Er ist uns bestimmt noch in Erinnerung, der Wirbel um den Präsidenten der Schweizer Nationalbank, der nach einer Medienhetze vor kurzem seinen Hut nahm oder auch die beispiellose Kampagne gegen den Deutschen Bundespräsidenten Wulff, der aufgrund eines Darlehens, das er bei Freunden für sein Haus aufgenommen hatte, von einem namhaften Boulevardblatt regelrecht verfolgt wurde. Und dann die sogenannten öffentlichen Umfragen, die meist nur dazu dienen, dass sich möglichst viele wieder empören dürfen über Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und von denen man eine Vorbildfunktion erwartet. Und da sind wir Menschen oft gnadenlos: Kaum beginnt irgendein Dreckblatt damit, eine Person in den Schmutz zu ziehen, dann ist die Zeit gekommen, sich zu empören und zu urteilen. Mir kommt da oft die Szene aus dem Lukasevangelium in den Sinn, jene mit dem Pharisäer und dem Zöllner. Der Pharisäer, der in seiner süffisanten Selbstgerechtigkeit meint, er habe alles richtig gemacht und für ihn sei der Platz im Heiligtum schon reserviert. Demgegenüber steht der Zöllner, der sich so schämt, dass er nicht einmal die Augen erhebt und sich an die Brust klopft, weil er um seine Vergehen weiß. Hier „richtet“ (im Sinne von richtig) Jesus im wahrsten Sinne des Wortes, indem er nämlich die Dinge „richtig“ stellt: Der Zöllner, der sich erniedrigt, wird erhöht, weil er um seine Unvollkommenheit weiß und weil er sich ändern will. Der Pharisäer hingegen könnte die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Im Falle des Deutschen Präsidenten Wulff wurde auch eingestanden, dass er einen Fehler beging und diesen bereut. Offensichtlich reicht dies den Moralisten im Volk nicht. Und genau das vergiftet die Atmosphäre unter uns Menschen: Ständiges Moralisieren, was nichts anderes bedeutet, dass ich mich mit meinem „reinen“ Gewissen über andere stelle und diese verurteilen kann. Dabei genügt bisweilen der ehrliche Blick in den Spiegel, wo ich mir selbst in die Augen schauen kann, um zu erkennen: Auch ich mache zahlreiche Fehler und bin auf die Vergebung durch das Gegenüber angewiesen. Genau das und nichts anderes ist auch die Aufgabe der Kirche: Nicht zu verurteilen, sondern auf Jesus zu verweisen, der auf die Menschen zugeht und ihnen hilft, wieder in das Leben einzubiegen. Und Jesus schafft das im Gegensatz zu den Moralisten ohne jedwede Verurteilung.
von Don Mario Pinggera
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau