Kultur: Johann Pircher (1924 – 2002) - Leben im Widerstand - Opfer eines Justizskandals

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Am Donnerstag, 1. Februar 2024 wird um 11 Uhr zum hundertsten Geburtstag von Johann Pircher auf dem Friedhof von Laas diese Gedenktafel im Beisein der Bürgermeisterin Verena Tröger und einer Musikgruppe enthüllt. Die Gedenkrede hält der Historiker Leopold Steurer. Partner: Bildungsausschuss Laas und Gemeinde Laas Am Donnerstag, 1. Februar 2024 wird um 11 Uhr zum hundertsten Geburtstag von Johann Pircher auf dem Friedhof von Laas diese Gedenktafel im Beisein der Bürgermeisterin Verena Tröger und einer Musikgruppe enthüllt. Die Gedenkrede hält der Historiker Leopold Steurer. Partner: Bildungsausschuss Laas und Gemeinde Laas

Johann Pircher (1924 – 2002)
Leben im Widerstand

 

Der „Pöderhofer-Ludi“, Ludwig Pircher (1881-1973), war in Allitz Taglöhner und landwirtschaftlicher Pächter. Die Existenz mit einer oder zwei Kühen ermöglichte nur ein sehr karges, unsicheres Leben. Trotzdem ist er das Wagnis eingegangen, mit der blutjungen Josefa Grassl (1896 – 1924) im Jahre 1913 eine Familie zu gründen, aus der in Kriegszeiten die Kinder Ludwig (1914) und Josef (1915), danach Hermine (1920), Anton (1922) und Johann (1924) gefolgt sind. Beim Jüngsten ist die Mutter Josefa 28-jährig im Kindbett gestorben. Immer schafft es die Armut, Schicksalsschläge und Katastrophen zu verdichten, auch Familien treibt sie auseinander. So kamen vier der fünf Kinder bei anderen Familien unter und Johann kam nach Partschins zur Familie Punter. 1939 hat der Vater Ludwig für Deutschland optiert; diese Entscheidung galt auch für die noch nicht volljährigen Kinder. So wurde Johann 1943, gerade 19 Jahre alt, vom Hitlerreich in den Krieg nach Russland eingezogen, aus dem er schwer verwundet 1944 ins Lazarett nach Müllheim (Breisgau) zurückkehrte. Kurz vor der Genesung floh er im Juni 1944 aus dem dortigen Militärspital und erreichte die 40 Kilometer entfernte Schweizer Grenze, die er heimlich überwand. In der Schweiz wurde er dann als Wehrmachtsdeserteur in einem Arbeitslager gefangen gesetzt. Pircher ließ sich vom schweizerischen und englischen Geheimdienst anwerben und wurde nach einiger Vorbereitung als Verbindungsglied zu den Aktivitäten des Widerstands in Südtirol in Aktion gesetzt. Er musste verschlüsselte Informationen in Briefform und Geldbeträge auf geheimen Wegen durch das Münstertal und den Vinschgau zu Hans Egarter, Chef des Widerstandes und des Andreas-Hofer-Bundes, nach Meran bringen. In mehreren Botengängen wurde Hans Pircher auch von Gendarmeriepatrouillen beschossen und von SOD-Leuten verfolgt, aber er konnte nie gefangengesetzt werden. Nach dem Ende seiner gefahrvollen Kurierdienste hat sich Pircher im Passeiertal der dortigen Partisanengruppe angeschlossen. Ziel der Widerstandsgruppen war es, zur Zersetzung der Deutschen Wehrmacht beizutragen und die italienischen Soldaten und Sicherheitsleute zu bekämpfen. Damit haben sie der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Faschismus Widerstand geleistet und den furchtbaren Zweiten Weltkrieg zu beenden geholfen. Dabei hat Hans Pircher großen Mut und viel Risikobereitschaft bewiesen.

Herbert Raffeiner

 

