Erst dann wurde ihm bewusst, warum ihm damals befohlen wurde, in das Sperrfeuer der Russen zu laufen. „Selm hon i nichts begriffen“, sagt er sichtlich bewegt. Zwei Kugeln trafen ihn an der Leiste, er fiel zu Boden. Sanitäter bargen ihn und brachten ihn in ein Lazarett. Er überlebte und kehrte einige Monate später wieder zur Frontlinie zurück. „Norr hot er miar af a ondre Weis umbrengan gwellt“, erzählt er. Matthias erhielt den Befehl, einen Granaten-Blindgänger wegzubringen. Als er merkte, dass damit etwas nicht stimmte, warf er ihn nach vorne und schon knallte es. Wieder hatte er Glück. Aus den Fängen des Vorgesetzten rettete ihn ein Arzt, der ihn als Sanitäter zu sich holte. Auch das erfuhr er beim Treffen nach sechs Jahrzehnten.
Mit 19 Jahren erreicht Matthias auf Befehl von Gauleiter Franz Hofer im März 1943 die Einberufung. Rund 700 Jugendliche hat dieser offiziell als Freiwillige rekrutiert und nach Innsbruck beordert. „Dr Hofer hot glougn, lai viere fa di 700 sain Freiwillige gwesn“, stellt er klar. Bei der zweiten Musterung wird er wegen seiner stattlichen Größe, seiner blonden Haare und seiner blauen Augen als „ arisch-germanische Figur“ eingestuft. „Wollen Sie den Führer bewachen?“, wird er gefragt. Es schnürt ihm die Kehle zu. „I honn gwisst, naa sogn dorf i nit, suscht bin i hin“, betont er. Und so wird er der SS Leibstandarte des Führers, den Totenkopf-Verbänden zugeteilt. In Berlin erlebt er drei Monate lang eine „wilde Ausbildung“, wie er es formuliert. Anschließend bewacht er die Reichskanzlei. Einige Male geht Hitler mit strenger Miene an ihm vorbei. Die eiserne Disziplin und der preußische Stechschritt setzen Matthias so zu, dass er nach 15 Tagen zusammenbricht. Er wird an die finnische Front geschickt, wo er dann nur mit Glück das bereits geschilderte Todesurteil überlebt. Als Sanitäter wird er mit grausamen Verletzungen konfrontiert. „Es hobs koa Ohnung, wos do olz passiert isch“, meint er. Oft baut er „Knüppeldämme“ über das sumpfige Gelände, um die Verwundeten zu versorgen. Einem Kameraden aus Naturns rettet er das Leben, indem er ihn fünf Tage lang mit der Butterration eines Gefallenen ernährt. Über Oslo und Dänemark kommt er 1944 in der Normandie. Dort soll er die Invasion der Amerikaner abwehren. „Sell isch a schiacher Kriag gweesn, es hobs koan Begriff“, sagt er. Er wird am Bein und am Arm schwer verwundet und kommt in ein Lazarett nach Heidelberg und kurz darauf in eine Klinik nach Pirmasens. Dort erlebt er eine scherckliche Bombennacht. Von den 245 Insassen überleben nur sieben. Und einer davon ist er. Sein Zustand ist lebensbedrohend, sodass ein Geistlicher geholt wird. „I hon nit gwisst, wos i beichtn soll“, betont Matthias. nach und nach erholt er sich und wird im Krankenhaus von den Amerikanern verhaftet. Nach zweijähriger Gefangenschaft kehrt er am Tag vor dem Heiligen Abend 1946 nach Hause zurück.
Der Krieg hat ihm seine Jugend geraubt. Er hat keine Berufsausbildung genossen. Als Hirte auf der „Dickeralm“ bringt er sich selbst Italienisch bei. „I honn koan Beruf kopp, obr norr oan kriag“, meint er. Im E-Werk der „Montecatini“ in Kastelbell wird er Schriftführer. Er muss laufend die Daten notieren und nach Bozen übermitteln. 1950 heiratet er Maria Margesin aus Marling, mit der er sich eine Wohnung in Kastelbell einrichtet. Sie schenkt ihm zwei Kinder. Das Leben nimmt seinen Lauf.
Wenn Erinnerungen an Kriegsereignisse auftauchen, verdrängt Matthias sie meistens. Mit der Arbeit und der „Jagerei“ lenkt er sich ab. Zielgenau trifft er das Wild, denn Schießen hat er gelernt. Seit 1969 ist er Jäger im Schludernser Revier. Bis zur Pensionierung 1978 arbeitet er im Kastelbeller Werk. Die Krankheit und der Tod seiner Frau im Jahre 2007 treffen ihn schwer. Mittlerweile lebt er zurückgezogen in seinem Haus. Auf die Jagd zu gehen, ist ihm zu beschwerlich geworden. Umso mehr freut er sich, wenn die Jägerkollegen bei ihm vorbeischauen und ihm das erlegte Wild zeigen. Und immer öfter beschäftigen ihn die Kriegsjahre und die Gedanken daran, dass er damals eigentlich hätte sterben sollen.