Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Lukas Evangelist, 18. Oktober 2020
Artenreiche Ökosysteme sind stabile Ökosysteme. Und umgekehrt gilt: Artenarme Lebensräume sind instabil und schadensanfällig. Auf die Selbstheilungskraft der Natur sollen und müssen wir Menschen besonders in Zeiten des menschenverstärkten Treibhauseffektes und des damit einhergehenden Klimawandels stärker und bewusster achten als bisher. Landwirtschaftliche Kulturflächen sind vielfach zu intensiv genutzten Monokulturen umgestaltet. Auch Wälder sind vielerorts zu artenarmen Forsten geworden. Feldraine und Heckenzeilen wurden und werden noch allzu oft aus der Landschaft gehobelt. Dabei sind auch noch so kleine naturbelassene Lebensräume besonders in den intensiv genutzten Talsohlen wertvolle und wichtige Korridore, Vernetzungen und Oasen der Biodiversität.
Beispiel Hecken
Hecken waren Jahrhunderte lang Bestandteil der bäuerlichen Kulturlandschaft: Einzäunung, Grenzmarkierung, Umfriedung, Windschutz, Brenn-, Werkholz- und Früchtelieferant. Die Intensivierung in der Landwirtschaft hat den Flächendruck erhöht und die „Stauden“ wurden und werden leider weiterhin vielerorts gerodet. Dabei weiß man lange schon um die vielen positiven Wirkungen von Hecken: Windschutz und Ertragssteigerung hinter einer 8 m hohen Hecke um durchschnittlich 20%, Verhinderung der Bodenerosion, höhere Luft- und Bodenfeuchtigkeit, verstärkte Taubildung, Filterwirkung gegen Staub- und Luftverunreinigung, Lärmschutz, ökologischer Korridor, Lebensraum, Brutplatz, Deckung, Unterschlupf. In Mitteleuropa gibt es keine Vergesellschaftung von Landpflanzen, die auf kleinstem Raum eine derart vielfältige Nahrungskette und eine derart große Artenvielfalt von bis zu 1.500 Arten wirbellosen und Wirbeltieren Lebensraum bietet. Hecken haben wichtige Relaisfunktionen zum Umland. Goldammer (Emberiza citrinella) und Neuntöter (Lanius collurio) sind zwei typische Vogelarten der Heckenlandschaft.
Beispiel Bergwald
Der Rothirsch ist eine sehr fortpflanzungs- und ausbreitungsfreudige Tierart des Bergwaldes. Er ist der größte einheimische Paarhufer unter den Wildtieren. Seine Bestände wachsen auch in der besiedelten Kulturlandschaft der Alpen auf Dichten, welche der Biodiversität und damit der Stabilität der Ökosysteme abträglich sind. Bei hohen Rotwilddichten leidet beispielsweise das Reh unter der Nahrungskonkurrenz des Hirsches. Mit zunehmender Erderwärmung steigt das Rotwild auch immer höher und immer länger im Jahreslauf in Gebiete um und oberhalb der Waldgrenze und damit in den angestammten Lebensraum der Gämse auf. Wo Rothirsche in großen Dichten äsen, fehlt die Strauchschicht am Waldboden und damit z.B. jetzt im Herbst die Beeren-Nahrung für das Auerhuhn. Im Brugger-Wald zwischen Glurns und Taufers stockt die trockenresistente und damit im Vinschgau besonders wertvolle Varietät der Weißtanne (Abies alba). Bei der hohen Rotwilddichte werden die zu Hunderten pro Quadratmeter Boden keimenden Tannen-Pflänzchen aber fast zur Gänze verbissen und die Naturverjüngung des Waldes findet nicht mehr oder kaum noch statt. Dies ist mittel- und langfristig abträglich und im Schutzwald auch gefährlich.
Die oben genannten Beispiele sind nur einige der Gründe, weswegen die Entnahme von Rotwild durch selektive herbstliche Abschüsse auch heuer innerhalb des Nationalparks Stilfserjoch fortgesetzt wird. Selbstredend fußen die Rotwild-Abschüsse auf einem wissenschaftlich abgestützten Projekt, das mit einem positiven Gutachten des nationalen wildbiologischen Institutes als Referenzinstitut des Umweltministeriums abgedeckt ist.
Beispiel aquatische Lebensräume
Aus der Sicht des Artenschutzes besonders wertvoll sind auch die Pflegemaßnahmen, welche etwa das Landesamt für Landschaftsökologie mit der Anlage und Pflege von Laichtümpeln in den Altarmen der vormaligen Etsch-Mäander in den Auwald-Resten zwischen Laas und Eyrs durchführt. Profiteure sind die besonders stark rückläufigen Lurche oder Amphibien. Sind sie doch als austrocknungsempfindliche Tiere unabdingbar an das Wasser gebunden. In einer ausgeräumten Landschaft fehlen den Kröten, Fröschen, Unken, Molchen und Salamandern heute vielerorts geeignete Lebensräume. Lurche sind als Kaulquappen Kiemenatmer und als erwachsene Tiere Lungenatmer und damit Pendler zwischen aquatischen und terrestrischen Lebensräumen mit speziellen Ansprüchen an ihr Habitat.