Dienstag, 18 April 2017 09:26

Das gelobte Land

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blasesegg wielander6Es ist Kanaan, das Land der Verheißung. Vierzig Jahre lang irrten die Juden durch die Wüste auf der Suche nach dem versprochenen Land. Das lesen wir in der Bibel.
Auch in unserem Land kennen wir die Landsuche, schon seit tausend Jahren, seit dem massiven Anwachsen der Bevölkerung um 1200. Die entlegensten, bisher unerschlossenen inneren Talgründe wurden damals gerodet.

Mit Hilfe des Landesfürsten und anderer Feudalherren wurden auch steile Bergflanken erschlossen; so entstanden die meisten unserer Berghöfe. Um 1400 war diese extreme Binnensiedlung weitgehend abgeschlossen. Für die damals mit Hilfe der Grundherren durchgeführten Waldrodungen musste ein Zins gezahlt werden. Die wiederholt auftretenden Hofnamen „Greit“ oder „Raut“ weisen auf diese Herkunft.
Heinrich Spechtenhauser aus Unser Frau in Schnals war ein kleiner Pächter, der sich durch den Ankauf eines eigenen ausserberger hfe vergrssertHofes verbessern wollte. Derartige Angebote gab es hier im Vinschgau genügend, aber wenig Fahrzeuge und Autobusverbindungen. Man musste überall sparen und so machte sich der Heinrich zu Fuß auf Schusters Rappen nach Schlanders. Über das Taschl Jöchl. Nach der letzten Alm öffnet sich der Blick durch die tief eingeschnittene Talschlucht des Schlandraunbaches. Endlich blicken wir ins Haupttal. Es ist schönes Wetter. Draußen im Vinschgau bestrahlt die Abendsonne den Nördersberg und lässt einen einsam liegenden Hof mit den umliegenden Gütern hell aufleuchten.
Da denkt sich der Heinrich: „Wenn ich den bekommen könnte, diesen kleinen Hof mitten im Wald, dann wäre mein Glück gemacht!“ Und er hat ihn bekommen, den Blasenegghof; er hat ihn über 40 Jahre lang mit seiner großen Familie bewirtschaftet. Der auf 1154 m Meereshöhe liegende Hof ist schwierig zu bearbeiten, vor allem wegen Wassermangel. Beim „Plündern“, also beim Umzug in den am Fuße des Nörderberges gelegenen Hof in Holzbrugg, durfte die kleine Edelgart das Pendel der Hausuhr tragen, ein symbolisches Wegtragen der Zeit auf dem Hof Blasenegg.
Verlassen musste ihn die Familie Spechtenhauser aber erst wegen eines gewaltigen Frostschadens durch einen späten Kälteeinbruch des Frühjahres 1956. Der bereits aufgetaute Boden war zu einem riesigen Eisschild erstarrt. Wegen des hohen Gewichtes und weiterer Schneefälle rutschte die Acker- und Wiesenerde haltlos in die Tiefe, in den darunter blasesegg wielander6 2liegenden Wald. Das gelobte Land war buchstäblich verschwunden.
Der Namen Blasenegg erklärt sich durch ähnliche Namen, durch andere „Egghöfe“, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden: Kopfenegg, Niederegg ... jede noch so kleine Fläche wurde genutzt. Die Höfe konnten flächenmäßig kaum erweitert werden und sind vor allem durch den Kinderreichtum gewachsen. Es musste immer wieder dazu gebaut und auswärts Arbeit gefunden werden.
Geblieben ist die Zinsabhängigkeit gegenüber den Förderern als Erinnerung an die gegenseitige Hilfeleistung. So musste zum Beispiel der Hof Laggar pro Jahr zwei Schneehühner nach Schloss Tirol „zinsen“; ähnliche symbolische Steuerrechte haben sich bis in die neueste Zeit erhalten.
