Natur & Landschaft: Mobilität neu denken und organisieren - Die Abkehr vom individuellen Autoverkehr

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Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Katharina von Alexandrien, 25. November 2024

In Südtirol stammen 44 % der Treib-hausgase aus dem Verkehr von Fahrzeugen mit Verbrenner-Motoren. Mit 1.087 Autos auf 1.000 Einwohner hat die Region Trentino Südtirol mit Aosta den höchsten Motorisierungsgrad von ganz Italien.
Die Verfasser des Klimaberichtes IPCC nehmen an, dass weltweit 20% aller klimarelevanten Entwicklungen eine Folge unseres aktuellen Mobilitätsverhaltens als Menschen sind.
Die Südtiroler Techniker Markus Lobis und Philipp Kleewein sind Gründer der Gesellschaft kylos und beschäftigen sich mit ökosozialer Transformation. Im Buch „Klimaland Südtirol? Regionale Wege zu einem konsequentem Klimaschutz“, herausgegeben von Thomas Benedikter im Verlag aracedizioni (2022), haben Lobis und Kleewein den Beitrag „Mobil sein unter neuen Prämissen – Die Herasusforderungen der Zeit“ veröffentlicht. Die Kernaussagen daraus fasse ich hier zusammen, weil sie bedeutsame Denkanstöße für die zukunftsorientierte Entwicklung unserer Dörfer und Wohnumgebungen beinhalten.

Was ist Mobilität?
Die Mobilität ist ein überall auftretendes Grundbedürfnis aller Menschen. Dieses Bedürfnis nach Mobilität kann unterschiedlicher Natur sein: Versorgung mit Erzeugnissen und Materialien verschiedenster Art, deren Entsorgung, das Studium, die Arbeit, Erwerbszecke, sozialer Austausch, AdobeStock 326960264kulturelle Bedürfnisse, Erholung, Gesundheitspflege.
Mobilität kann man messen. Aber Mobilität wird nicht in Kilometern gemessen. Die Maßeinheit für die Bewertung der Mobilität ist der Grad der Zufriedenheit über den Zweck der Mobilität. Wenn eine Person X zu Fuß in ein 300 Meter entferntes Lebensmittelgeschäft geht, um dort seine Nahrungsbasis einzukaufen, ist der Mobilitätszweck erfüllt. Der betreffende Mensch ist mobil, die Lebensmittel sind im Wohnumfeld erhältlich. Die zweite Person Y, die 12 km mit dem Auto fährt, um denselben Zweck, den Einkauf von Lebensmitteln, zu erfüllen, ist keinesfalls mobiler als die erste Person X.

Mobilität wächst nicht
Bei jeder Eröffnung eines neuen Straßenabschnittes hören wir immer unter den Angaben auch dessen Baukosten. Dabei werden bisweilen sehr hohe Investitionen in Straßen und Transportstrukturen mit „wachsender“ Mobilität begründet. Aber die Mobilität wächst nicht. Was wächst, ist der Verkehr. Der Verkehr ist die physische Ausprägung von Mobilität. Verkehr nehmen wir derzeit vor allem in Form eines überbordenden Straßenverkehrs und eines absolut irrationalen und hoch subventionierten Flugverkehrs wahr. Auto und Flugzeug behindern die Entwicklung bodengebundener und nachhaltigerer Verkehrsmittel wie Eisenbahn. Um die explosionsartige Entwicklung des Güterverkehrs zu erkennen, braucht man nur auf die Brennerautobahn zu schauen, auf der werktags die Normalspur von einer Endlosschlange von Fernlastern über viele Kilometer durchgehend besetzt ist. Die Nichtberücksichtigung des Prinzips der Kostenwahrheit ist einer der Gründe für die umwelt- und klimabelastende Entwicklung.
Aktuelle Studien stellen die finanzielle Belastung von Entscheidungen für bestimmte Infrastrukturen in ein neues Licht. So ist, nach Lobis und Kleewein, davon auszugehen, dass jeder Auto-Kilometer der Allgemeinheit rund 80 Eurocent zu den angelasteten Kosten kostet. Ein Kilometer, der mit dem Rad zurückgelegt wird, stifte dagegen der Allgemeinheit einen Nutzen in Höhe von ca. 30 Eurocent.

