Dienstag, 16 Oktober 2018 09:26

Begleiter auf dem letzten Weg

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Allerh IMG 3349Der 57-jährige Richard Angerer, genannt Ricci, ist seit über zwei Jahrzehnten Totengräber im Friedhof von Stilfs. Er verrichtet eine Dienstleistung, die nicht jedermanns Sache ist. Denn die Tätigkeit ist nicht nur mit Knochenarbeit verbunden, sondern oft auch mit Emotionen.

Foto & Text: Magdalena Dietl Sapelza

Richard hat gelernt, mit dem Tod umzugehen, diesen als Teil des Lebens zu betrachten. Er begleitet die Angehörigen gefasst und einfühlsam.

„Wenn ich einen jungen Menschen begraben muss, oder bei einem tragischen Tod setzt mir das schon auch zu“, sagt er. Wichtig ist ihm, bei seiner Arbeit die Würde der Verstorbenen zu wahren.
Wenn im kleinen Bergdorf Stilfs eine Beerdigung ansteht, erhält Richard an seinem Arbeitsplatz in Ischgl, wo er als Liftarbeiter tätig ist, sofort eine telefonische Mitteilung von Pfarrer Florian Öttl. Sobald seine Schicht zu Ende ist, setzt er sich ins Auto und fährt in den Vinschgau. Denn mit seinem Arbeitgeber hat er abgesprochen, dass er zwei Tage unbezahlte Freistellung erhält, oder seine Schicht am Lift tauschen kann, um die Beerdigungen in Stilfs zu betreuen. Steht eine Erdbestattung mit Sarg an, beginnt er nach Absprache mit den Angehörigen schon am Tag darauf mit Pickel, Schaufel, Schubkarren und selbst entworfener Schalungsvorrichtung mit den Aushubarbeiten.  „Es ist harte Handarbeit und kein Zuckerschlecken", sagt er. „Meist brauche ich dafür zwei Tage“. Im Winter bei zugefrorenem Boden ist die Arbeit viel kraftraubender, als im Sommer. Da nimmt er den kleinen Kompressor der Gemeinde zur Hand.“
Richard hilft dem Bestatter bei der Aufbahrung des Toten in der Leichenkapelle. Bei der Beerdigung wirkt er als Vorbeter mit und meist auch als Fahnenträger. Dem Pfarrer geht er bei der Einsegnung vor dem Gasthof Sonne und bei der Verabschiedung auf dem Kirchplatz zur Hand. Wenn der Friedhof  dann menschenleer ist und die Angehörigen beim Trunk versammelt sind, deckt er den Sarg behutsam mit Erde zu, bringt den Erdhügel in Form, schmückt ihn mit Kränzen, Blumenschüsseln und richtet das Kreuz auf.
„Die Einladungen zum Trunk nehme ich nie an, denn da müsste ich bei allen gehen, damit es keine Beleidigung gibt“, verrät er.
Als Totengräber begann Richard im Sommer 1995 nach einem Gespräch mit dem damaligen Bürgermeister Josef Hofer, der einen Ersatz für den bisher mit der Totengräber-Aufgabe betrauten Gemeindearbeiter suchte. Richard meinte spontan: „Das könnte ich schon tun“. Und Hofer antwortete ihm genauso spontan: „Dann bitte gerne“. Kurz darauf öffnete Richard das erste Grab.
Bis heute hat er 203 Erd- und 14 Urnenbestattungen begleitet. Er dokumentiert alles genau, alle Gräber und die Zahl der jeweils darin begrabenen Verstorbenen. Denn in den einst aus Platzmangel bis 2.20 tief angelegten Gräbern im Stilfser Friedhof dürfen höchstens drei Särge übereinender liegen. „In jüngster Zeit ist im Friedhof etwas mehr Platz geworden. Zehn alte Grabstätten wurden aufgelassen“, erklärt Richard. Abwanderung spiele dabei eine Rolle und auch, dass sich zunehmend mehr Menschen für eine Einäscherung entscheiden. Urnen bestattet er in den Gräbern, wobei eine Tiefe von 80 Zentimetern genügen.  Richard bedauert, dass es in seinem Friedhof noch keine Urnenwand gibt. Diese wäre, seiner Meinung nach, längst genauso erforderlich wie einst die Leichenkapelle. Heute ist die vor vier Jahren errichtete Kapelle nicht mehr wegzudenken.
Immer wenn sich Richard daheim in Stilfs aufhält und Zeit hat, schaut er im Friedhof nach dem Rechten, unauffällig und aus freien Stücken. Er jätet Unkraut, kehrt Laub zusammen, bringt mit der Schaufel frische Erdhügel in Form, verräumt den Schnee und einiges mehr.

Derzeit hat er Urlaub und macht den Friedhof für das Allerheiligenfest sauber. Oft spricht er mit Angehörigen, die er an den Gräbern ihrer Lieben antrifft. Die meisten wissen es sehr zu schätzen, was er für die Dorfgemeinschaft leistet.

{jcomments on}


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2701 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 19 24

titel Vinschgerwind 18-24

titel vinschgerwind 17-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.