Nachgedacht - In diesen Tagen sind nicht nur unsere Kirchen wieder weihnachtlich zurecht gemacht. Für alle Beteiligten ist dies eine intensive Zeit der Vorbereitung, für die Liturgen, die Musizierenden und ganz besonders die Pfarreiverantwortlichen und MesnerInnen, zeichnen sie doch oft für den Kirchenraum massgeblich verantwortlich. Unverzichtbar gehört eine Krippe dazu! In der Tat sind Krippen Anziehungspunkt zahlreicher Menschen. Seit Jahrhunderten beschäftigen sich grosse Künstler und Künstlerinnen mit der Fertigung und Gestaltung von Krippen in unerschöpflicher Vielfalt. Auch bei uns gibt es eine Fülle herrlich gestalteter Krippen. Nicht nur für Kinder ein tief ergreifendes Schauspiel, welches das Staunen unwillkürlich animiert! Warum eigentlich?
1. Ich steh an deiner Krippe hier,
O Jesu, du mein Leben.
Ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und lass dir’s wohlgefallen.
Ich bin davon überzeugt, dass auch die betrachtende Person in diesem Weihnachtlied von tiefem Staunen erfüllt ist. Paul Gerhardt (1607-1676) hat den Text verfasst, der 15 Strophen umfasst, deren vier sich in unserem Gotteslob unter der Nummer 256 befinden. Die Melodie stammt von Johann Sebastian Bach (1685-1750) und es ist damit der einzige Gesang des grossen Komponisten in unserem Gesangbuch.
2. Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren
und hast mich dir zu Eigen gar,
eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.
Die staunend anbetende Person vor der Krippe berichtet von einer innigen Beziehung mit dem Jesuskind, eine Beziehung, die es schon gab, als der Mensch noch nicht geboren war. Und noch mehr: Jesus erwählt uns Menschen schon seit Urzeiten. Gottes Plan ist, Beziehung zu uns aufzubauen. Gott, der nichts anderes ist, als die Liebe selbst, will den Menschen um jeden Preis auf der Seite der Liebenden wissen.
3. Ich lag in tiefster Todesnacht,
du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht’,
wie schön sind deine Strahlen!
Ein ungewöhnlicher Text für ein Weihnachtslied, weswegen es so selten, oder nur unter Vermeidung dieser Strophe zum Einsatz kommt. Der betrachtende Mensch vor der Krippe blickt auf seine eigene Sterbestunde zurück. Ganz ehrlich: welcher Tod ist schon «einfach»? Gar keiner! Was für eine Perspektive, dass im Betrachten und Staunen der Krippe auch die Stunde des Todes durch die Sonne, den leuchtenden Christus, ihre bedrohliche Fratze verliert!
4. Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen!
Egal, welche Krippe wir in der jetzigen Zeit betrachten, ob in der näheren Umgebung oder in der Ferne: Mögen wir das Staunen des Betrachtenden Menschen im Lied genauso erfahren, mögen wir eine Zeit lang anbetend stehen bleiben, um dann aber weiterzugehen und dieses Licht der Krippe in eine vielfach verdunkelte Welt tragen. Genau das ist unser Auftrag und unsere Berufung.
Don Mario Pinggera