Dienstag, 06 März 2018 09:26

„Die falschen Alleinerziehenden schaden den echten“

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s6 6439Die Südtiroler Plattform für Alleinerziehende gibt es seit 1994. Der ehrenamtliche Verein setzt sich für alleinerziehende sowie getrennt erziehende Mütter, Väter und deren Kinder ein. Ida Lanbacher aus Kastelbell ist seit 20 Jahren die Präsidentin der Plattform. Der Vinschgerwind hat mit ihr gesprochen.

Vinschgerwind:Was wünschen Sie den alleinerziehenden Frauen zum heutigen Tag der Frau?


Ida Lanbacher: Ich wünsche ihnen das Selbstbewusstsein, stolz auf das zu sein, was sie leisten. Jeder, der über Alleinerziehende abschätzig spricht, sollte eine Woche lang allein mit Kindern dieses Leben führen müssen. Und ich meine damit „wirklich allein“.

Vinschgerwind: Wie definieren Sie Alleinerziehende?
Ida Lanbacher: Eine Alleinerziehende oder ein Alleinerziehender ist jemand, der mit einem oder mehreren Kindern alleine in einem Haushalt lebt, zum Beispiel nach Tod, Trennung, Scheidung, oder eine ledige Mutter mit Kind. Es gibt die echten Alleinerziehenden und die Schein-Alleinerziehenden. Das sind jene, die sich nur als Alleinerziehende ausgeben, de facto aber eine Familie sind. Die falschen Alleinerziehenden schaden den echten.

Vinschgerwind: Es gibt also falsche Alleinerziehende?
Ida Lanbacher: Ja. Noch und nöcher. Wenn wir von 16.000 Alleinerziehenden in Südtirol ausgehen, dann kommen nochmals soviele falsche dazu. Diese nutzen die Rechtslage schamlos aus. Das heißt konkret, Vater, Mutter und Kinder wohnen zwar regelmäßig zusammen, die Wohnsitze sind jedoch getrennt. Es gibt genügend Beispiele, wo Vater oder Mutter den Wohnsitz noch bei den Eltern oder Großeltern haben, also auf einem anderen Familienbogen aufscheinen. Jene, die es sich leisten können, haben oft sogar zwei Wohnungen, um ganz sicher zu gehen. Es hat schon Fälle gegeben, da haben sich Paare zum Schein getrennt. Den größten Vorteil genießen diese überall, wo es Familienkarten gibt.

Vinschgerwind: Und warum das alles?
Ida Lanbacher: Weil mit nur einem Einkommen die Förderungen viel höher ausfallen. Vom Familiengeld angefangen bis hin zum Mietbeitrag. Es geht unterm Strich ums Geld. Zum Schaden der richtigen Alleinerziehenden und auch zum Schaden der Steuerzahler.

Vinschgerwind: Gibt es denn da keine Kontrollen?
Ida Lanbacher: Viel zu wenige! Die Gemeinden, die Meldeämter… die kennen die Schein-Alleinerziehenden und unternehmen nichts. Oft sind es Verwandte, Freunde in den Gremien, die alles decken.

Vinschgerwind: Was müsste geschehen, um diesen Missbrauch zu verhindern?
Ida Lanbacher: Seit längerem fordere ich die Einführung einer Kindergrundsicherung für alle Kinder und die Abschaffung der verschiedenen Familienförderungen des Landes. Wir müssen da einen anderen Zugang finden. Jedes Kind soll das Recht auf eine Kindergrundsicherung haben, unabhängig vom Einkommen der Eltern, dann hört der ganze Missbrauch auf. Und der ganze bürokratische Aufwand, der zurzeit betrieben wird, würde auch flach fallen. Ich bin überzeugt, es würde insgesamt auch weniger kosten.

Vinschgerwind: Sie sind seit 20 Jahren Präsidentin der Südtiroler Plattform für Alleinerziehende. Kann man sagen: Die Plattform ist die erste Anlaufstelle für Alleinerziehende in Not?
Ida Lanbacher: Die letzte Anlaufstelle. Leider.

