Was kommt nach der Lieberalisierung der Handelstätigkeit auf uns zu? Diese Frage beschäftigt derzeit die Kaufleute und Dienstleister. Und die Unsicherheit ist groß. Bisher sind rund 70 Ansuchen für die Aufnahme von Geschäftstätigkeiten beim Land eingegangen. Stichtag ist der 30. September 2012. Der hds hat Angst vor den Ansuchen der großen Handelsketten. Er sorgt sich um den Weiterbestand der keinen Familienbetriebe in den Orten und um die Nahversorgung.
Der Präsident der Kaufleute und Dienstleister, Walter Amort, ist überzeugt, dass die radikale Liberalisierung, wie sie die Reform von Mario Monti vorsieht, insbesondere im Handel zum Chaos führt, wo sich schlussendlich das Recht des Stärkeren und somit die internationalen Handelskonzerne durchsetzen werden. Es werde also nicht mehr Wettbewerb stattfinden, sondern Konzentration und Vormachtstellung von Konzernen und Ketten, die dann auch die Preise diktieren. Klein- und Mittelbetriebe würden wegsterben mit negativen Folgen für die Nahversorgung vor allem in den Dörfern im ländlichen Raum.
„Das Liberalisierungsgesetz wurde uns aufgedrückt, ohne Rücksicht auf die kleinstrukturierten Gegebenheiten“, sagt der Vinschger Kaufleutepräsident Dietmar Spechtenhauser. Positiv sei, dass die Problematik erstmals nicht nur in Kaufleutekreisen diskutiert werde, sondern auch in der breiten Bevölkerung. Vielen sei klar geworden, dass einiges auf dem Spiel steht, und der mögliche Verdrängungskampf lebendige Ortsgefüge zerstören könnte. Positiv sei auch, dass sich eine größere Allianz mit Gemeindenverband, Bauernbund, Gastronomie zur Rettung der Nahversorgung gebildet hat.
Mittlerweile hat die Südtiroler Landesregierung das staatliche Liberalisierungsgesetz mit einem eigenen Landesgesetz angepasst, um die Folgen der staatlichen Vorgaben abzufedern. Das wird von Seiten des hds begrüßt. Das angepasste Landesgesetz trägt dem Staatsgesetz weitgehend Rechnung. Restriktiv soll die Südtiroler Handelspolitik in den Gewerbezonen bleiben. Einzelhandel soll es nur in den Ortszentren, in den Auffüll- und Erweiterungszonen geben. Im landwirtschaftlichen Grün ist Einzelhandel untersagt. Dort darf nur gehandelt werden, was dort produziert beziehungsweise an Einrichtungen im landwirtschaftlichen Grün gebunden ist, wie zum Beispiel an Radwegen. Einzelhandel in den Gewerbezonen bleibt für folgende Waren möglich: Kraftfahrzeuge, Maschinen Produkte für die Landwirtschaft, Baumaterialien, Werkzeugmaschinen, Brennstoffe, Möbel, Getränke in Großhandelspackungen. Bereits bestehende Einzelhandelsbetriebe in Gewerbegebieten können ihre Tätigkeit fortsetzen, dürfen diese aber nicht erweitern, verlegen oder zusammenlegen. Handwerks- und Industriebetriebe können ihre Erzeugnisse, die eng mit der Ausübung ihrer Tätigkeit verbundenen sind und Waren an ihren Standorten in Gewerbegebieten verkaufen. Die Richtlinien für die Öffnungszeiten müssen erst ausgearbeitet werden.
Ab Spetember gilt, wer eine Handelstätigkeit aufnehmen will, braucht künftig keine Linzenz mehr. Er muss der Gemeinde nur den Tätigkeitsbeginn mittteilen und diese muss dann innerhalb von 60 Tagen überprüfen, ob die Voraussetzungen (Ausbildung, Hygiene, Arbeitssicherheit usw.) gegeben sind. Ob der Versuch der Landesregierung, Montis Liberalisierung zu entschärfen auch gelingt, dafür gibt es keine Garantie. Das Verfassungsgericht in Rom kann das Landesgesetz kippen. Eine ungute Situation. Amort spricht von einer völligen Aushöhlung der Autonomie durch das Monti-Gesetz, wie es Südtirol seit der Nachkriegszeit noch nie erlebt hatte. Hds Direktor Dieter Steger zeigt sich enttäuscht, von Monti und von der Landesregierung: „Den ersten Schock hat uns Monti versetzt und den zweiten die Landesregierung. Denn diese hat die Spielräume nicht voll ausgeschöpft“, kritisiert Steger. Es brauche dringend Nachbesserungen. Er habe den vorauseilenden Gehorsam der Landesregierung nicht verstanden. Man hätte sich mehr Zeit lassen können. Vehement fordert er einen gezielten Einbau von Sicherungen. Steger bemüht den Vergleich mit einer Klettertour. „Viele und gut fixierte Sicherungshaken können verhindern, dass man- im Falle eines negativen Bescheids vom Verfassungsgericht- nicht zu tief abstürzt“ so Steger. Als Sicherungen könnten alle EU-rechtlich relevanten Punkte dienen, wie zum Beipiel Raumordnung, Umwelt- Gesundheits- und Verkehrsbelastung. Diese müssten als Trümpfe ausgespielt und viel besser genutzt werden. Besondere Gegebenheiten brauchen spezielle Regelungen. „Es braucht ein Landesgesetz mit Fallschirm“, so Steger.
