Die Schafhalter sind Schafnarren, Angestellte, Jung- und Altbauern in Äpfeldörfern, die noch an Tieren hängen. „Richtige“ Viehbauern mit Schafen gibt bei uns nicht mehr allzu viele, die haben ihre Hände voll zu tun mit ihren Turbokühen und haben nicht mehr derweil, dem Happvieh nachzurennen.
Anders in der Lombardei. Da ist Schäfer-Sein noch ein Beruf für ein ganzes Leben, jahraus, jahrein. Im Bildband „Transumanza“ porträtiert der Fotograf Stefano Carnelli drei junge Schäfer, die mit ihren Herden den Winter in der Ebene um Domodossola und den Sommer in den Bergen verbringen. Die lapidaren Bilder haben keinen Kommentar, sprechen nur für sich selbst. Aber es sind starke Aussagen, wo die archaische Welt der Wanderwirtschaft auf eine meist hässliche und gesichtslose Moderne trifft. Die jungen Schäfer haben ihre Wanderzüge von ihren Vätern übernommen, kennen die alten Wanderzüge der anderen. Nur: Verstädterung und Asphalt fressen sich in die alten Weideflächen, freie Felder werden übers Jahr mit Wohnsilos überbaut, neue Straßen und Autobahnen durchschneiden alte Weidewege. Mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit trottet da die Herde durch eine städtische Wohnsiedlung, knabbern die Schafe an Zierzäunen in der Vorstadt, nehmen eine Unterführung, weiden in Nähe von industriellen Zweckbauten. Oft müssen die Schäfer neue Wege und Weiden suchen und mit den Grundbesitzern absprechen, weil die alten verbaut und zubetoniert sind. Daneben ist der Alltag portraitiert, das Leben im Wohnwagen, das Scheren – die Wolle bringt ganz wenig mehr – der Verkauf von Tieren. Die Herden sind angeblich größer geworden, erfahren wir im abschließenden Essay von Monica Sassatelli. Gefragt ist heute vielmehr das Schaffleisch. Und da trifft die alte Weidewanderwirtschaft auf eine neue Wanderung: die Migration. Die wachsenden muslimischen Gemeinden in den lombardischen Ballungszentren verlangen immer mehr Fleisch, das „halal“ ist, das den muslimischen Reinheitsgeboten entspricht. Für die Schäfer ein gutes Geschäft, das ihnen das Überleben sichert. Andere Migranten scheinen in der Gegend weit weniger gern gesehen zu sein: „Pastore“ haben die Schäfer ungelenk auf ihre Wohnwagen geschrieben, um nicht mit Romas verwechselt zu werden.
Ein Buch, das einen unromantischen Blick auf einen der ältesten Berufe der Menschen wirft, das unspektakuläre und gerade deshalb ehrliche und eindringliche Bilder liefert. Und das Hoffnung macht: An den entzündeten Rändern unserer Zivilisation lebt unverändert Altes Leben fort.
Sebastian Marseiler
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