Buchbesprechung
Joachim Meyerhoff:
Hamster im hinteren Stromgebiet.
Roman. Kiepenheuer und Witsch: 2020. 320 S.
Einen fünften Band hatte Meyerhoff in seinem autobiographischen Romanzyklus nicht geplant. Doch ein Schlaganfall hob vor einigen Jahren das Leben des damals 51-Jährigen aus den Angeln. Aus dem gefeierten Schauspieler, der oft entfesselt über die Bühne gehoppelt war und die ärgsten Figuren verkörpert hatte, wurde jäh ein halbseitig gelähmter Intensivpatient. Vollbremsung. Er sagt der Misere den Kampf an. Wie er sich an Erinnerungen entlang hangelt, sich einen Druckverband an Geschichten verpasst, um nicht in Angst und Hoffnungslosigkeit unterzugehen, protokolliert er schonungslos. So tritt die Gegenwart des Tumler-Preisträgers (2011) in sein Narrativ ein, bisher hat er seine Romane um tote Familienmitglieder und Gefährtinnen kreisen lassen. Jetzt schieben sich zwischen Duschausflüge und Gehversuche in der Klinik bizarre Reiseepisoden. Während die Infusionen tröpfeln, um Hirnareale zu retten, öffnet der Patient die Geschichtenarterie. Vor schlaflosen Nächten und Ausfallserscheinungen streunt er davon, mal lenkt er ein Auto orientierungslos durch Mallorca, dann leidet er unter der senegalesischen Hitze. Voller Bewunderung holt er seine Familien zu sich in die Literatur, fasziniert von der Kraft, die von Partnerin Sophie, seinem drolligen Söhnchen, den beiden Töchtern und anderen ausgeht. Die Seufzer seiner Mitpatienten kann er bald genauestens deuten. „Komik als Schlupfloch aus der eigenen Hilflosigkeit“, definiert er seine Methode. Joachim Meyerhoff steht glücklicherweise wieder auf der Bühne. Auf sein Debüt in Laas sind vier weitere Bestseller gefolgt. Alle fünf sind überaus unterhaltsam, auch weil sie Scham und Schmerz nicht ausklammern.
Maria Raffeiner