Nationalpark Stilfserjoch: Gletscherschwund - Bei uns das auffälligste Zeichen für den Klimawandel

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Gletscherstände in Hintermartell im Sommer 1990. Gletscherstände in Hintermartell im Sommer 1990.

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Benedikt, 11. Juli 2022

Der letzte Winter 2021/22 war schneearm und damit kein guter für die Gletscher. Jedes Jahr im Mai erheben die Gletscherexperten des Hydrographischen Landesamtes unter Roberto Dinale die Winterakkumulation auf Südtirols Gletschern. Der Langenferner im Martelltal gehört dabei zu den ausgewählten Probegletschern. Im vergangenen Winter fielen dort insgesamt 2 Meter Schnee. Am Ende eines durchschnittlichen Winters beträgt die Schneehöhe normal 3 Meter. Eine hohe winterliche Schneedecke schützt das Eis besser vor der sommerlichen Schmelze als eine dünne Schneeauflage.
Nicht nur die Mächtigkeit der Schneedecke war 2021/22 unterdurchschnittlich, sondern auch die Dichte des Schnees war eher gering. Die geringe Schneemenge und seine geringe Dichte führten zu einer geringen Anreicherung von nur 600 – 750 Litern Wasseräquivalent pro Quadratmeter. Dies liegt 40 – 50 % unter dem klimatologischen Durchschnitt. Jeder Gletscher hat ein Nähr- oder Akkumulationsgebiet und ein Zehr- oder Ablationsgebiet. Nährgebiet mit Anreicherung und Zehrgebiet mit Schmelze grenzen an der Nullgrad-Linie aneinander. Durch die Erderwärmung ist die Nullgrad-Linie bei den Alpengletschern auf 3.300 Meter Meereshöhe angestiegen. Anders ausgedrückt: Erst oberhalb von 3.300 Metern können Gletscher noch Schnee für die Bildung von neuem Eis bewahren.

Dramatischer Schwund
In den Alpen gibt es etwa 4.400 Gletscher über 0,01 Kubikkilometer, die eine Fläche von 1.806 Quadratkilometer bedecken. Dies ist weniger als die Fläche Osttirols und etwas mehr als die Fläche Roms. Laut internationalem Gletschermonitoring World Glacier Monitoring Service WMGS sind die Gletscher in den Alpen von 4.460 km² im Jahr 1850 bis in das Jahr 2021 auf 40 % ihrer Fläche von 1850 geschmolzen. Die letzten 20 Jahre waren die wärmsten seit der im Jahr 1880 beginnenden systematischen Messung von Klimadaten.
Die Gletscher der Alpen sind gegenüber den Eisschildern der Antarktis und Grönlands sehr klein. Die Gebirgsgletscher der Erde bedecken insgesamt eine Fläche von etwa 706.000 Quadratkilometern. Im Eis der Polargebiete, das bis zu 3 km dick ist, ist wesentlich mehr Süßwasser gespeichert als in den Gletschern der Gebirge unserer Erde. Trotzdem trugen die kleinen Gebirgsgletscher durch ihr Abschmelzen zwischen 1961 und 2016 fast drei Zentimeter zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Dies ist gleich viel wie der derzeitige Beitrag Grönlands und deutlich mehr als der Beitrag der Antarktis. In den Alpen verlieren die Gletscher derzeit über die gesamte Gletscherfläche gemittelt zwischen einem halben und einem Meter Schichtmächtigkeit pro Jahr. In extremen Sommern wie 2015 und 2017 können an einzelnen Gletschern auch über zwei Meter den Bach hinuntergehen.

Neben der Größe verändert sich auch das Aussehen
In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur die Größe, sondern auch das Aussehen der Gletscher verändert. Weiße Gletscher werden durch Geröllüberschichtung immer öfter zu schwarzen. In der Gletscherforschung spricht man inzwischen von einem fließenden Übergang zwischen Gletschern, schuttbedeckten Gletschern und Blockgletschern. Die unterirdischen Blockgletscher mit Permafrostböden bedecken in den Alpen eine ähnlich große Fläche wie die Gletscher. Blockgletscher bestehen aus einer Mischung von Schutt und Eis, die sich mit einer Geschwindigkeit von mehreren Metern talwärts bewegt. Im Gelände bilden sich typische Stauchwülste und oft auch Girlandenrasen. Meist tritt am unteren Ende eines Blockgletschers auch ein kleiner Bach aus, der vom schmelzenden Permafrosteis im Blockgletscher gespeist wird.

