Im Südtiroler Burgenbuch wird man vergeblich nach einem Schloss Gomagoi suchen, obwohl die Geschichte dieser Straßensperre sehr viel mit einem Schloss zu tun hat. „Schloss“ kommt von „schließen“ und in der Festung Gomagoi steckt eigentlich noch eine mittelalterliche Burg: Ein Sperrbau mit mächtigen Mauern, mit Wehrgang, Schießscharten und einem Geschützturm. Mit Kasematten. Das sind bombensichere, meist gewölbte Räume für die Mannschaft und für die Geschütze. Das italienische Wort „Casamatta“ bedeutet „Wallgewölbe“; das sind vor allem mauertechnische Kostbarkeiten dieses Bauwerkes.
Durch das Entfernen einer Decke entstand ein überraschend großer Innenraum, ideal für Ausstellungsstücke des geplanten Museums. „Sämtliche Decken sind als Gewölbe mit verschiedenen Radien, mit Vollziegel aus gebranntem Ton gemauert“, schreibt der Architekt Arnold Gapp in seiner „Studie über die Nutzung der Festung als Tor zum Stilfser Joch.“
In Gomagoi vereinigt sich so ziemlich alles, was mit Südtiroler Geschichte zu tun hat. Der Festungsbau stammt aus dem Jahr 1860 und wurde in sehr kurzer Zeit erstellt, geradezu unter Zeitdruck. Gebaut als Schutzfort gegen einen eventuellen Einfall der Italiener aus der Lombardei, die seit 1859 zum Königreich Sardinien-Italien gehörte. Plötzlich gab es also am Stilfser Joch eine Staatsgrenze. Krieg hat die Festung allerdings kaum gesehen; nach der Eroberung des Monte Scorluzzo 1915 durch die Österreicher hat sich das Kriegsgeschehen um den umkämpften Pass kaum noch verändert. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwand auch die Grenze am Stilfser Joch und Südtirol wurde 1918 italienisch.
Die wiederholt umgebaute Grenzfeste wurde strategisch bedeutungslos und begann zu verfallen. Um Platz für die nun wichtiger gewordene Straße zum Stilfser Joch zu gewinnen, wurde das Gebäude 1963 radikal durchschnitten. Wegen der Straßenbegradigung wurden die Festungsgräben an der Sperre bis auf die Höhe der Straßentrasse aufgeschüttet.
Seit 2006 gibt es einen Landesauftrag, den Wert der Jochstraße auch historisch zu dokumentieren und die Festung Gomagoi zu saniere. Zur Neugestaltung dieses Eingangstores liegen bereits ausführliche Pläne vor. Durch das brutale Zerschneiden des Baukörpers wurden viele Innenräume zu Außenmauern; sie wurden notdürftig mit Ziegeln „geflickt“, unorganisch, hässlich. Tatsächlich sind fast alle Reisenden an diesem Bau rasch vorbeigefahren, ohne genauer hinzuschauen. Und nun die Wende: Nach einer Studie von Architekt Gapp soll nicht etwa der alte Baukörper rekonstruiert werden, vielmehr soll das Innere der Festung ans Tageslicht geholt, also sichtbar und bewusst gemacht werden. Hinter gläserner Abdeckung betreten wir ein Museum, finden eine Informationsstelle, ein Café, wir machen Pause.
Dieser „Schlossbesuch“ soll uns einstimmen in das Freilichtmuseum Trafoi, Stilfser Joch, uns vorbereiten für den Besuch der heiligen Drei Brunnen am Fuße des Ortlers. Hier soll auch all das gezeigt werden, was von den Menschen dieser Täler in jahrzehntelanger Arbeit gesammelt wurde: Überreste der Kriegsfront gegen Italien. Munition, Unterstände, Kochgeschirr, Waffen, Andenken an die Menschen aus dem großen Krieg - alles, was die schwindenden Gletscher preisgeben.
Ein etwas anderer Schlossbesuch. Eine Inhaltsangabe der wechselvollen Geschichte Südtirols, ganz Europas aus einer zerteilten Festung, die jetzt dem Frieden dient.
Hans Wielander