Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Sebastian, 20. Jänner 2024
Pilze wurden früher zu den Pflanzen gezählt. Seit den 1960er-Jahren werden sie aber von Biologen als eigenes Reich definiert. Pilze sind nach heutiger Kenntnis weder Pflanzen noch Tiere. Denn Pilze ernähren sich im Gegensatz zu Pflanzen nicht von der Sonnenenergie, und sie produzieren auch keinen Sauerstoff. Trotz ihrer vermeintlichen Standorttreue sind sie enger mit den Tieren als mit den Pflanzen verwandt. Wie Tiere und Menschen verbrauchen sie Sauerstoff und bilden dabei Kohlendioxid. Und wie Tiere müssen sie andere Lebewesen fressen. Ihre Zellwände bestehen auch nicht wie bei Pflanzen aus Zellulose, sondern aus Chitin. Das ist derselbe Stoff, der im Panzer von Insekten enthalten ist. Tierische Zellen besitzen gar keine Zellwände, da Tiere im Gegensatz zu Pilzen und Pflanzen ein Skelett und eine Muskulatur besitzen. Tiere benötigen also kein starres Netzwerk, das Zellwände bieten, um aufrecht stehen zu können. Zudem wären Tiere so völlig unbeweglich. Aber auch Pilze sind nicht starr und fest an einen Standort gebunden. Sie verändern permanent ihre Form und können auf diese Art und Weise wandern, jedoch so langsam, dass wir es mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können.
Artenvielfalt
Das Reich der Pilze weist eine erstaunliche Artenvielfalt auf. Bisher wurden etwa 100.000 Arten beschrieben, die tatsächliche Anzahl der Arten wird jedoch auf 1,5 Millionen geschätzt. Die zwei größten Gruppen der Pilze sind die Schlauchpilze oder Ascomyceten mit ca. 65.000 bekannten und derzeit beschriebenen Arten und die Ständerpilze oder Basidiomyceten mit ca. 30.000 Arten.
Vielen Menschen sind die Pilze entweder als essbare Hutpilze, Fußpilz, Schimmel oder den gerne in Kriminalromanen zitierten Pilzgiften bekannt. Vielfältig ist die Rolle der Pilze in Ökosystemen: Manche Arten zersetzen organisches Material (Saprophyten, Destruenten), andere leben beispielsweise als Parasiten. Pilze nutzen Sporen für ihre geschlechtliche oder ungeschlechtliche Vermehrung.
Pilze als Pioniere
Eigentlich leben wir in einem Königreich der Pilze. Pilze besiedeln seit rund einer Milliarde Jahre die Landmassen der Erde und sind somit doppelt so alt wie landlebende Pflanzen. Pilze produzieren Sporen, die eine Säure freigeben, welche die Gesteinsoberfläche aufbricht. Schnell wachsende Pilzfäden, sogenannte Hyphen, bohren sich mit ungeheuerlicher Sprengkraft und einem Druck von etwa hundert Autoreifen in den nackten Felsen. Die ersten Pilze der Erde ernährten sich einzig und allein von den Mineralien, die sie aus dem Gestein zogen. Durch diesen „molekularen Bergbau“, indem sie Felsen mineralisierten, legten Pilze erst den Grundstein für Böden und somit für weiteres Leben. Vor rund fünfhundert Millionen Jahren gingen sie eine Kooperation mit Algen ein und ermöglichten so Pflanzen erst den Landgang aus aquatischen Systemen. Bei diesem Handel boten Algen Zucker an, den sie durch Photosynthese gewannen, und Pilze Mineralien. Diese Symbiose war ein biologischer Urknall. Die Beziehung geht so weit, dass Pilzfäden nicht nur zwischen den Pflanzenzellen wachsen, sondern sogar in die Zellen eindringen. Durch diese baumartige Struktur entzieht die Pflanze dem Pilz Phosphor und gibt ihm Kohlenstoff.
