Der Schlanderser Bürgermeister Dieter Pinggera folgt als neuer Präsident der Bezirkgemeinschaft
Vinschgau Andreas Tappeiner nach. Pinggera spricht über die Schwerpunkte, die in den
kommenden fünf Jahren abgearbeitet werden sollen.
Vinschgerwind: Sie sind neu gewählter Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau. Damit werden Sie übergemeindliche Ideen und Wünsche bündeln müssen. Würden Sie von sich behaupten ein guter Zuhörer zu sein?
Dieter Pinggera: Das glaube ich schon. Ich kann zuhören, verknüpfen und umsetzen.
Vinschgerwind: An Ihrer Seite im Bezirksausschuss sind die Bürgermeisterinnen von Taufers Roselinde Gunsch und von Laas Verena Tröger, der Malser BM Josef Thurner und der Marteller BM Georg Altstätter. Welche Signale sollen mit dieser Ausschusszusammensetzung ausgesandt werden?
Dieter Pinggera: Die Spielräume bei der Zusammenstellung des Bezirksausschusses waren äußerst gering. Der Bezirksausschuss besteht aus fünf Mitgliedern inklusive des Präsidenten. Mit der Frauenquote waren die zwei Bürgermeisterinnen schon gesetzt, so dass de facto zwei freie Posten zu besetzen waren. Ich habe geografisch ausgewogen einen aus dem oberen und einen aus dem unteren Vinschgau hinzugezogen. Bei allem nachvollziehbaren Verständnis für die Ambitionen anderer Kollegen...
Vinschgerwind: ...zum Beispiel vom neuen BM Rafael Alber aus Prad....
Dieter Pinggera: Zum Beispiel aus Prad, aus Schluderns und natürlich auch aus Latsch. Ich glaube, dass es wichtig und richtig ist, dass Mals als größte Gemeinde im oberen Vinschgau, als Sprengelsitz und als Sitz vieler Dienste der Bezirksgemeinschaft im Bezirksausschuss vertreten ist. Dasselbe würde für Latsch gelten. Ich möchte betonen, dass der dortige BM Mauro Dalla Barba mit viel Verständnis für die Anliegen des Nationalparks Stilfserjoch und die Erfahrungen des Marteller Bürgermeisters bei den EU-Strukturfonds Georg Altstätter den Vortritt gelassen hat.
Vinschgerwind: Täuscht der Eindruck, dass Sie gegenüber der Frauenquote ein Lamento anstimmen?
Dieter Pinggera: Die Frauenquote ist gesetzlicher Fakt. Ich stelle einfach fest, dass damit der Entscheidungsspielraum eingeschränkt wird.
Vinschgerwind: Wie sind die Aufgabenbereiche verteilt?
Dieter Pinggera: Josef Thurner wird sich als Vizepräsident mit den technischen Diensten, also mit Wasser und Abwasser sowie mit dem Straßenwesen und Zivilschutz schwerpunktmäßig beschäftigen. Die Sozialdienste und die Zusammenarbeit mit dem Sanitätsbetrieb sowie die Interessen der Kleingemeinden sind bei Roselinde Gunsch Koch angesiedelt. Verena Tröger wird Bildung, Kultur, Familie, Handwerk und Handel abdecken, und Georg Altstätter wird die Agenden des Nationalparks, die EU-Strukturfonds, die Radwege und den Tourismus betreuen. Die Bezirksgemeinschaft hat eigentlich keine Zuständigkeiten im Tourismus, aber mit dem Nationalpark können sich Synergien ergeben.
Vinschgerwind: Ihre Aufgaben als Bezirkspräsident?
Dieter Pinggera: Ich werde mich um die Verwaltung, das Personal, die Finanzen, das Vermögen, die Repräsentation und internationale Zusammenarbeit, die Raumordnung, die Angelegenheiten des Krankenhauses kümmern sowie die koordinativen Aufgaben übernehmen.
Vinschgerwind: Grundsätzliche Aufgabe der Bezirksgemeinschaft ist es, den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt der Talgemeinschaft zu fördern. Das haben Sie bei der konstituierenden Sitzung zitiert. Beginnen wir beim Sozialen. Mit 130 MitarbeiterInnen sind die Sozialdienste der quantitativ wichtigste Bereich. Sie haben 10 Jahre lang die Sozialdienste als Bezirksreferent betreut. Welche Schwerpunkte werden in den kommenden 5 Jahren in Auge gefasst?
