Dienstag, 03 November 2015 12:00

Glurns Marktzentrum

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s32 0714Jedes Jahr am 2. November gibt es eine friedliche Belagerung der mittelalterlichen Kleinstadt Glurns. Rund 5.000 Menschen aus dem ganzen Vinschgau, aus dem Münstertalm, aus dem Meraner Raum und aus dem Oberinntal kommen zum Sealamorkt, dem größten und berühmtesten Markt im Vinschgau. Vielleicht sind es sogar 6.000 oder 7.000 Personen.

Vor den drei Stadttoren parken in den abgeernteten Wiesen die vielen Autos auf einer Fläche, die größer ist als der Stadtkern von Glurns mit seinen Stadtmauern. Damit wird Glurns für einen Tag wieder zum Marktzentrum. 242 Marktstände in der Stadt und außerhalb der Stadt boten dieses Jahr ihre verschiedenen Waren an. Süße Düfte, bunte Farben und eine riesige Menschenmenge beherrschen die 900 Seelenstadt. Am Allerseelentag, eigentlich einem kirchlichen Festtag, an dem der Toten gedacht wird und der Grabbesuch im Vordergrund steht, begibt sich alles nach Glurns. Für alte Menschen, schwangere Frauen s32 0737und Kinder ist es bei den Menschenmassen nicht leicht, durch die Straßen zu kommen. Bereits um drei Uhr in der Früh beginnen die Gemeindearbeiter mit den Vorbereitungen, um fünf Uhr kommen die ersten Händler und stellen ihre Marktstände auf. Einige machen das am 2. November seit Jahrzehnten, immer am selben Platz. Später kommen dann die Kunden. Die schauen, probieren, feilschen und kaufen. Eine Jacke für den Winter, warme Socken oder neue Schuhe. Die „Manderlatta“, ein paar „Kaki“ und frisch gebratene Kastanien gehören natürlich auch dazu. Die Vereine von Glurns bieten allerlei kulinarische Köstlichkeiten: Wurst mit Kraut, Schweinernes, Saure Suppe oder Kuttelsuppe, Rindsgulasch oder Knödel. Um fünf Uhr abends schließen die Gasthäuser, die Marktstände haben schon vorher alles abgebaut und verlassen die Stadt. Für die Gemeindearbeiter beginnt das große Aufräumen.

Bartholomäus-Jahrmarkt und Machtspiele

Im Mittelalter gab es zwei Hauptgründe, den eigenen Hof, das eigene Dorf zu verlassen: ein Marktbesuch oder eine Wallfahrt. Deshalb waren Jahrmärkte und Wallfahrtsorte wichtige Zentren, wo sich Menschen trafen, Handel trieben und sich für die Zukunft rüsteten: materiell und geistig. Die Händler und Bauern verkauften ihre Waren bzw. Tiere und mussten dann eine Zeitlang davon leben und andere kauften alles Notwendige für den Winter. Handels- und Marktzentren waren die Lebenszentren. Und meistens lagen sie an Wegkreuzungen, an Brücken und wichtigen Übergängen. Glurns lag im Mittelalter am wichtigsten Verkehrsknotenpunkt im s32 0774Vinschgau. Die Via Claudia Augusta führte nach Norden über den Reschen- und Fernpass nach Augsburg in den süddeutschen Raum. Der Weg über das Wormser Joch, den späteren Umrailpass führte ins Veltlintal und in den oberitalienischen Raum. Und über den Ofenpass gelangte man ins Engadin und damit in den Schweizer Raum. Diesen Talabschnitt beherrschten im Mittelalter die Churer Bischöfe. Die stolze Churburg war das Zentrum ihrer Macht im Vinschgau. Und ein Markt in Münster um den 8. September, also Maria Geburt, war ein wichtiges wirtschaftliches Standbein der Churer. Diese Macht wollten die Tiroler Fürsten brechen. Vom Münstertal führte der Weg zur Churburg am Dorf Glurns vorbei. Deshalb errichtete genau hier Mainhard II, der machtbewusste Tiroler Fürst, um 1291 die Stadt Glurns, bestehend aus rund 30 Häusern in der Laubengasse. Mit dem Stadtrecht bekam Glurns auch das Marktrecht. Am 24. August, rund zwei Wochen vor dem Markt in Müstair, wurde in der jungen Stadt der Bartholomäusmarkt abgehalten. Acht bis zehn Tage dauerte der Markt. Und keiner der Händler ging zwei Wochen später zum Markt nach Müstair. So konnten die Tiroler Fürsten ihre Macht ausbauen. Und so entstand aus einem Machtspiel, aus einer Rivalität die Stadt Glurns. Mit der Zeit wurde Glurns zu einem wichtigen Markt-, Gerichts- und Handelszentrum. Der Salzhandel bildete die Grundlage. Aber auch viele andere Produkte wie Wein, Gewürze, Südfrüchte, Eisen- und Matallwaren wurden in Glurns gelagert und gehandelt. Die Händler kamen über den Reschenpass von Nauders bis Glurns. In Glurns ließen sie sich nieder, übernachteten hier und am nächsten Tag fuhren sie bis nach Latsch weiter. 200 Jahre lang, von 1300 bis 1500 erlebte Glurns eine wirtschaftliche Blütezeit. Beim Engadinerkrieg 1499 wurde Glurns niedergebrannt und zerstört. Kaiser Maximilian ließ die Stadt wieder aufbauen. Damals erhielt sie das heutige Aussehen. Im Mittelalter und besonders nach dem Ausbau der Brennerstrecke verlor Glurns an Bedeutung. Die Landwirtschaft wurde wieder zur tragenden Säule. Viele verarmten und zogen als Karrner durch das Tal. Auch der Bartholomäusmarkt verlor als Vieh- und Krämermarkt an Bedeutung.

