Aus dem Gerichtssaal - Aus aktuellem Anlass wollen wir uns mit dem letzten Lawinenabgang auf die Talabfahrt der Schnalstaler Gletscherbahn befassen. Das angekündigte Thema der aufgelassenen Gerichtsstandorte kann warten. Da ist also nach Weihnachten eine Lawine großen Ausmaßes auf die Piste niedergegangen, die von der Grawand zur Talstation führt. Die tragische Bilanz: 3 Tote und mehrere Verletzte. Die Nachricht von dem Unglück ging durch alle Medien, das Echo war entsprechend. Und die immer wiederkehrende Frage lautet: Wie konnte es passieren, dass auf eine als sicher geltende Piste eine Lawine niedergehen konnte. Das fragt sich auch der Staatsanwalt beim Landesgericht in Bozen, der ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Verantwortliche der Seilbahngesellschaft eingeleitet hat und zu diesem Zwecke die Piste kurzfristig beschlagnahmte. Nun können diese Erhebungen für die Klärung der Ursachen des Lawinenabgangs sicher hilfreich sein. Auch dürften sie durchaus auch im Interesse der Seilbahnbetreiber sein, um damit etwaige Haftungsfragen im Umgang mit der Versicherung zu klären. Denn ich könnte mir vorstellen, dass die Schnalstaler Gletscherbahnen eine Versicherung abgeschlossen haben, welche auch für Unfälle Deckung vorsieht, die auf höhere Gewalt zurückzuführen sind. Strafrechtlich scheint mir der tragische Unfall jedoch nichts „herzugeben“. Denn die Berge und die freie Natur lassen sich schwer in juristische Formeln pressen. Wie hat doch der Schweizer Lawinenpapst Werner Munter die Berechenbarkeit von Lawinenabgängen beschrieben? Lawinen gehen dort ab, wo sie immer abgegangen sind, dann gehen sie dort ab, wo sie öfters abgegangen sind und schließlich dort, wo nie welche abgegangen sind! Und bei der auf die Piste im Schnalstal scheint es sich um eine der letztgenannten Art gehandelt zu haben. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortung wegen fahrlässiger Tötung ist jedoch die
„V o r a u s s e h b a r k e i t des Erfolgs“, und die scheint mir auszuschließen zu sein.
Doch wenn wir uns in diesem Zusammenhang an den Fall des Kuno Kaserer aus Partschins erinnern, dann kommen Zweifel an der Allgemeingültigkeit obiger Aussage. Kaserer hat vor gut 10 Jahren, indem er im freien Gelände von der Grawand abfuhr, eine Lawine ausgelöst, welche auf der Piste landete. Sein spontanes Erscheinen am Ort des Geschehens wurde ihm in der Weise „belohnt“, dass er kurzerhand in U-Haft genommen und wegen fahrlässiger Auslösung einer Lawine angeklagt wurde. Der vom Gericht beauftragte Gutachter hatte ihm attestiert, dass der Abgang der Lawine nicht vorhersehbar gewesen war, was zu seinem Freispruch in der 1. Instanz führte. Wissen Sie, mit welcher Begründung er in der Berufung verurteilt wurde? Weil er das rostige Schild an der Bergstation nicht beachtet hatte, das dort von November bis Mai steht und auf dem geschrieben ist: „Achtung, Lawinengefahr!“
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it