Die Neusiedler waren meist deutschsprachig und kamen aus dem alemannisch-bayerischen Raum. Neue Wohn- und Wirtschaftsplätze mussten erschlossen werden ... Verdrängung oder direkte Vertreibung der rätoromanischen Bevölkerung? Dieser Umbruch erfolgte weitgehend friedlich. Im Gebiet von Schlanders, also im Mittelvinschgau, setzte sich das Deutsche allmählich gegenüber dem Rätoromanischen durch; die älteren, meist rätoromanischen Orts- und Flurnamen wurden angeglichen oder übernommen.
Aus den von Christine Rollo bearbeiteten Akten aus dem Südtiroler Landesarchiv ergibt sich unter anderem, dass sich zeitweise zwei Familien die kleine Küche von Blasenegg teilen mussten. Die zahlreichen Familienmitglieder mussten zu fünft und mehr in einer Kammer wohnen. Rücksichtnahme und Bescheidenheit waren oberstes Gebot.
Der Hof Blasenegg wechselte im Laufe der Jahrhunderte oft den Besitzer, war nicht immer ständig bewohnt und diente zeitweise zur Unterbringung von Schlachtvieh. Für ein paar Jahre hauste hier sogar ein Einsiedler. Eduard kam aus Deutschland und baute allerlei Gemüse an, das er gut verkaufte und zwar an eine Kundschaft, die sich die biologisch wertvolle Kost selbst abholte. Man tut alles für die Gesundheit in dieser vergifteten Welt, die übrigens bald untergehen wird ... der Einsiedler wussten es genau. Und so entwickelte er komplizierte Überlebensstrategien. Und weil ich ihm nicht immer folgen konnte, schenkte er mir das Buch von Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“.
Die Geschichte des jetzigen Hofes Blasenegg beginnt mit einem Gedicht von Franz Tumler. Der aus dem Vinschgau stammende Dichter hatte nämlich Besitzrechte im Wald von Blasenegg, die er allerdings nicht durchsetzen konnte. Franz ebenspergerdietlTumler, der ewige Heimatsucher, schrieb immerhin ein Gedicht „Blasenego“, weil ihm der italienische Name gefiel. „Die Grenze zwischen Italien und Österreich ist in Wirklichkeit ein Stück Wald“, lautet eine Zeile des Gedichtes. Die abstruse, von den Faschisten befohlene Übersetzung „Blasenego“ hat poetische Qualität, zumindest für Franz Tumler, der den italienischen Titel laut und mit ironischem Unterton vorzulesen pflegte.
Der jetzige Hofbesitzer lernte den Dichter bei einem Künstlertreffen auf den Rimpfhöfen kennen; dabei kamen sie auch auf das Gedicht zu sprechen. Was für Tumler ein papierener Traum war, wurde vom Günther in die Tat umgesetzt. Er hat  die Mittel für die nötigsten Anschaffungen, vor allem verfügt er über Fachkräfte, die ihm helfen, die vielen steinernen Absätze und Wege gangbar zu machen.
Der Betrieb in Vetzan, auf den der Günther vom Hof aus blicken kann, handelt mit Steinen, Holzböden und Fliesen. Die Liebe zu den Steinen hat durchaus etwas mit Franz Tumler zu tun. So wie der Dichter um den richtigen Ausdruck  ringt und in jedes Wort hineinhört, so verfährt der Günther mit den Steinen: Im Rohzustand sind sie meist  unscheinbar; erst geschnitten und angeschliffen beginnen sie zu leuchten und zeigen ihre „poetische“ Struktur.  
Das alte Bauernhaus wird liebevoll hergerichtet, auch der Garten hat eine tüchtige Erneuerung erfahren. Wasser und Strom sind zwar noch immer knapp, aber ein Windrad dreht sich emsig. Jetzt wird also auf Blasenegg etwas verwirklicht, was sich viele nur erträumen: Ort der Begegnung, Vielfalt verbunden mit Toleranz. Vielfalt ist auch hier oberstes Gebot und Weitblick. Aber das gehört zur besonderen Qualität der Besitzer dieses Hofes.
Hans Wielander

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