EUROPAKAPELLE: Jenseits des Brennerpasses führt die Völker verbindende Nord-Süd-Straße über die Europabrücke, nebenan die dazu gehörende Kapelle. Ihre moderne Architektur empfängt uns wie mit offenen Armen, die zwei auseinander strebenden Seitenwände tragen von Plattner 1963/64 ausgeführte Fresken, insgesamt ca. 80 m2, mit historischen und mythologischen Motiven zu Europa: Raub der Europa in spannender Erotik; Durchzug Karls des Großen; Christophorus als lebende Brücke mit dem Kind; die Kühnheit der Brückenbautechnik; das Schreckensbild urplötzlich hereinstürzender apokalyptischer Reiter als Todesboten gegen eine babylonische Hybris der die Umwelt und sich zerstörenden Menschheit, dagegen in einer Ecke der segnende Brückenheilige Nepomuk; eine Szene der Trauer über die abgestürzten Bauarbeiter; der Bauernaufstand; eine ländliche Prozession unter wehenden Fahnen; schließlich eine nostalgisch pastorale Idylle – der Maler selber als Schafhütbub auf der Malser Haide?
In der Szene der Apokalypse ist schon der ganze Plattner präsent, die Dramatik ließe sich nicht mehr steigern. Wie auch Picassos „Guernica“ nicht, oder Munchs „Schrei“. Grenze des Mitteilbaren, Malbaren.
SALZBURG: Im neu an und in den Burgfelsen gebauten „großen“ Festspielhaus mit 2200 Zuschauerplätzen hat Architekt Holzmeister 1960 seinem Freund Plattner drei Wände des rechten Seitenlogenfoyers zur Gestaltung bestimmt, zusammen etwa 25 m2: ein Bild der Altstadt, Türme, Kuppeln, Bögen, posaunende Engel schweben darüber; eine Szene mit marionettenhaften, hohen Klerikern, wie sie einem thronenden Fürstbischof in Rot-Weiß große Baupläne unterbreiten; ein Bild mit Konzertflügel – für ein neues Wunderkind?
WIEN, Uniqa-Büroturm, 21. Etage, in einem nicht öffentlichen Raum der Uniqa- Versicherungsgesellschaft: das Triptychon „Karussell des Lebens“, 1965 für die Austria AG ausgeführt; das grandiose Wandbild, ca. 5,80x2,30 m, ein Karussell als Metapher des menschlichen Lebenslaufs - es spricht für sich. La vie, àh, la vie!“ würde Toulouse Lautrec schwärmen; selbst zwei versteinerte Alte nehmen am Leben noch teil.
Plattner hat noch 20 Jahre vor sich, es entstehen keine Fresken mehr, sondern Tafelbilder und Druckgraphik in hohen Auflagen: Landschaften am Meer, in Brasilien, im Oberland; topographische Strukturen erdfarbener Flure; die Malser Haide im Schnee, darin einsam das Skelett eines entlaubten Baumes, gebeugt im Oberwind; geometrisch streng gezeichnete Weiler mit Gucklöchern; gespenstisch leere Gassen. Die Heimat?
Und Plattners großes Thema – der Mensch. Menschen in ihrer Ausweglosigkeit, ihren Nöten und Ängsten, hingestellt vor bedrohlich rote Kulissen, vereinsamt hinter Fensterrahmen in schwarzen Räumen; Monologe an den Mitmenschen vorbei; Plattners Gesichter blicken in die Ferne, ins Leere, nach innen, verraten ihr Inneres nicht, sind Masken, keine Portraits, nicht schön, doch mit Bedeutungen beladen; trauernde Mütter tragen die Züge der Mutter des Malers; es sind Seismographien schweigender Einsamkeit. Autopsychogramme?
Plattner ist kein Maler flüchtiger Impressionen, er, der Intellektuelle, komponiert im Atelier jedes Thema bis zur Perfektion durch, stellt an sich und seine Arbeit hohe Ansprüche. Kann man solchen auf Dauer genügen?
Plattner ist 1919 als jüngstes von zehn Kindern in Mals geboren. Armut, Katakombenschule, Malerlehre, Kriegsdienst, Gefangenschaft. Nach dem Krieg, bereits 26 und lebenserfahren, hoch motivierter Einstieg in die Kunstwelt und bald schon ein Meister. Ab 1950 Ausstellungen und erste Fresken, Studien-und Arbeitsaufenthalte in Berlin, Florenz, Mailand, Còte Azur, Gardasee, Bozen, Provence – und immer wieder Burgeis im Vinschgau. 1952 eigene Familie, 1965 Tod der Mutter. Ausstellungen, Ehrungen, Produktionszwang-und Krisen, Zweifel, Unrast, Existenzängste, Melancholie, Depressionen, Krankheit, tragischer Tod.
Sein Werk, seine menschliche Größe und sein Charisma leben noch nach.
Bild rechts: Plattner-Wandbild, Wien, Uniqa Büroturm (Foto freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Uniqa-Versicherungsgesellschaft Wien)
Paul Preims ist Autor der aktuellen ARUNDA 94 mit dem Titel: „Reiseskizzen. Texte mit Bildern, ein Querschnitt 1972-2017“, im Buchhandel oder in der Arunda-Redaktion in Schlanders zu 16 Euro erhältlich.
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