Sealamorkt, Laubenmärkte und Adventmarkt

Der Sealamorkt ist der Nachfolger des Bartholomäusmarktes. Er geht auf das Jahr 1845 zurück und wurde von Kaiser Ferdinand I eingeführt. Müstair war keine Konkurrenz mehr und bis 2. November war die Ernte eingebracht. Der Sealamorkt war immer ein großer Vieh- und Krämermarkt und vor allem Treffpunkt vieler Menschen. Aber in der Zwischenzeit gab es noch s32 0721andere Märkte im Vinschgau. In den letzten Jahrzehnten verloren alle Märkte als Viehmärkte an Bedeutung und wurden zu reinen Krämermärkten. Die Waren wurden billiger, da gab es nicht mehr viel zu feilschen und zu verhandeln. Die Preise sind heute meist Fixpreise. Außerdem gibt es heute Kaufhäuser und auch in den Geschäften kann man all die Waren kaufen. Und doch hat besonders in den letzten Jahren der Markt und das Marktleben eine Renaissance erfahren. Nach der vorbildlichen Sanierung strahlt die kleinste Stadt Tirols ein Flair aus, das unverwechselbar ist und das Glurns zu einem einzigartigen Marktplatz macht. Und die Stadt hat ihre Chance erkannt. Im globalen Markt der heutigen Zeit, wo es in allen Städten die gleichen Einkaufsketten gibt, setzt Glurns auf Regionalität, auf das Besondere und Authentische. Neben dem großen Sealamorkt gibt es seit vier Jahren die monatlichen Laubenmärkte von Mai bis Oktober. Es gibt einen Blumen-, Freizeit-, Feinschmecker-, Handwerks-, Palabirn- und Herbstmarkt. Hauptsächlich regionale Produkte werden dabei verkauft. Dazu gibt es Musik und allerlei interessante Überraschungen. Unter dem Motto „Licht, Düfte, Klänge“ gibt es den einmaligen Adventmarkt, der nur drei Tage, vom 6. bis 8. Dezember dauert, aber ohne Kitsch und Schnörkel die mittelalterliche Stadt in eine vorweihnachtliche Stimmung versetzt. Mit diesen Märkten kann Glurns wieder anknüpfen an seine mittelalterliche Rolle als Marktzentrum im Vinschgau. Und so kann sich Glurns wieder auf die nächste friedliche Belagerung freuen.
Heinrich Zoderer

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