Hermann Knoflacher: Ich bin 1986 von der Umweltschutzgruppe Vinschgau zu einer Veranstaltung in Naturns eingeladen worden, um fachlich die Folgen der geplanten und beschlossenen Schnellstraße durch den Vinschgau darzustellen. Der damalige BM Walter Weiss ist darauf mit dem gesamten Ausschuss nach Wien gekommen, um meine Projekte anzuschauen. Das alte Straßenprojekt im Untervinschgau wurde dann fallen gelassen. Später bin ich der Gemeinde Schlanders mit dem Verkehrskonzept beauftragt worden, aus dem die Fußgängerzone entstand. Ich habe zum Vinschgau und zu Südtirol insgesamt ein positives Verhältnis, weil hier zum Glück nicht allzu viel zerstört wurde. Ich habe auch immer die Eigenständigkeit der Vinschger geschätzt und die kritische Position zu allem, auch zu mir, aber dann auch die Handfestigkeit bei der Umsetzung. Ich konnte in Schlanders die schnellste Fußgängerzone meines Lebens machen und ich habe viele gemacht. Bei meinem letzten Aufenthalt in Schlanders bin ich durch die Fußgängerzone gegangen und habe mich irgendwie daheim gefühlt. Beim Kreisverkehr war es nicht ganz einfach. Die ANAS hat verlangt, dass ich die Verantwortung übernehme. Das habe ich selbstverständlich gemacht. Positiv sehe ich auch, dass die Vinschger die Vinschgerbahn durchgesetzt haben. 2005 haben wir das Verkehrskonzept für den ganzen Vinschgau gemacht, im Auftrag der Bezirksgemeinschaft. Das ist ein Musterbeispiel für eine Planungskultur. Das sind die positiven Erfahrungen. Es tut mir leid und es schmerzt mich, dass Glurns noch nicht autofrei ist. Die Stadt schreit nach Autofreiheit und ich habe auch entsprechende Pläne vorgelegt. Falsch finde ich, dass nach der gültigen Bauordnung bei jedem Haus auch ein Garagenplatz dabei sein muss, aber das ist ein Fehler in ganz Europa. Damit zerstört man die Ortschaften und Kaufkraft fließt ab.
Vinschgerwind: Als Verkehrsplaner haben Sie sich immer für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, von Rad- und Fußwegen eingesetzt. Ihr Ziel war und ist eine menschengerechte und nicht eine autogerechte Stadt bzw. Dorf. Das Auto bezeichnen sie als ein „Stehzeug“ und nicht als Fahrzeug, da es die meiste Zeit irgendwo geparkt wird. Ein Buch von Ihnen heißt „Landschaft ohne Autobahnen“. Wie kann der Individualverkehr eingeschränkt werden?
Knoflacher: Der ideale Individualverkehr ist der Fußgängerverkehr. Er ist sozial verträglich und erfüllt alle Nachhaltigkeitskriterien. Unsere ganze menschliche Kultur ist darauf gewachsen. Es ist die einzige Mobilitätsform, wo sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen. Das Rad ist auch ein nachhaltiges Verkehrsmittel, geeignet auch für Städte, die Chinesen haben das ja lange vorexerziert. Der öffentliche Verkehr ist wichtig für die regionalen und internationalen Verbindungen und im städtischen Gebiet. Der Autoverkehr ist individuell eine fantastische Geschichte, aber im System ist er sehr schädigend. Er braucht viel Platz, er verträgt sich nicht mit der dörflichen bzw. städtischen Struktur, der Autoverkehr zerstört Dörfer und Städte. Wir wissen, dass im Verkehrssystem keine Zeit gespart wird. Wenn Sie Geschwindigkeit ins System bringen, ändert sich die Struktur. Quelle und Ziel liegen immer weiter auseinander und damit entstehen die Shoppingcenter und die Folge ist Kaufkraftabfluss und Verlust von Arbeitsplätzen.
Vinschgerwind: Die Rolle des Autos in der Zukunft, wie sieht die aus?
