchen und für die Anpassung an die durch spätes Ausapern verkürzte Vegetationszeit in der heimischen Gebirgsflora ist das Eisglöckchen oder die Soldanelle (Soldanella spec.).
Ausstellung „Leben an der Grenze“
im Nationalparkhaus naturatrafoi
Über weitere interessante Anpassungen von Pflanzen und Tieren an den Lebensraum Hochgebirge können Sie sich in der Dauerausstellung im Nationalparkhaus naturatrafoi in Trafoi erkundigen. Die Dauerausstellung und der Katalog zur Ausstellung sind dem Thema „Leben an der Grenze“ gewidmet.
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