Pilze in der Paläontologie
Vor der Ära der Insekten wurden Pilze sogar so hoch wie Bäume. Für fünfzig Millionen Jahre beherrschten skurrile, bis zu neun Meter hohe Riesenpilze, sogenannte Prototaxites, unser Landschaftsbild. Pilze halfen insgesamt auch der Menschheitsentwicklung auf die Beine. Als vor rund 65 Millionen Jahren ein Meteorit in die heutige Halbinsel Yucatán in Mexiko einschlug, wurde das Ende der Dinosaurier eingeleitet. Pilze nutzten diese Katastrophe als Zersetzer zu ihrem Vorteil. Für sie war diese Zeit ein Schlaraffenland, und sie vermehrten sich rasant. Die Erde glich einem riesigen Pilzkompost. Säugetiere spielten zu diesem Zeitpunkt im Ökosystem kaum eine Rolle. Es gab nur wenige, nachtaktive, rattenartige Arten, die am unteren Ende der Nahrungspyramide standen. Das Blatt wendete sich jedoch nun auch aus dem Grund, dass wir Säugetiere diese Pilzmassenvermehrung im Gegensatz zu den Reptilien überleben konnten. Dies war einzig und allein durch unseren hohen Stoffwechsel als Warmblüter möglich. Die Körperwärme von rund 37°C fungierte quasi als thermale Ausschlusszone für Pilze, die bei diesen hohen Temperaturen meist nicht überleben können. Im Gegensatz zu Reptilien haben Säugetiere also Pilze als selektierenden Krankheitserreger ausgekocht. Gleiches gilt übrigens auch für die Vögel.
Körperbau bei Pilzen
Das, was wir gewöhnlich als Pilz bezeichnen und was auf dem Waldboden sichtbar ist, ist eigentlich nur der Fruchtkörper. Dieser dient der Fortpflanzung und bildet die Sporen. Beim Champignon etwa sitzt das sporenbildende Gewebe an schmalen Lamellen, die an der Unterseite des Hutes speichenartig angeordnet sind. Die Lamellen werden auch Blätter genannt, weshalb die Gruppe der Lamellenpilze auch Blätterpilze (Acaricales) genannt werden.
Der Großteil eines Pilzes befindet sich unter der Erde. Es ist ein Geflecht aus wurzelähnlichen Fäden oder Hyphen, das in seiner Gesamtheit Myzel genannt wird. So hat das Geflecht einer Hallimasch-Art im Malheur National Forest in den USA eine Ausdehnung von circa 1.200 Fußballfeldern, ist etwa 600 Tonnen schwer und mindestens 2.400 Jahre alt. Damit ist es das größte Lebewesen der Welt.
Pilze ernähren sich von Stoffen, die von anderen Lebewesen hergestellt wurden. Sie sind die großen Resteverwerter unseres Ökosystems, die Müllabfuhr der Natur. Indem sie totes Material zersetzen und die darin enthaltenen Nährstoffe recyceln, erschaffen sie die Grundlage für neues Leben. Zusammen mit Bakterien bauen sie mithilfe hochaktiver Substanzen abgestorbenes Material ab und bilden daraus Humus, der wiederum eine wichtige Nahrungsgrundlage der Pflanzen darstellt.
Mykorrhiza-Pilze
Mit Bäumen gehen Pilze bemerkenswerte Partnerschaften ein. Sogenannte Mykorrhiza-Pilze vergesellschaften sich sehr oft mit bestimmten Baumarten: Mit ihren Hyphen umschließen sie Baumwurzeln, dringen sogar in diese ein und liefern so dem Baum lebenswichtige Mineralien und Wasser, als Gegenleistung bekommen sie Zucker. Besonders Bäume, die auf nährstoffarmen Böden wachsen, profitieren von der hohen Saugkraft der Pilzfäden, sodass sie auch relativ trockenen Böden noch Wasser entziehen können. Der gegenseitige Nutzen von Pilz und Baum kann auch zur Aufforstung genutzt werden, indem junge Bäume mit dem jeweiligen Mykorrhiza-Pilz beimpft und so ihre Wachstumschancen gesteigert werden.
Diese Symbiose ist aber weitaus mehr als nur ein simpler Nährstoffhandel: Der ganze Wald ist nun vernetzt! Ein riesiges Netzwerk entsteht, das Unmengen an Informationen austauscht, das Internet der Natur – das „Wood Wide Web“. Diese gigantische Informationsautobahn ermöglicht es Bäumen etwa, sich gegenseitig Warnsignale zu schicken. Um eine Vorstellung von der Größe dieses Netzwerkes zu bekommen: Unter der Fläche unseres Fußes im Wald findet man etwa 500 Kilometer Hyphen. Der Wald funktioniert wie EIN Superorganismus.