Montag, 09 Mai 2016 00:00

Kinder: Einst die Krieger der Armut - nun die Hoffnung unserer Zukunft

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s34 unspecEine Brise Tradition/Eine Brise Moderne

von Anna Alber

Rosa war neun. Neun Jahre alt, als sie ihre kleinen Kinderhände vor dem Gesicht vergrub, um die Tränen aufzufangen. Ihr Vater berichtete schweren Herzens, dass sie ins Schwabenland muss. Es sei nicht genügend da, um alle Kindermäuler zu stopfen. Fürchterliches hat Rosa schon vom Schwabenland gehört, auch wenn darüber nur gemunkelt und im Verborgenen getuschelt wurde.

„Hoffentlich erwisch i kuan Kindrschintr“, geht es dem kleinen Mädchen durch den Kopf, ehe sie sich ihrem Schicksal fügt und mit den anderen Kindern vom Dorf aufbricht. In die Ferne, nichtsahnend, was sie erwarten wird.

Im 19. Jahrhundert teilten viele „Biablen“ und „Madelen“ Rosas Schicksal: sie waren „Schwabenkinder“. Der Heimat den Rücken kehrend, mit gebrochenem Herzen und leeren Händen, legten sie ermüdende Fußmärsche zurück. Über die Berge wanderten sie vorwiegend in den Süden Deutschlands, in das hochgepriesene Schwabenland. Das Schlaraffenland demaskierte sich für einige Kinder allerdings schnell als wahrgewordener Albtraum. Auf Kindermärkten wie Vieh versteigert und oft über zig Monate als Sklave für Haus und Hof ausgebeutet und misshandelt, für mehr oder weniger 60 Mark*, umgerechnet etwa 30 Euro. Die Armut diktierte den Vinschger Kinderlen das Leben, über hunderte von Jahren.

s34 Beispiel heuteAuch meine Großeltern besaßen nicht viel. Nicht viel Geld, dafür viel Liebe, Freude und Zufriedenheit, mit einem Hauch Härte. Disziplin zeigen und Gehorsam leisten mussten sie. Die Bestrafung fiel oft gewaltsam aus: Schläge waren damals ein gegenwärtiges Erziehungsmittel. Ich erinnere mich noch, wie geschockt ich damals als Kind war, als mein Großvater erzählte, er wurde vom Lehrer gezwungen, auf Holzscheiter zu knien, da seine Antwort nicht „zufriedenstellend“ ausgefallen sei.

Doch was mich heute noch an der vergangenen Zeit fasziniert, ist die Einfachheit. Genauer gesagt: das Zufriedensein mit dem Wenigen, was man hatte. „Tschurtschlen“ waren Kühe, herumliegende Äste die Einzäunung; dies war das beliebteste Spielzeug, was meine Mutter besaß. Das Bett teilte sie sich mit ihrer Schwester, das Zimmer mit ihren restlichen acht Geschwistern. Unter dem Weihnachtsbaum war für die Mädchen ein selbstgebasteltes Puppenhaus, das zu Weihnachten vom Opa jedes Jahr neu angemalt wurde; die Buben bekamen zusammen entweder einen Hammer oder eine Laubsäge.

Wäre das heute noch denkbar als Konsumgesellschaft 4.0? In der Menschen, wie von Alienhand gesteuert, zu „willenlosen Käufern“ mutieren: durch die Gehirnwäsche Werbung? Die Kinder sind ja auch „nur“ glücklich, wenn sie den neuesten Turbodiesel-Ferrari mit V8-Motor samt integriertem Heckspoiler besitzen, wenigstens die Jungen unter ihnen. Denn heute ist es nicht mehr so, dass sich für zehn Kinder ein Geschenk unter dem Weihnachtsbaum befindet, heute liegen dort zehn Geschenke für ein Kind.
Kinder sind befreit von Sorgen. Vielleicht was den materiellen Teil betrifft eher schon. Doch auch für die Kinder der „heutigen Zeit“ ist es sicherlich nicht einfach, den Spagat zwischen Schule, Freunde, Sport, Musikschule uvm. zu schaffen. Dazu prasseln unaufhörliche Impulse auf das Kind ein. Werbung, Umweltverschmutzung und ständiger Lärm provozieren ein dröhnendes Durcheinander in den Köpfen der Gesellschaft, vor allem in denen unserer Kleinen.

s34 Beispiel Großmutters ZeitenUnd in der Schule? Da wird vor allem die Leistung großgeschrieben. Das fängt ja bereits im Kindergarten an. Meine Nichte Laura ist drei Jahre alt, und schon im Stande, bis 20 zu zählen. Muss sie auch, sonst „sollte sie zurückgestellt werden“. Meine ersten Schultage verbrachte ich mit Striche und Kügelchen malen, darauf folgten Luftballons und Strichmännchen. Ich glaub keiner von uns „Drei-Käse-Hoch“ konnte damals bis 20 zählen, aber auch wir haben es gelernt. Doch heute muss man können, für lernen ist da keine Zeit mehr, denn diese entrinnt wie Sand in der Sanduhr. Für Spielen und „Kind sein“ auch immer weniger, höchstens für das Smartphone und den Fernseher.

Es gibt nichts Wunderbareres und Unbegreiflicheres und nichts, was uns fremder wird und gründlicher verloren geht, als die Seele des spielenden Kindes. von Hermann Hesse

 

*Quelle: Informationsmaterial „Vintschger Museum“.
(http://www.vintschgermuseum.com/schwabenkinder.html)

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