Tschengls - Im Gedenken an die zweite der beiden großen Brandkatastrophen beging die Freiwillige Feuerwehr von Tschengls eine Feier am Goaßplatz. Berührt von dem, was die Vorfahren erlitten und gemeistert hatten, nahm eine große Zahl an Dorfbewohner:innen und Gästen daran teil.
von Maria Raffeiner
18. April 1924
Der Wiederaufbau nach dem ersten Dorfbrand von 1885 war in Tschengls gerade erst abgeschlossen, als am Karfreitag des Jahres 1924 erneut Feuer ausbrach. Einem Bauern war im Stadel beim Herrichten des Futters ein Missgeschick passiert, das schreckliche Folgen hatte. Als hätten die Feuerwehrleute und Kommandant Ignaz Kobler damit nicht schon alle Hände voll zu tun gehabt, wehte auch noch ein starker, grimmig kalter Oberwind. Es gelang mithilfe der 13 Feuerwehren, die zu Fuß und auf Pferden anrückten, das Feuer einigermaßen einzugrenzen. Doch ein Drittel des Dorfes wurde zerstört, darunter Dach und Turm der Pfarrkirche. Zwölf Familien wurden obdachlos. Während einige Tiere in den Ställen verendeten, überlebten alle Menschen die Tragödie. Pfarrer Michael Leitner (1886-1973) übernahm die Führungsrolle im Wiederaufbau und organisierte -auch dank seiner Italienischkenntnisse- Geldmittel und einen „Notausschuss“. Den Obdachlosen wurden vorübergehende Bleiben zugewiesen, in „Robotschichten“ machte man sich an den Wiederaufbau der Brandruinen. Um Spenden zu sammeln, besorgte der Pfarrer eine Genehmigung. Zusammen mit den Kuraten von Eyrs und Tanas und unterstützt von der Lehrerin Antonia Peer klapperte er das Land ab. Seinem sozialen Gespür folgend, stellte er beim Wiederaufbau die Privathäuser und Stadel vor die Reparaturen an Kirche und Kirchturm. Obwohl alle versichert waren, blieben die Auszahlungssummen gering. Widerstand blieb zwecklos. So rafften sich die Tschenglser:innen wieder einmal auf, bauten Stadel und deckten die Häuser neu ein. Nicht mehr errichtet wurde das Gemeindehaus, da die Gemeinde Tschengls von den Faschisten aufgelöst wurde. Am auffälligsten war die Veränderung am neu errichteten Kirchturm. Laut faschistischer Diktion gab es für einen gotischen Turm im „stile tedesco“ keine finanzielle Unterstützung. Pfarrer Leitner suchte nach einem Kompromiss und schlug einen Turmknopf unterhalb der Spitze vor. So ist es gekommen und bis heute sichtbar.
18. April 2024
Hundert Jahre später und in etwa um dieselbe Zeit treffen an jenem Goaßplotz, wo 1924 die Flammen wüteten, Feuerwehrleute ein. Auf Einladung der FF Tschengls und von Kommandanten Florian Peer, nehmen Abordnungen der Feuerwehren Eyrs, Tanas, Laas, Prad, Schluderns, Lichtenberg, Glurns, Laatsch, Schleis, Stilfs, Kortsch, Mals, Göflan und Schlanders an der Gedenkfeier teil. Ihre Wehren hatten vor 100 Jahren Hilfe bei den Löscharbeiten geleistet. Peer eröffnet die Feier und spricht den Unterstützern der Gedenkfeier sowie mitgestaltenden Vereinen Dank aus. Es ist windig und kühl, fast so wie vor hundert Jahren. Herbert Raffeiner berichtet auf der Grundlage von historischen Quellen sowie Zeitungsnotizen, wie sich der Dorfbrand ausgebreitet hat und auf welche dörflichen und staatlichen Umstände die Katastrophe traf. Historische Bilder vor und nach dem Dorfbrand veranschaulichen die Geschichte, die zwar gut dokumentiert ist, mit der man sich im Dorf aber schon länger nicht mehr auseinandergesetzt hat. Feuer bedeutet Trauma für Tschengls, die Zuhörer:innen hören gebannt zu. Dann spielt die Heimatbühne das Geschehen von damals nach, Geschichte wird zum Greifen nah, daraus entwickelt sich Entsetzen. Rote Scheinwerfer tauchen nach und nach den Ortskern in rotes Licht. Beleuchtet sind jene Häuser, die damals in Flammen standen. Von der Musikkapelle mit dramatischen Klängen begleitet, geht das szenische Spiel in eine Schauübung über. Die 1888 angekaufte Feuerwehrspritze stand 1924 im Einsatz, nun wird sie von Wehrmännern außer Dienst herbeigebracht. Wie damals kommt es zu Komplikationen, da das Wasser ausbleibt. In der zweiten Szene, die die Heimatbühne mit Regisseur Martin Spechtenhauser erarbeitet hat, tritt Pfarrer Leitner auf. Er berät mit dem Kommandanten Kobler und einem Bauern über die Aufbaupläne. Viel anerkennender Applaus belohnt die Inszenierung. Damit das Ereignis vor hundert Jahren weiterhin im kollektiven Gedächtnis des Dorfes bleibt, enthüllt die Feuerwehr eine Gedenktafel. Entworfen von Alexander Januth und gegossen von der Glockengießerei Grassmayr in Innsbruck, die auch die Feuerwehrspritze angefertigt hatte, verweist sie auf die Brandstätten, wie es sie vor hundert Jahren gab. Bald soll sie einen würdigen Platz im Dorf erhalten. Anschließend zieht Bürgermeisterin Verena Tröger wörtlich ihren Hut vor der Gedenkfeier und den Feuerwehrleuten, so sehr habe sie die Rückschau beeindruckt. Roman Horrer, Präsident des Feuerwehrbezirks Untervinschgau, zu dem auch die FF Tschengls gehört, ruft in seinen Grußworten die Wichtigkeit von Zusammenhalt und Zusammenschau unter den Feuerwehren in Erinnerung. Nach der Feier bleibt es bei Erdäpfelriebl und Brennsuppe stilecht und bei Gesprächen andächtig. Eine bewegende Geschichtsstunde für die Tschenglser:innen und Gäste geht dem Ende zu.