Zum 85. Geburtstag von Schriftsteller Joseph Zoderer
von Maria Raffeiner
Der Autor Joseph Zoderer feiert am 25. November seinen Geburtstag. 1935 in Meran geboren, wuchs er in Graz als Kind von Optanten auf. In der Erzählung „Wir gingen“ (2004) blickt er darauf zurück: „Warum aber fuhren wir überhaupt weg von dieser Geburtsheimat, warum flüchteten wir aus einem Land, wohin schon seit Jahrzehnten die Fremden aus aller Welt zu ihrem Vergnügen hinreisten?“
Als die Familie nach Südtirol rücksiedelte, verbrachte Zoderer Schuljahre in der Schweiz. Die Matura legte er dann in Bozen ab, worauf er zum Studium nach Wien zog. Nachdem er sich in verschiedenen Richtungen versucht hatte, schlug er den Weg als Journalist ein. Ab Ende der 1950er Jahre veröffentlichte er Gedichte und Kurzprosa, in den 60er Jahren verstärkte er seine literarische Tätigkeit. Prägend dürften auch Reisen in die USA, nach Kanada und Mexiko gewesen sein.
1974 eröffnet er mit dem Lyrikband „s maul auf der erd oder dreckknuidelen kliabn“ seine beachtliche Reihe an Publikationen verschiedenster Gattungen. Der zornig-kräftige Grundton seiner Gedichte erinnert noch an das mühsame Aufbrechen der literarischen Tradition in Südtirol. An diesem Prozess war Zoderer stark beteiligt, neben dem Revoluzzer n.c.kaser und anderen Schreibenden. Unter ihnen waren wenige Vinschger Vertreter (und noch weniger Frauen), Roland Kristanell aus Naturns und Norbert Florineth aus Laas mischten im Diskurs mit. Sie entledigten sich des traditionalistischen, unkritischen Heimatstils.
trogsch mei liaber
dein kepfl zu hoach
homms mir gsog
heint aber sog i allm nou
zu nieder honn is getrogn
alle gmochtn buggl
spier i in kreiz
In: Joseph Zoderer: s maul auf der erd oder dreckknuidelen kliabn. Edition Raetia, Bozen 2001, S. 11 (Erstausgabe: 1974).
Mit diesem Sturm kamen neue Sujets in die Texte. Und Zoderer ist einer der Mutigen, der unberührte Thematiken literarisch verarbeitete. Sein Debütroman „Das Glück beim Händewaschen“ (1976) spielt in der streng religiösen Welt eines Schweizer Internats. „Alles woran ich mich erinnere, ist kalt, auch wenn einiges schön war, woran ich mich erinnere.“ Als Staatenloser mit anderem Deutsch fügt der Erzähler, die „Anpassungskanone“, sich ein. Von Italien weiß der Bub nichts, wie soll er dort sein Zuhause verorten? „Jetzt fahre ich dorthin, dachte ich, wo ich geboren bin. Ich versuchte an all das zu denken, was der Vater von jenem Land erzählt, wie oft er davon gesprochen hatte, daß er nichts wie zurück wolle.“ Doch die fremde, neue Heimat ist nicht auszuhalten. Er will fort, zurück in die wohlige Ruhe des Internats und näher hin zum Nachbarsmädchen, das in ihm Gefühle weckt. Das Debüt wurde international besprochen, 1982 erschien auch ein Spielfilm.
Klassische Themen wie Ausgrenzung und Identitätssuche modellieren auch Zoderers bekannten Roman „Die Walsche“ (1982), in dem er das Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol zum Thema machte. Olga zieht aus einem Bergdorf in die Stadt, wo sie mit Silvano in wilder Ehe lebt. Zur Beerdigung ihres Vaters kehrt sie ins Dorf zurück und muss erkennen, dass sie nicht mehr dazugehört. Sie ist ein Fremdkörper, der engstirnige Konventionen gebrochen hat. Doch auch den Italienern ist sie keine von ihnen. Der Autor entlarvt festgefahrene Sichtweisen und lotet aus, was in Menschen vor sich geht, wenn sie fortgehen, neu an- oder zurückkommen. „Die Walsche“ könnte man als seinen literarischen Durchbruch bezeichnen. Der Roman wurde zahlreich übersetzt, verfilmt (Dreharbeiten in Matsch!), für die Bühne und als Hörspiel bearbeitet und hat wohl nichts an Aktualität eingebüßt.
In den frühen 80ern gab Zoderer seine Arbeit als Rundfunkredakteur auf und wurde zum freien Schriftsteller. Seine Werke sind vielschichtiger, als dass sie auf Autobiographisches, das unmittelbar mit der Geschichte Südtirols zusammenhängt, reduziert werden könnten. Einige seiner Romane erschienen im renommierten Hanser Verlag. Sie spielen in den USA, in Mexiko, auf Sizilien, erzählen von aufreibender Suche nach Nähe und immer wieder vom Aufbruch, auch in Beziehungen. Zoderer mag aber auch kleinere Formen, wie gar einige Erzähl- und Lyrikbände beweisen.
Sag es nicht
und such es auch nicht
in den Augen der anderen
Die Steine hören deine Stimme
sag es auch ihnen nicht
In: Joseph Zoderer: Die Erfindung der Sehnsucht. Gedichte. Haymon, Innsbruck 2017, S. 45.
Sein Schreiben wurde mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet. Außerdem erstand das Land Südtirol schon vor einiger Zeit seinen Vorlass (Manuskripte – Zoderer schreibt alles von Hand!, Briefe, Dokumente), was eher selten ist. Viele seiner Publikationen wurden vom Haymon Verlag seit 2015 neu aufgelegt und vom Brenner-Archiv mit Materialien aus dem Vorlass ergänzt. Sie finden seine Werke in jeder Buchhandlung und Bibliothek, denn Joseph Zoderer hat es geschafft, die konstanteste und bekannteste Stimme der Gegenwartsliteratur aus unserem Land zu werden, weit über Landes- und Sprachgrenzen hinaus. Er lebt im Pustertal.
Rezension
Herzschwäche
Der jüngste Roman „Der Irrtum des Glücks“ kam 2019 bei Haymon heraus. Zoderer lässt einen neuen Ton anklingen und wagt sich an eine besondere Form: Ein Erzähler berichtet in einem kurzen Prolog von seinem Jugendfreund. Nach dessen plötzlichem Tod findet er bei ihm eine Mappe voller Schriftstücke, die ihn so berühren, dass er sie veröffentlicht. In der Fiktion des Buches faltet sich dann ein Text nach dem anderen auf, es könnten Notizen oder Protokolle von Selbstgesprächen sein. Aus ihnen sprechen tiefe Verzweiflung und glühende Leidenschaft, denn der ältere Mann mit Herzproblemen reflektiert seine obsessive Liebe zu einer verheirateten Frau. Dabei stolpert er über Worte und Sätze oder windet sich in Wiederholungen. Die Illusion dieser Liebe lenkt ihn vom Tod ab. Die große Handlung sollte man sich von diesem Roman nicht erwarten, eher poetische Tiefe in metaphorischen Bildern, mit denen sich der Freund am Leben festkrallt.
Der Autor legt die Textmelodie weniger eingängig an. Doch in der Kunst der Zeilen steht, dass sie einer geschrieben hat, der für das Schreiben brennt wie schon vor 50 Jahren.