Es ist der 24. Dezember 1935 im kleinen Bergdorf Trafoi. Die Glocken läuten wie von Zauberhand kurz vor Mitternacht. Es ist der Geburtstag der kleinen Eva, welche an diesem Tag das Licht der Welt erblickt und vom damaligen Pfarrer als kleines Wunder bezeichnet wird.
von Cornelia Knoll
Liebevoll wird die kleine Erdenbürgerin unter den Weihnachtsbaum gelegt, von ihren 6 Geschwistern und Verwandten bestaunt und willkommen geheißen.
5 Jahre später im September 1940 sollte dieses kleine Mädchen urplötzlich aus dieser Idylle herausgerissen werden. Herausgerissen aus ihrem Elternhaus, dem „Platzerhaus“ in Trafoi. Weg von Freunden, von Verwandten und weit weg von ihrer gewohnten Umgebung.
Ihre Eltern, Anna Ortler und Johann Platzer, ein berühmter Bergführer, hatten nämlich beschlossen zu optieren. Zu unsicher war die Zeit im 2. Weltkrieg in Trafoi, da kaum mehr Gäste kamen und somit die Einnahmequelle als Bergführer verloren ging. Die Familie sah sich gezwungen der unsicheren Zukunft im damalig faschistischen Italien zu entfliehen. Sie hoffte wie tausend andere Südtiroler auf eine bessere Zukunft im deutschen Ausland.
Traurig ist Eva Platzer als sie 82 Jahre später darüber berichtet. „Ich kann mich noch gut erinnern wie wir damals alle geweint haben, als wir unser Haus, Hof und Tiere verlassen mussten. Meine kleinen neugeborenen Schafe das Negerle und das Pamperle wurden uns genommen und wie alles andere enteignet.“
Wenige Habseligkeiten packten ihre Eltern ein und machten sich mit 5 Kindern (2 der Geschwister arbeiteten bereits in Mailand) auf den beschwerlichen Weg nach Spondinig. Von dort sollte sie der Zug in eine bessere Zukunft, fernab der Heimat bringen.
Angekommen in Zell am See, wurde die Familie Platzer mit anderen Flüchtlingen in einem alten Hotel einquartiert. Es war ein Auffanglager für die heimatlosen Südtiroler, welche dort auf engstem Raum schlafen, wohnen und essen mussten. Kälte, Flöhe und Wanzen sowie der tägliche Hunger und Untätigkeit machten der Trafoier Familie sehr zu schaffen.
Evas Vater beschloss dies zu ändern und fand im nahegelegenen Ötztal eine Arbeit als Bergführer; später dann eine feste Arbeit als Zimmermann.
Die Familie Platzer zog somit ins Ötztal nach Heiming um und konnte endlich wieder ein eigenes kleines Haus beziehen.
Eva ging dort zur Schule, verbrachte eine beschütze Jugend bis sie schließlich mit 17 Jahren in die Schweiz nach Solothurn ging um dort im Service ihr Geld zu verdienen.
Dort im Gasthaus lernte sie den Schweizer Bauernsohn Gustl kennen und lieben. Eva Platzer heiratete diesen sympatischen Schweizer bereits mit 22 Jahren und ist nun seit 66 Jahre an dessen Seite.
Zusammen mit ihren Kindern Joachim und Eveline hat sich das Ehepaar Vögeli, Nähe Basel, in Bad Sackingen eine gemeinsame Heimat aufgebaut. Die Eltern von Eva Platzer jedoch sind in Heiming(Ötztal) geblieben und wurden auch dort beerdigt.
Nun sind Eva und ihr Mann längst im wohlverdienten Ruhestand und können somit öfters Evas alte Heimat in Trafoi besuchen. Die rüstigen „Südtirol-Schweizer“ erklimmen zusammen immer noch Hütten und Berge und genießen ihre gemeinsame Zeit.
Eva Platzer Vögelis Herz hängt auch nach 87 Jahren an ihrer alten Heimat Trafoi. Die Menschen dort, das alte Zuhause, ihre Familiengeschichte sowie tausend Erinnerungen sind tief in ihrer Seele eingebrannt.
Um diese Erinnerungen an die Trafoier-Familien Platzer und Ortler zu bewahren, hat Eva sich vor einigen Jahren der Ahnenforschung gewidmet. Wochenlang ist sie in Stilfs im Gemeindehaus gesessen, hat voller Energie und Freude unzählige Dokumente studiert, geordnet und zu einem Ganzen zusammengefügt. Zusammengefügt von der damals kleinen Eva welcher im Jahre 1940 dieses „Ganze“ entrissen wurde.
Hier noch einige persönliche Gedanken von Eva Platzer Vögeli:
„Wenn ich jeweils jetzt nach Trafoi komme, den Ortler sehe, das Kirchlein und die Mutter Gottes bei den hl. 3 Brunnen, dann weiß ich: dies sind meine Wurzeln, meine Heimat, mein Elternhaus.
Mein größter Schatz sind die Dinge die damals meine Eltern aus Trafoi mitgenommen haben beim Auswandern: Die Bergführerbücher meines Vaters und Großvaters, das Seil, den Eispickel, die Dokumente und Ahnenpässe. Auch das Spinnrad, eine Petroleumlampe und das Kohlebügeleisen meiner Mutter, sowie das Gebetsbuch welches extra für die Südtiroler Auswanderer gedruckt wurde.
Jedes Mal wenn ich Trafoi verlassen muss, schaue ich noch einmal zurück aufs Elternhaus, auf die Berge .Dann kann ich selber den Schmerz und die Wehmut spüren den meine Eltern beim Auswandern empfunden haben. Diese Hoffnung einmal wiederzukommen und diese Sehnsucht nach der verlorenen Heimat.“