Dienstag, 10 Oktober 2017 12:00

Essen mit Freude

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s10 5Zum Welternährungstag bringt der Vinschgerwind ein Gastinterview im doppelten Sinne: Die Interviewpartner werden von der oew, von der Organisation für Eine solidarisch Welt, ausgesucht und Maria Lobis ist die Interviewerin. Die oew mit Sitz in Brixen gibt auch die Straßenzeitung Zebra heraus. Um eine Zusammenarbeit angefragt hat uns Lisa Frei von der Zebra-Redaktion. Gerne sind wir dem nachgekommen.

Essen ist mehr als satt werden. Lebensmittel sind Mittel zum Leben. Das Wissen über Vielfalt und Nachhaltigkeit gerät in Vergessenheit. Am 16. Oktober ist Welternährungstag. Die oew-Organisation für Eine solidarische Welt bittet an den Tisch: Produzenten von biologischem Obst und Gemüse tauschen sich mit Einkäuferinnen und Abnehmern aus der Gastronomie aus. Ein Gespräch über Durchhaltevermögen, Natürlichkeit und Hoffnung.

oew: Warum hat vinterra mit dem Anbau von biologischem Obst und Gemüse begonnen?
Martina Hellrigl: Die treibende Kraft dahinter war Josef Gruber. Er bringt wertvolle Erfahrung als Sozialarbeiter und Bauer ein. Auf 2,2 Hektar Land bauen wir in Mals und Laatsch biologisches Obst und Gemüse an. Wir verkaufen es an die Gastronomie und öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Altersheime. Um unser Spektrum zu erweitern und unser Gemüse selbst weiterzuverarbeiten, haben wir 2016 mit der „Stroossnkuch“ ein zweites Standbein aufgebaut. Es handelt sich um einen hochwertigen Imbissstand mitten im Dorf. Von Ende April bis Mitte Oktober bieten wir mittags neben klassischen Imbiss-Speisen einen ständig wechselnden Tagesteller an. Dafür verwenden wir hauptsächlich Produkte von vinterra und bereiten sie nach bodenständigen Rezepten zu. Künftig wollen wir unser Gemüse nicht nur wie bisher direkt vermarkten, sondern verstärkt auch selbst veredeln.

oew: Warum sind Ihnen gesunde Lebensmittel ein Anliegen, Herr Sagmeister?
Robert Sagmeister: Schon meinem Vater war das Biologische, Saisonale und Lokale in unserem Gastbetrieb sehr wichtig. Vor 30 Jahren hat er hier die vegetarische Küche eingeführt. Die Sensibilität für gesunde Produkte habe ich sozusagen geerbt. Da wir in Mals peripher angesiedelt sind, gibt es nur wenige Lieferanten, die passende Produkte liefern. Umso mehr freut es mich, dass wir mit der Sozialgenossenschaft „vinterra“ einen Lieferanten haben, der kontinuierlich hochwertiges und biologisches Gemüse anbietet.

vinterra
Als gemeinwohlorientiertes Unternehmen unterstützt die Obervinschger Sozialgenossenschaft benachteiligte Menschen, indem sie geregelte Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schafft. Die MitarbeiterInnen bauen biologisches Gemüse an, verarbeiten und veredeln die eigenen Erzeugnisse und bieten sie unter anderem in der „Stroossnkuch“ in Mals an. Das Gründungsteam besteht aus Amalia Wallnöfer, Franz Hofer, Friedrich Haring, Giorgio Vallazza, Günther Pitscheider, Josef Gruber, Martina Hellrigl, Oswald Moser, Peter Grassl und Werner Schönthaler.

oew: Schätzen Ihre Gäste dieses Angebot?
Robert Sagmeister: Wir haben weder Schwimmbad noch Sauna und doch sind acht von zehn Gästen Stammgäste. Als kleiner Betrieb mit Platz für 30 Haus- und 30 Restaurantgäste haben wir nur eine Chance, wenn wir Qualität anbieten. Mittlerweile kommt jeder zweite Gast, weil er auf der Suche nach gesunder Küche ist. Manche Gäste haben eine schulmedizinische Odyssee hinter sich und haben durch Ernährungsumstellung und Bewegung zurück ins Leben gefunden. Sie schätzen unsere getreide- und gemüseintensive Küche und das Salatbuffet. Wir belassen die Grundprodukte so natürlich wie möglich und geben auch Rohköstlern die Möglichkeit, bei uns zu urlauben. Meine Schwester Sonja, selbst Ernährungsberaterin, sorgt mit ihrem Wissen für die einwandfreie Zubereitung der vegetarischen Speisen im Brukerschen Sinn. Max Otto Bruker (1909 bis 2001) war ein Ernährungspionier. Er hat in Deutschland jahrzehntelang biologische Krankenhäuser geleitet. Wir arbeiten auch mit dem Gesundheitszentrum „Dr. Max Otto Bruker Haus“ in Lahnstein bei Koblenz zusammen. Zwei- bis dreimal in der Woche begleiten wir unsere Gäste außerdem zu mehrstündigen Wanderungen und Bergtouren in die umgebenden Berge.

