Vinschgau
Der Laaser BM Andreas Tappeiner ist seit vergangenem November auch Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau. Im Gespräch mit dem „Vinschgerwind“ nimmt Tappeiner Stellung unter anderem zu Sozialthemen, zum möglichen kulturellen Engagement der Bezirksgemeinschaft, zur Müllproblematik („Der Haufen in Glurns bleibt“), zum Stand der Verhandlungen in Sachen Strom und zu einer vom „Wind“ unterbreiteten Hypothese. Interview: Erwin Bernhart Foto: Magdalena Dietl Sapelza
„Vinschgerwind“: Seit kurzem sind Sie der Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau. In der Satzung der Bezirksgemeinschaft steht unter anderem: „Die Bezirksgemeinschaft vertritt die eigene Bevölkerung und fördert den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt unter Wahrung der Umweltaufgaben.“ Bleiben wir beim Sozialbereich. Gibt es Armut im Vinschgau? Andreas Tappeiner: Ich denke, der Vinschgau ist, wie auch andere Teile Südtirols, geprägt von unterschiedlichen Einkommenssituationen. Allerdings glaube ich, dass sich die finanzielle Armut in den letzten Jahren nicht ausgeweitet hat, im Gegensatz zur Vereinsamung. Materielle Armut gibt es keine? Materielle Armut gibt es sicher auch. Wenn wir die heutige Situation mit der vor 30-40 Jahren vergleichen, dann haben die Leute damals andere Prioritäten gesetzt und mit weniger Einkommen überleben können. Was heißt Armut? Nichts zu essen haben? Keine Unterkunft? In den letzten Jahren hat die Armut im Vinschgau sicher nicht zugenommen. Kann man diese Armut beziffern? Genau beziffern lässt sich diese Armut nicht, auch wenn Daten diesbezüglich vorliegen, so nehme ich an, dass in der Realität die Zahl höher sein wird. Im Sozialbereich hat die Bezirksgemeinschaft im Jahr 2009 rund 8,3 Millionen Euro ausgegeben. Es soll in den nächsten Jahren vor allem um die Sicherung der Sozialdienste gehen. Befürchtet man, dass in diesem Bereich weniger Geld zur Verfügung stehen wird? Die Angst ist da, dass Geldmittel allgemein weniger fließen werden. Wir werden uns in Abstimmung mit den Bediensteten darauf einstellen, dass es Rationalisierungen geben wird. Kein Stellenabbau, aber Optimierungen der Dienste, im Sinne, dass nicht überall in gleichem Maße sämtliche Dienste angeboten werden können, wobei die projektbezogene Arbeit verstärkt wird. Über die Zuwendungen vom Land im sozialen Bereich werden wir vermehrt Interreg-Gelder anzapfen müssen, das bereits angelaufen ist. Eine gute Vernetzung zwischen Gesundheits- und Sozialdiensten ist wichtig, um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. Wie ist das gemeint? Ich bin in meinem programmatischen Dokument bewusst bei dieser Formulierung geblieben, da bereits die Vorgängerverwaltung Versuche unternommen hat, diesbezügliche Parallelen zusammenzuführen. Mein Wunsch wäre es, die Gesundheitsdienste in den Sozialdiensten zu integrieren oder umgekehrt. Ein gemeinsames Vorgehen muss doch möglich sein. Themenwechsel: Wenn in der Satzung von „kulturellem Fortschritt“ die Rede ist, auf welchen Gebieten ist die Bezirksgemeinschaft da tätig? Wir können uns glücklich schätzen, dass wir vor Ort sehr viele kulturfördernde Einrichtungen haben, zum Beispiel die Bildungsausschüsse, Bildungseinheiten zentraler Natur, das Bildungshaus Schloss Goldrain, das Regionalentwicklungszentrum in Spondinig. Da hat es in den vergangenen Jahren viel Aufbauarbeit gegeben. Ich denke, dass vor Ort diese Unternehmungen gut funktionieren, dass wir allerdings auch einige größere Veranstaltungen auf Bezirksebene etablieren könnten. Zum Beispiel? Wenn zum Beispiel das Kulturfestival Xong nicht mehr gemacht wird, so bin ich der Meinung, dass ähnliche Veranstaltungen auf breiterer Basis durchaus Sinn machen würden. Wir sollten uns als Bezirksgemeinschaft dort einklinken, wo der Vinschgau eine gewisse Strahlkraft entwickeln kann. Finanziell einklinken? Lassen wir’s beim Einklinken, in welcher Form auch immer. Sie waren in der vergangenen Periode Bezirksreferent auch für die Umweltdienste. Die Bezirksdeponie in Glurns platzt aus allen Nähten... Das stimmt in dieser Form nicht. Die Bezirksdeponie in Glurns war immer auf Zeit ausgelegt, ursprünglich bis 2010. Nun soll der Verbrennungsofen in Bozen 2013 in Betrieb gehen. Das ist für Glurns kein Problem. Wir schaffen es bis dahin, den Müll dort zu deponieren. Aufgrund der Mülltrennung wird die zu deponierende Menge erheblich reduziert. Wie lange wird man brauchen, um den Haufen in Glurns nach Bozen gekarrt zu haben? Der Haufen bleibt. Die Deponie in Glurns ist ein sogenanntes Endlager. Wir werden eine Umladestation errichten, wo der brennbare Restmüll vorbereitet, umgeladen und nach Bozen transportiert wird. Nur die neu hinzukommende Müllmenge wird abtransportiert. Der bestehende Haufen wird abgedeckt und bleibt. Mit einem Spielplatz drauf? Mit einem Windrad drauf. Das ist allerdings ein Scherz. Nochmals - die Laufzeit der Deponie Glurns ist so programmiert und zudem ist in Zukunft eine Deponie in dieser Form gesetzlich nicht mehr möglich. Als weiterhin zentrales Anliegen, das haben Sie in Ihrer Programmschrift angekündigt, bleibt die Strompolitik. Welches ist die Philosophie der Bezirksgemeinschaft und welches ist der aktuelle Stand der Verhandlungen mit dem Land? Die Philosophie des Vinschgaus in Sachen Strom war und ist, dass wir uns die Produktion, die wir brauchen, sichern und, dass wir mit einer eigenständigen Verteilung den Strom in einem Genossenschaftsmodell den Bürgern verbilligt zur Verfügung stellen. Damit hätten a) die Leute einen Vorteil und b) der Wirtschaftsstandort Vinschgau kann aufgewertet werden. Damit könnten Akzente für Betriebsansiedlungen gesetzt werden. Der heutige Stand ist so, dass wir noch nicht die Produktion in dem Maße haben, wie der Verbrauch im Vinschgau ist. Wieviel Prozent hat man? Der Verbrauch wird mit 180 Millionen Kilowattstunden angegeben. Wir halten derzeit rund 100 Millionen Kilowattstunden in der Produktion und bräuchten demnach noch 80 Millionen Kilowattstunden. Das ist unsere Wunschvorstellung und auch unsere Verhandlungsbasis. Die Ist-Situation: Beim E-Werk Martell-Laas, um das es vordergründig geht, ist für uns kein Strombezug möglich. Die Gesellschafter der Hydros, SEL und Edison, die die Konzession halten, haben in den Verträgen keinen Strombezug nach außen offen gelassen. Die Hydros bringt den Strom an die Börse. Wir fordern ein Strombezugsrecht, woher auch immer. Nun besteht Aussicht, dass ein Strombezugsrecht für Martell, Latsch und Laas über das Kraftwerk St. Florian möglich gemacht werden könnte, auch mit der Aussicht, dass dieser Strom über das VEK künftig in die Verteilung mit einfließt. Ein anderer Aspekt ist dazugekommen und zwar, dass Gemeinden des Wassereinzuggebietes der Etsch anstelle eines Teiles des Uferzinsgeldes den Strom direkt beziehen könnten. Klingt kompliziert. Die Verhandlungen laufen dahin, dass 30 Millionen Kilowattstunden über das Kraftwerk St. Florian und rund 50 Millionen Kilowattstunden über das Wassereinzugsgebiet fließen könnten. Wenn wir diese Option wahrnehmen können, dann hätten wir die fehlenden 80 Millionen Kilowattstunden beisammen. Haben die Verhandlungen Aussicht auf Erfolg? Die Gesprächsbereitschaft ist von allen Seiten gegeben. Um Zeit für Verhandlungen zu haben, beantragen wir gemeinsam einen Aufschub des im April fälligen Gerichtstermins. Da hätte der Rekurs gegen die Konzessionsvergabe, eingebracht von den Gemeinden Martell, Latsch, Laas und dem Vinschger Energiekonsortium VEK, behandelt werden sollen. Allerdings fließen in die Verhandlungen noch einige andere kleinere Dinge mit ein. Da müssen wir mit dem Landeshauptmann noch ins Gespräch kommen. Beim Rambach etwa, bei den Beteiligungen an kleineren Werken im Vinschgau. Im Klartext: Die SEL soll sich bei kleineren Werken draußen halten. Richtig. Das ist vor allem eine politische Forderung von 2008, dass sich die SEL aus kleineren Werken raushalten soll, was für die Stromautarkie des Vinschgaus wichtig ist. Sollte das nicht so kommen, werden das die politischen Mandatare zu verantworten haben. Zur Stromverteilung: Wir sind derzeit mit der Firma Syneco beim Rechnen. Auch wenn die Verteilung eine Nullrunde und kein Geschäft wird, müssen wir einsteigen. Und da bin ich der Meinung, dass im Genossenschaftsmodell die Gemeinden und die Bevölkerung mit einsteigen sollen. Wenn wir der Bevölkerung vermitteln können, dass jeder über Jahre von verbilligtem Strombezug profitiert, ist die Bereitschaft zur Leistung eines Beitrages für die Übernahme des Netzes und der eigenen Zählerstelle sicherlich gegeben. Ein anderes Thema. Welche Termine sind für die Umfahrung von Kastelbell mit dem Land vereinbart? Bis im Sommer 2011 soll der Ideenwettbewerb abgeschlossen sein, dann wird die Planung erfolgen, sodass 2013 mit dem Bau begonnen werden kann. Das sind die mündlichen Vereinbarungen mit LH Luis Durnwalder und mit Landesrat Florian Mussner. Was können Sie folgender Hypothese abgewinnen: Die Gemeinden delegieren ihre Kompetenzen im Bereich des Tourismus an die Bezirksgemeinschaft und diese führt eine gesetzlich geregelte Tourismusabgabe oder Kurtaxe ein. Nicht viel. Dem Bündeln auf Bezirksebene kann ich nichts abgewinnen. Allerdings muss den Tourismusvereinen klar sein, dass es in dieser Form nicht weitergehen kann und dass eine Einigung auf größerer Ebene erfolgen muss. Die Aushängeschilder des Vinschgaus sind zu definieren und anhand dieser den Schulterschluss mit der SMG finden müssen. Kann die Bezirksgemeinschaft im Tourismussektor finanziell aktiv werden? Erste Gespräche haben ergeben, dass eine Starthilfe für die neue Einheit möglich wäre, wenn sich die Gemeinden und die Tourismusvereine zusammenraufen.
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