Vinschgerwind: Warum die letzte?
Ida Lanbacher: Weil zu uns die Alleinerziehenden erst kommen, wenn sie überall schon waren, abgewiesen wurden und wirklich nicht mehr weiter wissen. Wir als Plattform können erst weiterhelfen und aktiv werden, wenn wir um Hilfe gebeten werden. Wir haben aber nicht das Recht, uns in das Leben eines anderen einzumischen.

Vinschgerwind: Auf welche sozialen Leistungen haben Alleinerziehende Anspruch?
Ida Lanbacher: Eigentlich auf dieselben Leistungen wie jede Familie auch. Alle Förderungen sind auf Familien ausgerichtet, ob das nun das Landesfamiliengeld ist oder das Kindergeld. Es gibt keine einzige Förderung explizit für Alleinerziehende. Was es jedoch gibt, ist die sogenannte Unterhaltsvorschussleistung. Die gibt es in Südtirol seit 2003. Konkret heißt das: das Land springt bei fehlender Unterhaltszahlung ein und bevorschusst das Geld. Dieses wird dann von den Säumigen zurückgefordert. Ich bin stolz, dass wir diese Vorschussleistung nach österreichischem Vorbild haben. Aber: Die Einkommensgrenze, damit die Vorschussstelle greift, liegt hier bei 17.000 Euro Netto.

Vinschgerwind: Heißt das, wenn eine alleinerziehende Mutter 17.000 Euro Netto verdient, gibt es nichts?
Ida Lanbacher: Genau. Deshalb gehört die Einkommensgrenze abgeschafft. Denn jedes Kind hat das Recht auf Unterhalt. Dieses Recht sollte gewahrt werden. Außerdem sollte die rechtliche Einforderung der Unterhaltsforderungen kostenlos sein. Denn jede Alleinerziehende macht sich die Rechnung: Gebe ich jetzt zum  Beispiel 500 bis 1.000 Euro für den Rechtsanwalt aus, oder behalte ich das Geld, weil ich morgen Lebensmittel kaufen oder Zahlungen tätigen muss.

Vinschgerwind: Greift in Notfällen nicht das Lebensminimum?
Ida Lanbacher: Wenn eine Mutter keine Arbeit hat, hat sie das Recht auf monatlich  640 Euro für sich und pro Kind 100 Euro. Da fallen auch ältere Leute mit der Mindestrente hinein, deren Rente aufgestockt wird. Der Unterschied zwischen älteren Menschen und Alleinerziehenden ist: Nach drei Monaten muss  sich die Alleinerziehende um eine Arbeit bemühen und muss das auch beweisen. Und wenn die Eltern der Betroffenen einen bestimmten Besitz und ein bestimmtes Einkommen haben, dann bekommt diese Frau kein Lebensminimum. Da greift das sogenannte Harmonisierungsdekret. Ich hatte eine Frau, die musste auf den Strich gehen, damit sie ein Einkommen hatte, bevor sie zu uns kam. Nach den Senioren sind die Alleinerziehenden am meisten armutsgefährdet. An dieser Situation zerbrechen viele.

Vinschgerwind: Was ist dieses sogenannte Harmonisierungsdekret?
Ida Lanbacher: Das gibt es nur in Südtirol. Wenn Alleinerziehende nicht genügend Einkommen haben, werden die Eltern heran gezogen und umgekehrt, wenn ältere Menschen ins Altenheim kommen, zahlen die Kinder.

Vinschgerwind: Was ist der Unterschied zwischen alleinerziehenden Müttern und  alleinerziehenden Vätern?
Ida Lanbacher:  Die Männer sind in einer ganz anderen Situation. Männer arbeiten meist in Vollzeit, und wenn sie in die Situation kommen, alleinerziehend zu sein, haben sie eine andere finanzielle Ausgangslage. Was bei den Männern ganz toll funktioniert, ist die Nachbarschaftshilfe.

Vinschgerwind: Wieviele Fälle betreuen Sie im Jahr?
Ida Lanbacher: Wir haben im Durchschnitt zwei akute Fälle pro Woche.