Hans Pircher
Opfer eines Justizskandals

E pare di sentire ancora dal sottoterra della Val Passiria un’ironica sghingnazzata: é quella di Carlo Gufler, il bandito, l’anima nera della valle.” “Und man meint immer noch ein schadenfrohes Gelächter aus den Tiefen des Passeiertales aufsteigen zu hören: es ist jenes von Karl Gufler, dem Banditen, der schwarzen Seele dieses Tales …” (O-Ton aus der Berufungsschrift des Staatsanwaltes Faustino dell’Antonio gegen das Urteil des Schwurgerichtes Bozen vom 05. Jänner 1952 im Strafverfahren gegen Franz Pixner, Hans Pircher und andere 17 Mitangeklagte, alles Wehrmachtdeserteure und Mitglieder der von Hans Egarter betreuten Gruppe von Widerständlern gegen das Nazi-Regime).
Bei solchem Auftakt des Berufungsprozesses musste man auf das Schlimmste gefasst sein. Das Ermittlungsverfahren dazu war im Jahr 1949 (!) von den Carabinieri von Meran eingeleitet worden und betraf samt und sonders Vorfälle, die auf die Kriegszeit zurückgingen. Strafrechtlich verfolgt wurde mehr oder weniger die gesamte Gruppe der Deserteure aus dem Passeiertal. Zu diesen gestoßen war Hans Pircher auf Umwegen. Geboren 1924 in Allitz, wurde er mit 19 Jahren zur deutschen Wehrmacht eingezogen und 1944 vor Leningrad schwer verwundet. Nach seiner Genesung desertierte er und floh er in die Schweiz. Im Auffanglager Muri im Kanton Aargau trat er der vom ehemaligen österreichischen Offizier Wilhelm Bruckner gegründeten antinazistischen Widerstandsbewegung „Patria“ bei. Diese wiederum hatte Kontakte zum englischen Geheimdienst, der von der Existenz des Andreas-Hofer-Bundes wusste. In dieser Vereinigung waren die Südtiroler Dableiber organisiert. Sie war den Nazis ein Dorn im Auge, weshalb deren Obmann Friedl Volgger gleich nach dem Einmarsch der Deutschen am 8. September 1943 im KZ Dachau interniert wurde, worauf Hans Egarter deren Führung übernahm. Zu diesem wollten die Engländer eine Verbindung herstellen und engagierten dafür Hans Pircher als Kurier. Im Herbst 1944 betrat er wieder heimatlichen Boden, wo ihm im Falle seiner Ergreifung die Todesstrafe drohte. Erst vom damaligen Pfarrer von Glurns erfuhr er, wem er die Couverts mit dem Geld zur Verteilung an die Deserteure und pircherden Geheimcode für einen Sender zur Herstellung einer Funkverbindung mit den Alliierten in der Schweiz bringen sollte: zu Hans Egarter im kirchlichen Heim Filippinum in Meran. Noch einmal, am 7. April 1945 ging Hans Pircher zusammen mit Egarter in die Schweiz, die letzte Zeit des Krieges verbrachte er bei den Deserteuren um Karl Gufler im Passeiertal. Der Meiler Karl, wie er mit seinem Vulgonamen genannt wurde, war der Schrecken der heimischen Nazis. Nach dreijährigem Fronteinsatz in Norwegen, Finnland und Russland kehrte er im Mai 1943 zu einem Genesungsurlaub nach Hause zurück. Er hatte genug vom Krieg. Er desertierte und lebte fortan vogelfrei in den Wäldern. Im März 1944 wurde er von örtlichen SOD-Leuten, also Angehörigen des Sicherheits- und Ordnungsdienstes, gefangengenommen. Wegen seiner Kriegsauszeichnungen wurde er nicht zum Tode verurteilt, sondern einer Strafkompanie in Ungarn zugeteilt, aus der ihm jedoch nach einer abenteuerlichen Flucht die Rückkehr ins Passeiertal gelang. Was ihm jedoch nicht glücken wollte, war eine Rückkehr ins bürgerliche Leben. Im April 1945 sucht er mit anderen Deserteuren den für seine Verhaftung verantwortlichen Blockleiter Alois Schwarz auf, um mit ihm „abzurechnen“. Als die geforderte Genugtuung nicht sofort erfolgte, erschoss er ihn. Gufler führte auch nach dem Ende des Krieges ein ruheloses Leben. Er streifte weiterhin bewaffnet durch die Wälder. Am 20. März 1947 wurde er bei einem Feuergefecht mit den Carabinieri erschossen.

Aber es gab damals im Passeiertal nicht nur die um den „Banditen“ Karl Gufler als ihren charismatischen Anführer gescharten und als „Gufler-Bande“ verschrieenen Deserteure. Anlaufstelle für alle politisch Verfolgten und somit auch für Pircher, Egarters Verbindungsmann in die Schweiz, war der Pater Franz Innerebner, Kooperator in St. Martin i. P., so wie überhaupt damals der niedere Klerus sich nicht mit dem braunen Regime identifizierte. Der Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft war auch in deutschen Landen nicht besonders ausgeprägt, im südlichen Tirol beschränkte er sich im Wesentlichen auf ca. 300 Personen um den Andreas-Hofer-Bund Hans Egarters. Das Besondere und aus heutiger Sicht vollkommen Unverständliche ist jedoch, dass diese Widerstandsgruppe nach dem Krieg nicht nur öffentlich als Drückeberger, Verräter am Südtiroler Volk, Hinterlandtachinierer, Nestbeschmutzer usw. diskreditiert, sondern auch noch durch ein Gerichtsverfahren kriminalisiert wurde.