Dieter Pinggera: Die Sozialdienste sind mit Abstand der größte Bereich in der Bezirksgemeinschaft. Die Schwerpunkte sind klar skizziert. Mit dem demografischen Wandel kommen enorme Herausforderungen auf uns zu. Die Anzahl der zu pflegenden Personen wird zunehmen, es fehlen aber heute schon Pflegekräfte, und in Zukunft wird sich diese Situation noch verschärfen, da weniger Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt sein werden. Hier wird es neue, innovative Konzepte und Modelle mit großer Flexibilität brauchen, und auch Kooperationen mit dem Ehrenamt.
Vinschgerwind: Ein nächster Punkt: Wie fördert die Bezirksgemeinschaft den kulturellen Bereich?
Dieter Pinggera: Die Kultur ist eine Stärke des Vinschgaus. Der Vinschger ist sehr kulturaffin. Die Zuständigkeiten liegen eigentlich voll und ganz bei den Gemeinden, auch was die finanziellen Mittel betrifft. Die Bezirksgemeinschaft kann in diesem Bereich koordinierend unterstützen, also übergemeindliche kulturelle Projekte fördern und auf Nachfrage, von den Gemeinden finanzierte Vereinbarungen und Kooperationen schaffen, die größere Projekte ermöglichen.
Vinschgerwind: Und der wirtschaftliche Fortschritt? Die Bezirksgemeinschaft war in den letzten Jahren im Tourismus und in der Berglandwirtschaft eher ein stummer Zaungast.
Dieter Pinggera: Die Bezirksgemeinschaft hat zwei Arten von Zuständigkeiten. Zum einen die vom Land von oben nach unten delegierten Dienste, zum anderen die von den Gemeinden von unten nach oben delegierten Dienste. In beiden Fällen müssen die finanziellen Mittel mitfließen.
Vinschgerwind: Neben den delegierten Diensten dürfte die Bezirksgemeinschaft allerdings auch über eine nicht unerhebliche politische Kraft verfügen. Oder?
Dieter Pinggera: Bei der wirtschaftlichen Unterstützung hat es immer wieder wichtige Initiativen gegeben. Beim Tourismus z.B. bei der Einführung von Vinschgau Marketing vor rund 10 Jahren, welche durch starke Unterstützung der 13 Bürgermeister erfolgt ist, eine schöne Erfolgsgeschichte. Derzeit sind wiederum Bemühungen im Gange, eine neue Vinschger Plattform im Tourismus zu schaffen, was ich persönlich stark begrüßen würde.
Vinschgerwind: Was ist eine neue Plattform? Heißt dies ein Auflösen der bestehenden Tourismusvereine?
Dieter Pinggera: Die Diskussionen gehen jedenfalls in diese Richtung. Aber was die Wirtschaft im Allgemeinen betrifft, so ist der Vinschgau ein peripheres Gebiet. Die Bezirksgemeinschaft hat sich immer bemüht, diese Peripherie zu stärken. Beim Nationalpark etwa gibt es von Seiten der IDM Initiativen, welche Regionalität, lokale Produkte, Kooperationen zwischen Landwirtschaft und Tourismus stärken sollen. Ebenso ist man bemüht, die Berglandwirtschaft mit EU-Strukturgeldern aus Leader- und Interreg-Programmen zu unterstützen.
Vinschgerwind: Kauft die Bezirksgemeinschaft in ihren Strukturen regionale Produkte?
Dieter Pinggera: Wir haben nicht viele stationäre Strukturen. Aber das Arbeits-Rehabilitationszentrum Latsch produziert, kauft und verkauft als regionale Struktur. Die Wohngemeinschaften als kleine Realitäten bedienen sich sicher lokaler Anbieter. Bei der Behindertenwerkstätte in Prad besteht eine Zusammenarbeit mit der Gemeinde Prad.
Vinschgerwind: Ein anderes Thema: Große Investitionen stehen bei den Umweltdiensten an. Vor allem die Umstrukturierungen der Kläranlagen benötigen viel Geld. Ist das Geld vorhanden?
