Das vom Nil jährlich überschwemmte Land verwischte alle Besitzgrenzen, die erst durch die Erfindung der Geometrie wieder erkennbar wurden. Ähnliches erforderten die Vinschgauer Murkegel, so etwa die Burgeiser/Malser „Multen“ oder die „Kortscher Wiesen.“ Das Schwemmgelände des Gadriabaches wurde „saniert“ wie die meisten Lahnböden an den Talausgängen. Besitzrechtliche, volkskundliche und religiöse Gesichtspunkte mussten berücksichtigt werden. Heute würden wir nach einem Kybernetiker fragen als Zusammenfasser mehrerer Wissenschaftsgebiete: Geologie und Statistik, Gentechnik und Sprachkunde. Wichtig ist immer die Kommunikation, wofür die menschliche Sprache als höchste Ausprägung gilt.
Ausgehend vom Foto mit den Schwemmgebieten der Gemeinde Prad wird diese Regelungstechnik sichtbar.
Am auffallendsten ist die Zerstückelung des Talgrundes in endlos viele Grundstücke, Quelle für ewige Streitereien und Ernte für Juristen.
Mitreden wollen auch die Heimatschützer, denn am Hang des Tschenglser Nörderberges steht eine alte Wallfahtskirche, die der Ottilie geweiht ist. Die blindgeborene Heilige ist zuständig für Augenleiden, womit wir das Reich der Volksmedizin berühren.
Im Talgrund erkennen wir auch den stillgelegten und ausgetrockneten Lauf der Etsch, ein Betätigunsfeld für Biologen und Agrartechniker.
Das Bild erfordert die Zuammenfassung verschiedenster Wissensgebiete, so auch den Bereich der Namenskunde.
Wir wundern uns auf dem Weg in Richtung Sulden über den Namen Gomagoi. Nach Egon Kühebacher steckt darin das keltische Wort COMBOROS mit der Bedeutung „Geröll“. Der Name wurde erst nach der Jahrtausendwende „eingedeutscht“; im Jahr 1485 heißt er Gombageir und klingt immer noch fremdartig.
Wir sind nun bei den Kelten oder bei den Langobarden, die bis ins Etschtal vorgedrungen sind und sogar in der Rechtspraxis Spuren hinterlassen haben. Siegfried de Rachewiltz, der Begründer und Leiter des Landwirtschaftsmuseums Brunnenburg, folgt auch in seiner Kulturgeschichte zum Tiroler Speck diesen Spuren.
„Brot“ und „Erdäpfel“ gehören zu den erforschten Themen.
Der Kortscher Fraktionsvorsteher Alois Wellenzohn wurde von Mitbürgern zuweilen mit dem Ehrentitel „Genie“ angesprochen. Weil es ihm gelungen ist, die widerstrebensten Interessen der vielen Besitzer für die einheitliche Bewässerung auf einen Nenner zu bringen.
Ein Meisterstück der Kommunikation in einer sehr schwierigen Materie.“Ohne einen einzigen Rekurs“, erinnert sich ein anderer Kortscher Bauer, der Konrad Lechthaler, der damals Nachbarshilfe geleistet hat und seit Jahrzehnten als Theatermacher Einmaliges leistet. Mit ihm und den vielen Mithelfern verfügt Kortsch über eine eigene Theatertradition. Über all das gibt es ausführliche Untersuchungen. Vor allem aber gab es Gespräche mit Valentin Braitenberg. Freunde machten 2011 für ihn die ARUNDA 81 mit dem Titel „Tentakel des Geistes“, dort entwickelte der in Bozen geborene Wissenschafter zahlreiche Fachbeiträge zur Kybernetik.
Wichtig ist mir eine Jugenderinnerung an die Familie Prantner vom „Pichlhof“, unserem Nachbar in der Ortsmitte von Schlanders. Dort habe ich manchmal mitgearbeitet und habe auch beim Pflügen geholfen. Dabei versank ich beinahe in einer aufgewühlten Ackerfurche. Im weichen Boden „schwimmend“ sah ich die Zugtiere auf mich zukommen. Sanfte, aber immerhin gehörnte, kräftige Kühe. Links und rechts an die Deichsel gebunden, zogen sie mit dem Pflug tiefe Furchen. Die metallisch glänzende Pflugschwar bricht die Erde auf, legt Schichten frei, öffnet Neues.
Wie beim Buch werden Blätter gewendet, ermöglichen neuen Einblick in das Dunkel der Erde. So funktioniert das Denken, belehre ich den Valentin, den Kybernetiker. Vielleicht entsteht dabei das Unter- und Über-Bewusstsein?
Das hat ihm gefallen, dem Valentin und wir begannen in alle Richtungen zu „pflügen“. „Ob sich die Kühe etwas denken?“ wird gefragt. Die Antwort: Ja, sie erinnern sich an die staubigen, steinigen Bergäcker der steilen Höfe und erfreuen sich jetzt an der feuchtlockeren Erde des Talgrundes.
Auch der Gianni Bodini erschafft als Fotograf mit seinem Teleobjektiv wichtige Zugänge zu unserer Kultur, zu der auch die Mondverehrung gehört. In seinen Bildern verschmelzen Sonne, Mond und Erde zum Gotteslob. Wie im Weltbild des Franz von Assisi.
Ist dies die Rückkehr zur antiken Götterwelt?
Vor vielen Jahren ist der Gianni dem Schriftsteller Franz Tumler auf dem Rimpfhof begegnet und hat sich mit ihm ausführlich über die Wasserwirtschaft unterhalten. Der Dichter wunderte sich über des Meisterfotografen genaue Erinnerung.
Franz Tumlers Buch „Das Land Südtirol“ ist auch für Bodini eine unerschöpfliche Fundgrube. Der „Italiener“ entdeckt unser Land, zeigt unseren Bergbauern in Diavortägen ihre hohe Kultur und wird ganz selbstverständlich überall mit „Hallo Gianni!“ als einer der Unsrigen begrüßt.
Hans Wielander