Der Siegeszug des Autos
Der Siegeszug des Autos in den letzten 150 Jahren der Nutzung von Erdöl als fossilen Energieträger ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Aber heute sehen wir, dass uns diese Erfolgsgeschichte AdobeStock 909019237auf die Füße fällt. Die von der Politik geförderten Interessen der Ölwirtschaft und der Automobilindustrie haben massive Auswirkungen auf unser Mobilitätsverhalten, unsere Alltagskultur und vor allem auf unsere Infrastrukturen und das Gesicht der Städte, Orte und Landschaften.
Auf der Weltklimakonferenz COP 29 von Baku darf der aserbaidschanische Staatspräsident Aliyev das Erdöl “Segen Gottes“ nennen, weil es das Hauptexportprodukt seines Landes ist! Klimawandel hin oder her.
Derweil erweist sich der energetisch und ökologisch unverantwortliche Weg des „autonomen Autofahrens“ als Irrweg. Zu viele von uns verehren den 23 Stunden-Herumsteher götzenhaft: Emotion, Tempo, Jagdinstinkt, aggressives Verhalten, der Kitzel des Risikos beim aufbrüllenden Achtzylinder, Statussymbol.
Das auf das Privatauto aufbauende Mobilitätssystem ist hochgradig irrational und klimaschädigend, aber auch gefährlich: Weltweit fallen jährlich 1,2 Millionen Menschen dem motorisierten Autoverkehr zum Opfer und rund 5 Millionen Menschen werden schwer verletzt.

Le Corbusier und Carlos Moreno
Mit der „Charta von Athen“ wurde 1933 die Verabsolutierung des Automobils als Haupt-Mobilitätsträger in den Planungsprämissen des aktuellen Entwicklungsstandes von Städtebau verankert. Die Charta postulierte die Trennung der Ortsräume nach raumfunktionalen Gesichtspunkten, einfach gesagt nach Zonen: Wohnen, Arbeiten, Produktion, Freizeitgestaltung. Die theoretischen Überlegungen von Städteplanern und Architekten rund um Le Corbusier (1887-1965) führten nach dem Zweiten Weltkrieg zur Ausbildung der autogerechten Stadt. Die räumlich getrennten Nutzungseinheiten wurden durch Straßen und Autobahnen miteinander verbunden.
Die Energiekrisen anfangs der 1970er und 1980er Jahre brachten ein Umdenken in der Raumplanung. Zukunftsorientierte Köpfe in der Städteplanung hinterfragten die zentrale Rolle des motorisierten Autoverkehrs (MA) und widmeten sich der Konzeption von menschenzentrierten Ortsräumen. Die radikalste Ausprägung der gezielten Aufwertung von Ortsräumen für aktivmobile Menschen und der daraus folgenden Abwendung vom Automobil drückt sich im Konzept der 15-Minuten-Stadt aus, das hauptsächlich von Professor Carlos Moreno (geb. 1959, Professor an der Universität Paris I Sorbonne) entwickelt wurde. Der Städtebauexperte Moreno stellt die Alltagsbedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt und fordert, Städte zu schaffen, in denen die Menschen den Großteil ihrer Ziele und Zwecke, die sie aus dem Wohnumfeld führen, zu Fuß und in einem Zeitraum von maximal 15 Minuten erreichen bzw. erledigen können.
Kaum in einer Rede oder Wortmeldung von Politikern von der lokalen bis zur globalen Ebene fehlt heute der Begriff „Nachhaltigkeit“ als Ziel allen Strebens und Entscheidens. Aber Anspruch und Realität klaffen allzu oft und vielerorts weit auseinander.
In meinem nächsten Zeitungsbeitrag in der letzten Ausgabe des heurigen Jahres möchte ich mit den Überlegungen von Markus Lobis und Philipp Kleewein die größere Nachhaltigkeit der Mobilität in unserem Land Südtirol etwas ausleuchten. Gleichsam als Wunschzettel an das Christkind.

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