Knoflacher: Es hängt immer davon ab, welche Zukunft man haben will. Eine menschengerechte, nachhaltige Zukunft in Orten, wo Kinder und alte Menschen sicher und glücklich sind, da muss dem Auto der Platz genommen und die Menschen von der Autosucht befreit werden. Das Auto muss nicht bekämpft werden, aber es muss aus dem Ort hinaus und vor dem Ort geparkt werden. In dem Moment, wo das eigene Auto weg von der eigenen Wohnung ist und der Zugang erschwert wird, beginnt die geistige Mobilität.
Vinschgerwind: Durch die Globalisierung und das Internet nimmt der Personen- und Warenverkehr zu. Der Internetversand ist im Steigen. Haben kleine Kreisläufe und Tante-Emmaläden, wie es sie bei uns in den Dörfern noch gibt, wirklich eine Zukunft?
Knoflacher: In und um die Städte herum entwickeln sich wieder kleine Läden, weil die Leute darauf kommen, dass die Qualität der Waren von regionalen Erzeugern entscheidend ist, nicht der Preis. Auf dem Land, wo sich die Leute kennen und wissen, wie die Produkte erzeugt werden, ist das ein wichtiger Faktor, der noch stärker ins Bewusstsein gebracht werden muss. Die Menschen müssen verstehen, wenn das Geld in der näheren Umgebung ausgegeben wird, dann werden dadurch auch Wirtschaftsstrukturen, Arbeitsplätze und Sozialstrukturen erhalten. Wenn ich das Geld in Shoppingzentren oder Internet ausgebe, ist es im internationalen „Spielkasino“ und die haben kein Interesse regionale Strukturen zu erhalten. Das einzige Interesse der internationalen Akteure ist ihr Kapital zu vermehren, auf Kosten anderer. Wenn das Geld anderswo hinfließt, fehlt es dort, wo man es braucht. Eine der wichtigsten Geschichten des Verkehrswesens sind die Verkehrsbeziehungen des Kapitals. Deshalb üben Verkehrsstrukturen großen Einfluss auf die Wirtschaftsstrukturen und die Geldströme aus.
Vinschgerwind: Die Stadt Glurns autofrei zu gestalten ist eine Ihrer Ideen. Welche weiteren Ideen und Anregungen für den öffentlichen Verkehr im Vinschgau haben Sie?
Knoflacher: Es braucht Konzepte und Systeme, um die Geldflüsse in der Region zu behalten. 12 Jahre nach der ersten Erhebung der Verkehrsströme hat sich im Vinschgau sehr viel verändert, was man wissen sollte, um sich auf die Zukunft vorzubereiten, um die zukünftige Entwicklung des Verkehrs, aber auch der Wirtschaftsentwicklung besser steuern zu können. Man könnte erheben, was sich durch die Bahn, durch die Einwohnerstruktur und durch die Veränderung der Wirtschaftsstruktur tatsächlich verändert hat und wo es hingehen soll.
Vinschgerwind: Als emeritierter Professor sind Sie immer noch aktiv. Sie sind Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Toblacher Gespräche und bestreiten einen Seminarblock zum Thema „Verkehr und regionale Wirtschaft“ beim Kurs der Baubiologen in der Landesberufsschule in Schlanders. Womit beschäftigen Sie sich noch?
Knoflacher: Ich mache immer noch Verkehrsplanungen, wenn man mich braucht. Ein Buch über die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Wien ist gerade erschienen. Ich habe mit einer Kollegin aus der Türkei ein Buch über Werkzeuge nachhaltiger Verkehrsplanungen herausgebracht, halte Kurse in Indien und bin Mitglied internationaler Fachorganisationen. Ich beschäftige mich mit dem Menschen und der Gesellschaft. Durch die Arbeiten von Konrad Lorenz und Rupert Riedl konnte ich die evolutionären uralten Mechanismen erkennen, die in der Evolution vorteilhaft waren, sich aber durch die Technik gegen den Menschen verdrehen. Der Verkehr und das Auto sind so ein Problem. Energie sparen war immer eine Überlebensfrage der Menschheit. Beim Auto erleben wir individuell im Kopf weniger Energieaufwand, aber was dabei mit uns und der Umwelt passiert, wurde nicht verstanden und hat zu den Irrtümern geführt, die wir als Probleme wahrnehmen.
Interview: Heinrich Zoderer
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