Der Windgrat ist ein Extremstandort. Pflanzen, die dort siedeln, sind Spezialisten. Sie sind ob ihrer Anpassungen konkurrenzstärker gegenüber anderen Arten. Die Alpenazalee ist ein solcher Nischenspezialist. Das Schneehuhn und die Gämse überleben die nahrungsknappe Winterzeit, in der es gilt, mit den Energiereserven sparsam zu haushalten, auch am Windgrat. In ihrer Verdauung können sie die zellulosereiche, schwer erschließbaren und energiearmen Blätter und Triebe der Alpenazalee erschließen.
Ökologisch sensible und verantwortungsbewusste Wintersportler für die Biodiversität leisten bei ihren Skitouren oder Schneeschuhwanderungen einen Beitrag zur Energiebilanz der Hochgebirgstiere, wenn sie auch diese Extremstandorte meiden, an denen Arten wie das Schneehuhn oder die Gämse ihre karge Winternahrung aufnehmen.
Die Alpenazalee
Die Alpenazalee oder Gämsheide, mit wissenschaftlichem Namen Loiseleuria procumbens ist ein Standortspezialist unter den Hochgebirgspflanzen, der sich den Windgrat als einen extremen Nischenstandort erschlossen hat. Als kriechender, niederliegender (procumbens), vielverzweigter und verholzender Spalierstrauch wächst er engstens an den Boden angeschmiegt. Die Blätter als verdunstende Organe sollen dank dieser Wuchsform dem austrocknenden Wind keine Angriffsfläche bieten. Andererseits müssen die Blätter über die Photosynthese Energie als Betriebs- und Baustoffe liefern. Die Alpenazalee hat dazu im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung kleinste ellipsenförmige Blättchen entwickelt, die an der Oberseite von einer ledrigen Cuticula als isolierende Außenhaut überzogen sind. Die Spaltöffnungen, durch welche das Kohlendioxid aus der Luft als Grundstoff für die Photosynthese in die Blätter gelangt, sind nur an den Blattunterseiten angeordnet. Zu groß wäre das Risiko eines bedrohlichen Wasserverlustes durch Transpiration über Spaltöffnungen an der Blattoberseite. Um den Verdunstungsschutz noch zu verbessern, sind die Blättchen der Alpenazalee als Rollblättchen ausgebildet. In den kleinen Kammern an der wind- und sonnenabgewendeten Blattunterseite entstehen wasserdampfgesättigte Innenräume, in denen der Gasaustausch für die Photosynthese und Atmung ohne tötliche Wasserverluste möglich ist.
Durch diese morphologischen und anatomischen Anpassungen hat sich die Alpenazalee den Windgrat als Nische und Lebensraum erschlossen, auf dem sie nicht dem Konkurrenzdruck anderer hochalpiner Pflanzenarten unterliegt. Die Blüten der Alpenazalee verraten die Zugehörigkeit der Pflanzenart zur Familie der Heidekrautgewächse (Ericaceae). Die Alpenazalee heißt auch Gämsheide, weil sie im Winter an windaperen Graten zur Überlebensration der Gämse gehört.
Die Frosttrocknis
Die Zirbe und die Lärche sind die höchstaufsteigenden Baumarten in den Alpen und bilden die Wald- und Baumgrenze. Die Lärche ist sommergrün und wirft im Herbst ihre Nadeln ab. Dadurch schützt sich die Baumart vor Frostschäden und Wasserverlusten. Die Zirbe ist hingegen immergrün. Ihre langen, dünnen Nadeln sitzen in Fünferbündeln an den Trieben und werden mehrere Jahre alt, bis die Zirbe die alten Nadeljahrgänge ausnadelt. Die Zirbe ist die einzige einheimische fünfnadelige Kiefernart, alle anderen heimischen Kiefern sind zweinadelig. Bis die Zirbe zu einem staatlichen Baum heranwächst, muss sie viele kritische Situationen meistern. Eine lebensbedrohliche Situation ist die Frosttrocknis: Im winterlichen Boden herrscht Frost, das Wasser ist als Eis gebunden. Und Eis ist der Aggregatzustand des Wassers, den die Pflanzenwurzel nicht nutzen kann. Andererseits sind die Triebe und Äste der Jungzirben, welche über die Schneedecke herausragen an Schönwettertagen der intensiven Sonneneinstrahlung des Hochgebirgswinters ausgesetzt. Bekanntlich ist im Hochgebirge der Anteil an ultraviolettem Licht im Lichtspektrum besonders hoch. Hohe Dosen an ultraviolettem Licht sind zellschädigend. Während also aus dem gefrorenen Boden kein Wasser nachgeliefert werden kann, entzieht die intensive Sonnenstrahlung über dem Schnee, der zusätzlich noch von unten reflektiert, den Zweigen das Wasser: Die Verdunstung von Gewebswasser kann für Äste von Jungzirben knapp oberhalb der Schneedecke lebensbedrohlich werden. Die Zirbennadeln sind mit Wachsstreifen überzogen, um diese Wasserverluste durch Transpiration zu vermindern und die Trockenresistenz zu erhöhen. Trotzdem kann nach langen, strahlungsintensiven Schönwetterperioden die Austrocknung bis an die Letalitätsgrenze fortschreiten und die Triebe sterben ab. Ihr Tod ist nicht ein Kältetod, sondern ein Dürretod, der pflanzenphysiologisch als Frosttrocknis benannt wird. Die Frosttrocknis-Schäden der Jungzirben sind an der rostrot-braunen Färbung der abgestorbenen Triebe erkenntlich. Schäden durch den Schneeschimmelpilz (Herpotrichia nigra) nach monatelangem Einschluss in der Schneedecke sind hingegen an den grauen, zerbröselnden Zirbennadeln erkennbar.
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