Aus dem Gerichtssaal - „Meglio un’ora di giustizia che sette anni di preghiere“. Diese italienische Volksweisheit, wonach eine Stunde Gerechtigkeit sieben Jahren Gebet vorzuziehen ist, könnte Lothar Burger und seinen Mitangeklagten vom Bonifizierungskonsortium Vinschgau in den Sinn gekommen sein, als das Landesgericht Bozen sie unlängst von der Anklage freisprach, durch Fahrlässigkeit das Zugunglück vom 12. April 2010 auf der Latschander verschuldet zu haben, bei dem es 9 Tote und 27 Verletzte gegeben hatte. Über fünf Jahre lang wurden sie zwischen den Mühlsteinen der Justiz zerrieben. Manche Vorverurteilungen mussten sie über sich ergehen lassen. Die schlimmste davon dürfte wohl die gewesen sein, als sie im Tagblatt der „christlichen Brüder“ lesen konnten, dass sie es wegen ersparter mickriger 12 Euro an der nötigen Wartung hätten fehlen lassen! Doch nun hat ihre Leidensgeschichte ein Ende gefunden. Das Gericht hatte noch ein zusätzliches Gutachten in Auftrag gegeben und damit den Trentiner Fachmann für Metallurgie, Alberto Molinari, beauftragt. Dieser untersuchte neuerlich das Gewinde des Ventildeckels an der Beregnungsleitung und kam zum Schluss, dass ein Haarriss im Ventil zum Wasseraustritt geführt hatte. Dieser Riss war jedoch von außen nicht sichtbar und hätte nur mit einem Mikroskop erkannt werden können. Damit konnte auch der Staatsanwalt die Anklage, welche von unterlassener Wartung der Beregnungsleitung ausgegangen war, nicht mehr aufrechterhalten. Er musste menschliches Versagen ausschließen, das Walten eines unglücklichen Zufalls anerkennen und auf Freispruch plädieren. Das Gericht schloss sich seinen Anträgen an. Die Entscheidung dürfte ihm wohl auch dadurch erleichtert worden sein, dass in der Zwischenzeit die Ansprüche aller Geschädigten befriedigt worden waren: 13,5 Millionen Euro waren dafür „geflossen“, der Großteil davon wurde von den Versicherungen aufgebracht, „lediglich“ für 1,7 Millionen musste das Bonifizierungskonsortium Vinschgau bzw. dessen Mitglieder aufkommen. Auch dieser Fall zeigt, dass Schuld und Unschuld oft nur um Haarrissbreite voneinander geschieden sind, weshalb gerade die Medien von Vorverurteilungen absehen und die Bevölkerung auf die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung hinweisen sollten.
Peter Tappeiner
Rechtsanwalt
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