oew: Vinterra beliefert auch verschiedene Restaurants. Warum ist die Zahl dieser Abnehmer eher im Sinken?
Martina Hellrigl: Leider arbeiten viele Gastbetriebe am Limit, haben große Personal- und Investitionskosten. Beim Lebensmitteleinkauf versuchen sie zu sparen. Sie wollen mit uns über den Preis verhandeln. Der Wert der Lebensmittel wird leider nicht anerkannt. Einige Kunden sind daher abgesprungen. Für uns sind die Köche wichtig. Wenn sie auf biologisches Gemüse beharren, gewinnen sie meist auch die Gaststättenbetreiber dafür. Der Gesundheitsaspekt ist einigen sehr wichtig und wird in manchen öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten oder Altersheimen in den Mittelpunkt gerückt.

oew: Ist Bio für ein Restaurant auf Dauer nicht leistbar, Herr Sagmeister?
Robert Sagmeister: Bei hochwertigem Gemüse schaue ich nicht auf den Preis. Unsere Gäste wollen Qualität und wir wollen das für unsere Gäste. Wir sind ein Familienbetrieb und arbeiten alle zusammen, sonst wäre das nicht machbar. Wie viele andere auch, leiden wir unter der hohen Steuer- und Abgabenlast. Mein Vater fährt Woche für Woche zu Produzenten und holt dort Säfte, Butter, Käse, Essig und anderes mehr. Das ist sehr zeitaufwendig. Aber die Überzeugung, dass nur kleine, regionale Kreisläufe unsere kleinstrukturierte Landwirtschaft, unsere Wirtschaft und auch den Tourismus am Leben erhalten und der stete Blick auf die Gesundheit sind uns das wert. Natürlich gibt es auch Kritiker, die sich in Online-Foren darüber beschweren, dass es bei uns zu teuer sei. Aber unsere Betriebsbilanzen sprechen eine andere Sprache. Wir sind nun mal auch wirtschaftlichen Zwängen ausgeliefert. Die meisten unserer Gäste wissen, dass wir das Getreide für das Vollkornbrot selber mahlen, und Teigwaren wie Ravioli selbst herstellen. Das ist sehr arbeitsintensiv. In der Küche  beschäftigen wir fünf Leute. Bei diesem Mitarbeiterschlüssel werden andernorts doppelt so viele Leute bekocht.
Martina Hellrigl: Es geht uns um faire Preise und gerechte Löhne. Als Sozialgenossenschaft arbeiten wir nicht gewinnorientiert.

oew: vinterra bietet im Sommer zwischen 15 und 20 Gemüsesorten an. Warum ist Vielfalt wichtig?
Martina Hellrigl: Jeder Sommer ist anders. Nicht jedes Jahr ernten wir von jedem Gemüse gleich viel – obwohl wir die Fruchtfolge einhalten und die Sorten zum Schutz der Böden wechseln. Die Vielfalt macht uns unabhängig. Wir arbeiten mit GAS-Gruppen zusammen, die größere Mengen abnehmen. Und wir haben auch Privatkunden, die vor allem Lagergemüse wie Karotten, Lauch, Zwiebeln, Blaukraut oder Kürbis bei uns kaufen. Im vorigen Winter haben wir erstmals mit dem Veredeln begonnen, haben Sauerkraut und Gemüseaufstriche hergestellt. Dieser Zweig ist ausbaufähig. Wir haben keine Kühlzellen, ernten das reife Obst und Gemüse auf Bestellung und liefern es direkt.

oew: Warum ist Ihnen persönlich Naturnähe so wichtig?
Martina Hellrigl: Vielleicht würde mein Körper konventionelles Obst und Gemüse vertragen und verarbeiten. Aber seit ich weiß, wie sich konventionelle Landwirtschaft auf die Böden und das gesamte Umfeld auswirken, konsumiere ich biologische Lebensmittel. Ich bewundere jeden Bauer, der Mut und Freude hat, Verantwortung für den eigenen Boden zu übernehmen. Und ich freue mich, wenn ich nur mit wenigen Lebensmitteln aus dem Laden komme, weil ich das meiste selbst im Garten habe oder aus lokalen Quellen beziehen kann. Wir sollten unsere Erde nicht nur für unsere Kinder, sondern auch für unsere Enkelkinder bewohnbar hinterlassen. Als vinterra möchten wir, dass Menschen wieder einen Bezug zu Lebensmitteln und zum Boden entwickeln.
Robert Sagmeister: Meine Wurzeln hier in Mals und im Vinschgau sind sehr tief. Ich freue mich, wenn ich unsere Gäste in die Natur hinausbringen und ihnen die Angst vor der grandiosen Schöpfung nehmen kann. Ja, viele haben Angst und jeden Bezug zur Natur verloren. Viele gehen von hier mit dem Vorsatz weg, weniger Fleisch zu konsumieren und generell kritischer und achtsamer zu sein.
Interview: Maria Lobis
oew Organisation für
Eine solidarische Welt
http://www.oew.org

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