Gletscher – Zeugen des Klimawandels
Das Klimasystem ist sehr komplex. Nachgewiesen ist, dass der Kohlendioxid-Gehalt der Erdatmosphäre derzeit mit über 400 pars per million höher ist als in den Bohrkernen der ältesten Eisschichten der Antarktis für die letzten 650.000 Jahre mit 80 bis 300 ppm. Damit kommt für den derzeitigen Klimawandel der menschengemache Treibhauseffekt ins Spiel. Mit der Verbrennung fossiler Energien seit dem Beginn des Industriellen Zeitalters setzen wir Unmengen CO2 als wichtigstes Treibhausgas frei.

Natürlicher und menschengemachter Treibhauseffekt
Treibhausgase sind neben dem CO2 der Wasserdampf, Methan, Lachgas und ­Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Zum Verständnis der negativen Folgen des Treibhauseffektes ist die Unterscheidung zwischen dem natürlichen und s45 gletscherdem menschengemachten (anthropogenen) Treibhauseffekt hilfreich. Der Wasserdampf ist für den natürlichen Treibhauseffekt das wichtigste Treibhausgas. Ohne die Treibhausgase in der Luft wäre die Erde unbewohnbar kalt, weil die Temperatur an der Erdoberfläche im weltweiten Durchschnitt mit minus 18 Grad Celsius weit unter dem Gefrierpunkt läge. Die aktuelle Temperatur an der Erdoberfläche liegt heute im Mittel bei ungefähr plus 15° C. Der Wasserdampf trägt dabei etwa zwei Drittel zur nächtlichen Treibhauserwärmung durch Reflexion der tagsüber eingestrahlten Sonnenenergie an den Wasserdampfmolekülen in den Luftschichten bei.

Globale Erwärmung
„Das Problem der globalen Erwärmung besteht nun darin, dass die Menschen den eigentlich segensreichen Treibhauseffekt verstärken, indem sie mit dem Aufkommen der Industrialisierung begonnen haben, gewaltige Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre auszustoßen“ schreibt Mojib Latif, Seniorprofessor an der Universität und Forscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, in seinem Buch „Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können“ (Herder, 2022).

Der Klimawandel kann nicht geleugnet werden
Der wissenschaftliche Kenntnisstand über den Klimawandel kann kurz und bündig in nur 20 Worten zusammengefasst werden, wie es 2021 verschiedene deutsche Wetter- und Klimainstitutionen getan haben: „Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.“ Gegenüber der vorindustriellen Zeit ist die globale Lufttemperatur um 1,1° C angestiegen. Als vorindustrielle Zeit ist der Zeitraum zwischen 1850 und 1900 gemeint. Aus paläoklimatischer Sicht ist der Temperaturanstieg eine äußerst schnelle Erwärmung, wenn man berücksichtigt, dass der Anstieg der globalen Temperatur von einer Eiszeit (Glazial) bis in eine Wärmezeit (Interglazial) ungefähr 4° C beträgt. Die Temperaturveränderungen glazial – interglazial haben sich allerdings im Zeitraum von vielen Jahrtausenden vollzogen. Nochmal Mojib Latif: „Wegen der extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten kann man die globale Erwärmung von der letzten Eiszeit , mit ihrem Höhepunkt vor gut 20.000 Jahren, bis zum Begin der gegenwärtigen Wärmezeit vor gut 10.000 Jahren nicht mit dem Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung vergleichen. Die jetzige Erwärmungsrate von ungefähr 1 Grad Celsius pro Jahrhundert ist um etwa 25-mal schneller.“ Und: „Stieg die Temperatur im 50 Jahre-Zeitraum zwischen 1921 und 1970 um 0,2° C an, waren es in den darauffolgenden 50 Jahren von 1971 – 2020 0,9°C.“

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