Der Vinschger Kaufleute Präsident versuchte die rund 100 Kaufleute im Saal zu motivieren. Sie sollten nicht allzu pessimistisch in die Zukunft schauen. Es gelte, die Augen offen zu halten, die Besonderheiten des Tales zu erkennen, kreativ und authentisch sein und die eigenen Stärken zu nutzen. Er rief die Kaufleute auf, sich in der Dorfgemeinschaft einbringen.
„Die Leute sollen spüren, dass uns das Dorfleben nicht egal ist, und es sollte ihnen bewusst werden, dass aus Affi, Imst und Innsbruck keine Unterstützung für Vereine und Maturaklassen kommt.“ Das „Miar sein miar“ Gefühl im Tal müsse gestärkt werden, bei Kaufleuten, bei Kunden und auch bei politischen Entscheidungsträgern. Und Spechtenhauser ließ mit einer Vision aufhorchen: Er fordert einen „einkaufszentrumfreien Vinschgau“. (siehe Interview). Ob sich diese Vision vor dem Hintergrund der Liberalisierung auch verwirklichen lässt, ist nun die Frage.
Vision: Ein Vinschgau ohne Einkaufszentrum
Vinschgerwind: Wie wollen Sie Latscher Verhältnisse in den Vinschger Dörfern verhindern?
Dietmar Spechtenhauser: Sagen wir einmal so, ich will nicht behaupten, dass wir imstande sind, das zu verhindern. Denn als Kaufleute und Dienstleister sind wir keine direkten Entscheidungsträger. Aber wir möchten alles dransetzen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Wir sind überzeugt, dass das „Handelsleben“ im Ortszentrum erfolgen soll. Es geht dabei nicht nur darum, unsere Haut zu retten, sondern es geht um viel mehr, um das Dorfgefüge, um das Zusammenleben der verschiedensten Gruppen im Dorf, Arbeitnehmer, Selbständige, Gastronomie, Kaufleute, soziales und kirchliches Leben. Es hängt alles zusammen. Wir wissen von vielen ausgestorbenen Orten, zwar noch nicht bei uns, aber die Gefahr besteht auch hier und wir können die Problematik nicht wegdiskutieren: Wenn der Handel in einem Ort stirbt, stirbt das ganze Leben drum herum. Und wer will schon in einer reinen Schlafstätte wohnen?
Welche konkreten Schritte sind notwendig?
Wenn es gesetzlich nicht möglich ist, so etwas zu verhindern, dann müssen wir der Bevölkerung das Szenario bewusst machen. Und dabei kommt es auch auf unser Engagement an, das wir vor Ort zeigen. Allerdings müssen wir uns dabei oft selber an der Kappe nehmen. Wir sind nicht immer ganz so fleißig, wie wir es sein sollten. Uns Kaufleuten muss bewusst sein, dass wir nicht nur für uns da sind. Die aktive Teilnahme am Dorfgeschehen ist ein wichtiges Element, um alle Bevölkerungsschichten für die Idee zu gewinnen, auch weiterhin ohne Einkaufszentrum auskommen zu können.
Ein Vinschgau ohne Einkaufszentrum also?
Ja. Das ist eine Vision. Es mag für manchen unrealistisch wirken. Doch wir glauben das Potential zu haben, das durchzuziehen. Wir wollen die Bürgermeister überzeugen, dass das der richtige Weg ist, damit Ortskerne attraktiv bleiben. Wir werden mit der Bezirksgemeinschaft, wo alle Bürgermeister drinnen sitzen, in Kontakt treten und uns mit dem Thema auseinandersetzen. Die Idee, das zu versuchen ist nicht neu.
Die Liberalisierung der Handelstätigkeit bereitet Kopfzerbrechen.
Ja. Natürlich hat die totale Liberalisierung, wie sie uns Ministerpräsident Monti aufgebrummt hat, gewaltiges Kopfzerbrechen bereitet. Zuerst hat es so ausgeschaut, als wenn künftig überhaupt alles möglich und die bisherige Handelsordnung über den Haufen geschmissen worden wäre. Nach der Verabschiedung des Landesgesetzes, das mehr Klarheit schafft, sind wir etwas zuversichtlicher. Der Handel soll primär in den Wohngebieten stattfinden. Allerdings ist die Ausweitung der Handelstätigkeit in den B-Zonen nicht ganz ohne. Dort gibt es nun viele Immobilienbesitzer, die darauf lauern, Geschäftsareale zu errichten. Und das geht zu Lasten des Handels in den Ortskernen.
Das Ortsmarketing in Laas funktioniert. Wie stellen sie sich ein Bezirksmarketing vor?
Ob das Ortsmarketing in Laas funktioniert, entscheiden unsere Kunden, aber mich freut es, wenn es von außerhalb so wahrgenommen wird.
Im Bezirksmarketing haben wir einige Ideen gestartet. Eine Idee ist der Radgenuss Vinschgau, den wir im vergangenen Jahr probiert haben. Leider hat es geregnet. Der Radgenuss wird heuer am 19. Mai in Zusammenarbeit mit dem Tourismus angeboten. Dadurch soll die Frequenz in den Dörfern erhöht werden. Radler sollen auch die Einkaufsmöglichkeiten kennen lernen. Eine weitere Idee, das Vinschger Weihnachtsgeld, ist gut angekommen. Wir werden auch diese Aktion wiederholen. Bezirksmarketing bedeutet, dass wir alle aufeinander zugehen und neue Ideen entwickeln. Ich bin überzeugt, wenn wir uns in den Orten und im Bezirk aktiv einbringen und mit der Bevölkerung an einem Strang ziehen, d.h. versuchen die Orte weiterzuentwickeln, dann haben wir als Vinschger Kaufleute auch in Zukunft eine Chance.