Es konnte bis heute nicht geklärt werden, auf wessen Intervention die Carabinieri von Meran im Frühjahr 1949 gegen 19 zur sog. „Gufler-Bande“ gezählten Deserteure, unter anderem auch gegen Hans Pircher, Anzeige erstatteten und sie vor Gericht brachten. Die Anklagepunkte betrafen die Erschießung des Wehrmachtoffiziers Heim wenige Tage vor Kriegsende, Raub und Diebstahl von Lebensmitteln, Kleidung und Vieh, Einschüchterungen und Repressalien gegen lokale Nazigrößen, also alles Vorfälle zurückliegend auf die Zeit von 1943 bis 1945. In der 1. Instanz wurden die Angeklagten vom Schwurgericht Bozen am 5. Jänner 1952 voll freigesprochen: Entweder weil sie die ihnen zur Last gelegten Straftaten nicht begangen hatten bzw. indem die Amnestiegesetze zur Anwendung gebracht wurden. Den Freispruch der „Gufler-Bande“ und die anschließende Entlassung der Beschuldigten, auch Pirchers, aus der über 2-jährigen U-Haft muss der Staatsanwalt Faustino Dell’Antonio als persönliche Schmach empfunden haben. Das erklärt auch die Berufung und deren teilweise gehässige Tonlage. Das Schwurgericht beim Oberlandesgericht in Trient stellte die Entscheidung der Vorinstanz buchstäblich auf den Kopf. Mit Urteil vom 26. Februar 1954 wurde Hans Pircher in Abwesenheit zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, und zwar wegen der nie geklärten Erschießung des deutschen Sanitätsoffiziers. Vom Berufungsverfahren erhielt er keine Kenntnis, obwohl er immer wieder nach seinen arbeitsbedingten Aufenthalten in der Schweiz in den Vinschgau zurückkehrte. Bei seiner Verhaftung im Jahr 1966 fiel er daher aus allen Wolken. Der weitere Verlauf des Pircher’schen justitiellen Leidensweges muss aus Platzgründen im Schnelldurchlauf erzählt werden: Einlieferung ins Gefängnis von Fossano bei Cuneo, dort lernt er einen Mithäftling namens Roberto Miroglio kennen, einen wahren Spezialisten für Verfahrensmängel, auf die gestützt er die Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen wollte. Und davon fand er in den Akten des Oberlandesgerichts von Trient jede Menge: die Abwicklung des Verfahrens in Abwesenheit des Hauptbetroffenen und ohne dass dieser von der Berufung des Staatsanwaltes Kenntnis erlangt hatte; die Ignorierung der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht in Bozen und dementsprechend die „Umdeutung“ der während des Krieges von der „Gufler-Bande“ begangenen Handlungen als gewöhnliche und ohne politischen Hintergrund begangene Straftaten; der Erschießung des Sanitätsoffiziers Heim war ursprünglich der Mitangeklagte Pixner beschuldigt. Dieser meinte sich dadurch aus der Schlinge ziehen zu können, dass er den Pircher bechuldigte, später jedoch widerrief. Also ein typischer Fall von „chiamata di correo“, also das unzuverlässigste Beweismittel, das der Strafprozess kennt. Für die Berufungsrichter war die Beschuldigung durch den Mitangeklagten jedoch begleitet von nicht existierenden anderen erdrückenden Indizien, also Beweis- und Rechtsbeugung pur!
Nach dem Scheitern der rechtlichen Möglichkeiten trat Pirchers zweiter Schutzengel, der Zellengenosse Giambattista Lazagna, auf den Plan. Der war ein Anwalt aus Genua, während des Krieges Partisanenführer in Ligurien und zeitweilig inhaftiert wegen seiner politischen Nähe zu den Roten Brigaden. Lazagna sorgte schon einmal durch Veröffentlichung des Büchleins „Il caso del partigiano Pircher“ dafür, dass dessen Leidensgeschichte über die nationale und internationale Presse in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Plötzlich begann sich auch die lokale Presse des Falles anzunehmen. Dort ging man, nachdem man sich nach Pirchers Verhaftung im Jahre 1966 jahrelang um seinen „casus“ nicht im Geringsten gekümmert hatte, sogar soweit, ihm quasi zum Vorwurf zu machen, dass er zum Fürsprecher im Parlament den kommunistischen Abgeordneten Terracini und nicht den Abgeordneten der SVP Peter Brugger gewählt hatte! Wie dem auch sei: durch einen Gnadenakt des Staatspräsidenten erlangte Pircher 1975 die Freiheit wieder.
Peter Tappeiner,
info@rechtsanwalt-tappeiner.it

Verwendete Literatur: Claus Gatterer, Im Kampf gegen Rom, Europa-Verlag 1968; Friedl Volgger, Mit Südtirol am Scheideweg, Haymon Verlag 1984; Giambattista Lazagna, Il caso del partigiano Pircher, Laterza 1975; Gerald Steinacher, Hans Egarter, Für Glaube und Heimat gegen Hitler, Edition Raetia 2011; Carlo Romeo, Partisan, Edition Raetia 2018; Carlo Romeo, Flucht ohne Ausweg, Edition Raetia 2005;

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