Dieter Pinggera: Das sind Projekte und Geldmittel, die aus dem Entwurf des Gewässerschutzplans hervorgehen. Dieser Plan ist von der Landesverwaltung erstellt worden. In diesem Bereich werden bis zu 90 Prozent Landesgelder zur Finanzierung bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass die Geldmittel kommen werden. Ein größeres Projekt ist der Zusammenschluss der Abwässer von Sulden und Prad; die Kläranlage in Sulden wird aufgelassen werden, und jene in Prad muss potenziert werden. Da reden wir von 6,5 Millionen Euro. Die Finanzierung ist vorgesehen. Außerdem steht die Modernisierung der Kläranlage Schnals mit 2,5 Millionen Euro an.
Vinschgerwind: Ab März soll es eine Sammlung für organische Abfälle im oberen Vinschgau geben. Aber nur für touristische Betriebe. Warum das?
Dieter Pinggera: Der Obervinschgau ist noch ländlicher geprägt, sodass der Bio-Hausmüll großteils in diese Schiene fließt. Die Obervinschger Gemeinden haben in diesem Bereich keinen großen Handlungsbedarf festgestellt. Bei den Tourismusbetrieben ist das anders. Da sind die Nassfraktionen beim Biomüll erheblich und mit einer Mistvergärung nicht kompatibel. So hat man um Kontingente in der Tisner Au für die Vergärung angesucht. Ab März wird mit der Sammlung von Biomüll in der Hotellerie und Gastronomie begonnen werden.
Vinschgerwind: Sie sagen, dass sich die Bezirksgemeinschaft als Vermittlerin für eine Umfahrungslösung im oberen Vinschgau anbieten will. Diese Vermittlerrolle besteht schon ewig. In Tartsch gibt es eine in den Bauleitplan eingetragene Untertunnelungslösung. Ist diese Lösung nichts mehr wert?
Dieter Pinggera: Ich schicke voraus, dass die höchste Priorität im Straßenwesen die Steinschlagsicherungsmaßnahmen in der Latschander haben. Das wird ein weiteres kleines Tunnelprojekt sein. Auch die Felssicherungsarbeiten zwischen St. Valentin und Graun haben Priorität. Das sind neuralgische Stellen für die internationale Durchzugsstraße. Beide Projekte sind technisch auf Schiene, aber es wird noch einige Jahre bis zur Verwirklichung dauern. Um auf Ihre Frage zu kommen: Die Haltung der bisherigen Malser Gemeindeverwaltung mit BM Ulrich Veith war, dass eine Untertunnelung von Tartsch eine sehr teure Lösung sei, die nur ein kleines Problem lösen würde. Mals hat nicht auf diese Lösung gedrängt, wenn eine großräumigere Lösung im Konsens mit den umliegenden Gemeinden gefunden würde.
Vinschgerwind: Mals hat sich aber auch gegen andere Umfahrungsvarianten quergestellt.
Dieter Pinggera: Die technischen Vorarbeiten sind geleistet, und es liegt kein schlechter Kompromissvorschlag am Tisch, allerdings ein teurer. Wir waren und sind der Meinung, dass es zuerst einen Konsens zwischen den direkt betroffenen Gemeinden braucht. Aber: Alle Gemeinden sind nach wie vor an einer Lösung interessiert.
Vinschgerwind: Ihr Ziel ist es, in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau ein Kompetenzzentrum für EU-Projekte zu installieren. Warum das?
Dieter Pinggera: Die EU-Projekte sind von strategischer Wichtigkeit für den Vinschgau, seien es ESF-, Interreg- oder Leaderprojekte. Die Bezirksgemeinschaft hat viel Erfahrung und Kompetenz aufgebaut. Aber viele Akteure werden mittlerweile vom bürokratischen Aufwand und vom Kontrollwahn regelrecht abgeschreckt, weil sie Angst haben in diese bürokratischen Mühlen zu geraten. Es hat landesweit tatsächlich negative Beispiele gegeben. Vor diesem Hintergrund bin ich der Überzeugung, dass ein bei der Bezirksgemeinschaft angesiedeltes EU-Kompetenzzentrum als stabile Einrichtung eine große Unterstützung für die öffentlichen Körperschaften, Genossenschaften, Vereine und auch für Privatinitiativen sein kann und auch Kontinuität zwischen den Förderperioden gewährleisten kann.
Interview: Erwin Bernhart