Vinschgerwind: Zum Beispiel?
Ida Lanbacher: Zum Beispiel der jüngste Fall, wo das Kind in der Nacht weinend aufgewacht ist, weil es am Vortag mit dem Vater duschen und sein Ding streicheln musste. Die Mutter muss nun den Missbrauch nachweisen, und nicht einmal ihre Anwältin glaubt ihr. Ein anderes Beispiel ist eine Frau, deren Mann mit einem Trick erreicht hat, dass sie ihm das Haus überschrieben hat. Dann hat er sie hinausgeworfen. Ganz oft können die Frauen die Miete nicht mehr bezahlen. Ein Kind kann nicht mehr in den Kindergarten gehen, weil das Geld für den Kindergartenbeitrag nicht da ist.

Vinschgerwind: Wer unterstützt Ihre Arbeit?
Ida Lanbacher: Ein ganz wichtiger Partner ist die Vinzenzgemeinschaft, die ganz schnell und unbürokratisch hilft. Wir arbeiten mit dem Beirat für Chancengleichheit zusammen und mit den Sozialsprengeln. Den größten finanziellen Beitrag bekommen wir jedes Jahr zu Weihnachten von der Stiftung Südtiroler Sparkasse. Wir haben auch Rechtsanwälte, die kostenlose Beratungen für Alleinerziehende anbieten, im Vinschgau ist das zum Beispiel nur der Rechtsanwalt Dilitz.

Vinschgerwind: Was ist seit 20 Jahren Ihre Motivation, immer wieder weiterzumachen und wie viele ehrenamtliche Stunden investieren Sie?
Ida Lanbacher: Das sind rund 1.000 Stunden im Jahr. Ich muss sagen, Gertrud Callenzani vom Arbeitskreis Eltern Behinderter ist für mich ein großes Vorbild. Die Motivation ist die Freude und Dankbarkeit, die mir Betroffene und Kinder entgegenbringen, nachdem ich sie „aus dem Dreck gezogen“ habe.

Vinschgerwind: Worüber haben Sie sich in den 20 Jahren am meisten geärgert?
Ida Lanbacher: Geärgert weniger, aber enttäuscht bin ich darüber, wie wenig Dankbarkeit in Form von Mitgliedsbeiträgen zurückkommt. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 20 Euro, das ist nicht einmal ein Kaffee im Monat. Wenn ich vergleiche, wie vielen wir helfen und wie wenig da zurückkommt, dann bin ich schon über die mangelnde Solidarität jener enttäuscht, denen es wieder besser geht. Etwas muss ich noch erzählen, da hab ich mich zwar nicht geärgert, aber trotzdem: Als wir 2004 das 10-jährige Bestehen der Plattform für Alleinerziehende in Schlums bei Kastelbell gefeiert haben, hat LR Richard Theiner in seiner Festrede folgenden Satz gesagt: „Ich bin überzeugt, dass es die Plattform für Alleinerziehende in 10 Jahren nicht mehr braucht.“ Und ich muss jetzt nach 14 Jahren mit Bedauern feststellen: Die Plattform für Alleinerziehende braucht es mehr denn je!

Interview: Angelika Ploner und Magdalena Dietl Sapelza

 

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Die  Südtiroler Plattform für Alleinerziehende  setzt sich ein für getrennt lebende  und geschiedene Eltern, für Verwitwete, für ledige Mütter sowie für Patchworkfamilien.

Die Plattform tritt ein für:
- angemessene wirtschaftliche Grundsicherung für jedes Kind
- kostenlosen Rechtsbeistand bei Unterhaltsforderungen
- Unterhaltsvorschuss unabhängig vom Einkommen
- Arbeitsplätze für Alleinerziehende zu familienfreundlichen Bedingungen
- flexible, kostengünstige Kinderbetreuung besonders im Sommer
- erschwingliche Wohnungen und angemessene Mietbeiträge

Südtiroler Plattform
für Alleinerziehende
Pramstallerhof Dolomitenstr. 14
39100 BOZEN
Telefon: 0473 30 00 38
info@alleinerziehende.it

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