In Neapel wurde es zur Läusebekämpfung bei einer Fleckfieber-Epidemie eingesetzt. Im Südpazifik wurden vom Flugzeug aus ganze Inseln mit DDT-Lösung eingesprüht, um die Malaria zu bekämpfen. In der früheren DDR wurde DDT gegen den Borkenkäfer verwendet. In Indien konnte die Zahl der jährlichen Neuinfektionen mit Malaria von 100 Millionen innerhalb von 10 Jahren auf 50.000 gesenkt werden. Deshalb bekam der Chemiker Müller den Nobelpreis für Medizin. Mitte der 1950er Jahre wurde die schädigende Wirkung von DDT auf Vögel bekannt. In Großbritannien wurden Tausende toter Vögel gefunden. Man spekulierte über die Ursachen, niemand kannte die Antwort – bis auf die US-amerikanische Biologin Rachel Carson. Sie war überzeugt, dass synthetische Pestizide wie DDT die Nahrungsketten vergiftet hatten. Im Jahre 1962 veröffentlichte Carson das Buch Silent Spring, „Der stumme Frühling“, mit dem sie die Probleme und Risiken des Einsatzes von Pestiziden einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Das Buch löste in den USA eine teilweise heftig geführte Debatte über den Einsatz von DDT aus. „Fast überall, ob auf Farmen, in Gärten, Wäldern oder Wohnungen, werden heute Sprays, Pulver und Aerosole eingesetzt“, schrieb die Biologin. „Chemische Gifte, die unterschiedslos alle Tiere töten, gute wie schlechte. Sie bringen den Gesang der Vögel zum Verstummen, bedecken die Blätter mit tödlichen Belägen und reichern sich im Boden an – und all das nur, um ein paar Unkräuter oder Insekten loszuwerden.“ Mit dem Buch „Der stumme Frühling“ entstand ein ökologisches Bewusstsein in den USA und in Europa und eine weltweite Diskussion über DDT. Bis zu dieser Zeit galten die Wissenschaft und Technik als Retter der freien Welt und als Garanten des Wohlstands. Das Buch war also nicht nur eine ökologische Warnung, sondern auch ein Angriff auf die Wissenschaft. DDT geriet unter Verdacht, beim Menschen Krebs auszulösen und aus diesen Gründen wurde die Verwendung von DDT von den meisten westlichen Industrieländern in den 1970er-Jahren verboten, durch die Stockholmer Konvention von 2001 gibt es ein weltweites Verbot.
Monsanto, Glyphosat und Roundup
Am ersten April las in Mals Ute Scheub, die erste Umweltredakteurin aus Deutschland im Hotel Panorama, dem ersten Biohotel Italiens aus ihrem Buch „Ackergifte? Nein danke!“ Der Untertitel des Buches lautet: „Für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“. Nicht nur Biobauern und Pestizidgegner aus Mals kamen zu der Lesung. Das Buch ist ein harter Angriff auf die Agrarindustrie, die Monokulturen, die Chemieindustrie, die Gentechnik, die Massentierhaltung und die konventionelle Landwirtschaft, die immer noch mehrere Hundert hochgefährliche Ackergifte einsetzt. Damit wird der Boden und das Grundwasser belastet und die Gesundheit von Menschen und Tieren geschädigt. Pestizide sind keine Pflanzenschutzmittel, sondern Ackergifte, meinte Scheub sehr klar. Sie zitiert in dem Buch auch Forschungsergebnisse, die belegen, dass der Einsatz der Pestizide mitverantwortlich ist für den alarmierenden Anstieg von Krebs, Depressionen, Autismus, Alzheimer, der Unfruchtbarkeit von Mann und Frau und von Missbildungen. Das weltweite Bienensterben hat mehrere Ursachen, aber Pestizide spielen mit Sicherheit eine große Rolle, meinte Scheub. Sie schreibt auch über das Buch von Rachel Carson und behauptet, dass ein zweiter stummer Frühling begonnen hat. Die Biodiversität von Tieren und Pflanzen wird durch Pestizide verringert, Herbizide schädigen die Pflanzenwelt, Insektizide schädigen Nützlinge, Fungizide schädigen Vogelarten. Die dünne Humusschicht ist die Grundlage unseres Lebens, unserer Zivilisation. Mit jeder Dosis Kunstdünger, Gülle und Pestizide zerstören wir diese wunderbare Welt. Im Buch ist immer wieder die Rede von den wenigen Konzernen, welche die Produktion und den Vertrieb beherrschen. Der amerikanische Konzern Monsanto besaß 2003 insgesamt 647 Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen, mehr als jeder andere Gentechnikkonzern. Das Unternehmen produziert Saatgut und Herbizide. Greenpeace behauptet, Monsanto wolle die globale Landwirtschaft vollständig unter seine Kontrolle bringen. Weltweit gibt es Prozesse gegen Monsanto. Unter dem Markennamen Roundup vertreibt Monsanto seit 1974 in über 130 Ländern eine Serie von Breitbandherbiziden. Es ist ein Unkrautbekämpfungsmittel, das nicht nur einzelne Pflanzenarten, sondern eine breite Palette von Pflanzen vernichtet. Der Wirkstoff ist das giftige Glyphosat. Dieses Herbizid nimmt eine Pflanze über grüne Pflanzenteile, also nicht über die Wurzel, auf. Deshalb geht es bei der Pestiziddiskussion in Mals auch um den amerikanischen Großkonzern Monsanto, um Glyphosat und Roundup. Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath. Aber Mals ist nicht alleine. Neben dem internationalen Pestizid Aktions Netzwerk (PAN) gibt es die Bürgerinitiative Landwende und viele weitere Bewegungen. Am 24. März war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: „WHO (die Weltgesundheitsorganisation) bewertet Glyphosat neu. Höhere Krebsgefahr durch weltweit verwendetes Pestizid.“ Diese Meldung ist sehr bedeutend, da Glyphosat das weltweit am häufigsten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel ist und noch in diesem Jahr soll die Zulassung von Glyphosat in der EU um zehn Jahre verlängert werden. Wird damit das Herbizid Glyphosat das gleiche Schicksal erleiden wie in den 70er Jahren das Insektizid DDT?
Ökolandbau, Terra-Preta-Anbautechnik
und Permakultur
Ute Scheub plädiert im Buch für eine pestizidfreie Welt, für den ökologischen Landbau und eine Landwirtschaft, die langfristig die Böden und das Grundwasser schützt, die Artenvielfalt fördert und gesunde Nahrungsmittel erzeugt. Sie spricht von einer enkeltauglichen Landwirtschaft, d.h. einer Landwirtschaft, welche die Erde auch für zukünftige Generationen bewohnbar und fruchtbar erhält. Das Konzept „Solidarische Landwirtschaft“, wobei Biobetriebe und Konsumenten eng zusammenarbeiten, die Terra-Preta-Anbautechnik, die Permakultur und der Ökolandbau sind konkrete Beispiele einer anderen Denkweise und Arbeitsweise in der Landwirtschaft. Über 400 Wissenschaftler fassten 2008 im Auftrag der Weltbank und der Vereinten Nationen den Stand des Wissens über die globale Landwirtschaft, ihre Geschichte und Zukunft zusammen. Dieser Weltagrarbericht ist unbequem und alarmierend, warnt vor Irrwegen, zeigt aber auch Lösungen auf. Die Landwirtschaft steht am Scheideweg, weiter wie bisher ist keine Option. Scheub meinte am Ende der Lesung, dass eine enkeltaugliche Landwirtschaft möglich ist und auch imstande wäre die Weltbevölkerung zu ernähren. Aber wir müssen sie einleiten, damit es nach dem stummen Frühling kein stummes Jahr gibt und die Vögel aufhören zu singen und die Bienen, die Schmetterlinge und auch der Mensch die Lebensgrundlage verlieren. Neben der Energiewende, hin zu erneuerbarer Energie und der Verkehrswende, hin zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, braucht es auch eine Agrarwende. Wir im Gebirge mit den vielen kleinstrukturierten Landwirtschaftsbetrieben können auf viele alte Traditionen zurückblicken und tun uns leichter, diese Wende umzusetzen. Dazu braucht es aber nicht nur den Einsatz der Bauern, sondern der ganzen Gesellschaft.
Heinrich Zoderer
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