Aus dem Gerichtssaal - Diese Frage stellt sich Hans Holzhaider in einem langen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 18. August 2022, in dem er über den Fall des 62-jährigen Hausmeister Manfred Genditzki aus Kreuth am Tegernsee berichtet. Der war drei Tage vorher nach 13-jähriger Haft aus dem Gefängnis von Landsberg am Lech entlassen worden. Eingesperrt war er, weil das Gericht in München ihn wegen des Mordes an einer 86-jährigen verwitweten alten Dame für schuldig befunden hatte, die ertrunken in ihrer Badewanne aufgefunden worden war. Die Obduktion der Leiche hatte ergeben, dass die Frau zwei Blutergüsse unter der Kopfhaut hatte. Die Kriminalpolizei folgerte messerscharf, dass ein Gewaltverbrechen getarnt als häuslicher Unfall vorliegen musste. Fehlte nur noch der Täter und das Tatmotiv. Der wurde im Hausmeister ausgemacht, der Zugang zur Wohnung der Witwe hatte. Als Motiv unterschob man ihm, dass er die alte Dame um ihr Bargeld erleichtert und, als diese den Diebstahl bemerkte, sie in der Badewanne ertränkt hätte. Den Vorwurf des entwendeten Bargeldes konnte der Hausmeisterentkräften, weil er die legale Herkunft seiner Mittel nachweisen konnte. Also unterschob ihm der Staatsanwalt einfach einen Streit. Am Ende des Verfahrens wurde Genditzki zu lebenslanger Haft verurteilt. Es hatte ihm wenig geholfen, dass er den Mord immer bestritten hatte. Sein Schicksal änderte sich erst, als nach 13 Jahren seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattgegeben wurde. Von ihm engagierte Sachverständige konnten beweisen, dass die Hämatome am Kopf der alten Dame durch einen Sturz in der Badewanne verursacht worden waren. Auch fand sich eine Zeugin, die deren Marotte bestätigte, ihre Wäsche in der Badewanne vorzuwaschen.
Der Fall des Hausmeisters vom Tegernsee hat gewisse Parallelen zu jenem des Partisanen Hans Pircher, über den wir hier öfter geschrieben haben. Beide erhielten lebenslänglich für einen nicht begangenen Mord. In beiden Strafprozessen wurde im Zweifel nicht für, sondern gegen den Angeklagten entschieden. Auch sonst haben sie einiges gemeinsam: Die Mühlen der Justiz mahlen zwar langsam, aber dann unerbittlich. Wer in ihre Räder gerät, tut sich manchmal verdammt schwer, sich aus ihren Fängen wieder zu befreien. Pircher wurde in der Berufung der Prozess in Abwesenheit gemacht, obwohl er immer auffindbar war. Das einzige Beweismittel für die ihm vorgeworfene Tat war die später widerrufene Beschuldigung eines Mitangeklagten, ein von der Rechtssprechung als untauglich verworfenes Beweismittel. Im Unterschied zu Genditzki hatte Pircher in den ersten Jahren seiner Haft überhaupt keine Unterstützung, was ihn schier zur Verzweiflung und in den Versuch eines Selbstmordes trieb. Beiden gemeinsam ist das Bemühen, das verlorene Leben irgendwie nachzuholen. Pircher fand es in der Betrachtung der Natur, der Steine und der Malerei. Der eben erst aus der Haft entlassene Genditzki dürfte noch auf der Suche sein.
Peter Tappeiner
Rechtsanwalt
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