„Wind“-Gespräch mit Daria Habicher, einer jungen Vinschger Forscherin der EURAC Bozen
Vinschgerwind: Warum sind unser Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise nicht nachhaltig?
Daria Habicher: Unsere Lebens- und Arbeitsweise, so wie wir produzieren, konsumieren, uns fortbewegen, reisen, all das sollte überdacht werden, weil wir als Menschheit gerade dabei sind, die Belastungsgrenzen unseres Planeten zu überschreiten. Uns muss klar werden, dass wir nicht nur auf die zahlreichen natürlichen Rohstoffe, sondern auf das Funktionieren dieses komplexen Ökosystems Erde angewiesen sind. Gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen, dann passieren Dinge, wie wir sie immer häufiger erleben: Extremwetterereignisse, Überschwemmungen, Dürren, Tsunamis und die Ozeanversauerung und der Biodiversitätsverlust. Wir brauchen die natürlichen Ressourcen als Lebensgrundlagen. Dazu kommen noch weitere gesellschaftspolitische Faktoren: soziale Ungleichheit, geopolitische Spannungen, Polarisierung, aber auch gesundheitliche Probleme. Covid-19 hat uns gelehrt, dass wir uns wieder verstärkt auf das Wesentliche konzentrieren müssen.
Vinschgerwind: Früher ging es um Wirtschaftswachstum und soziale Gerechtigkeit. Spielt das keine Rolle mehr?
Daria Habicher: Doch, aber die Prioritäten haben sich verschoben. Einige dieser Aspekte werden heutzutage kritisch diskutiert, wiederum andere kommen neu hinzu. Insgesamt, so würde ich behaupten, wächst das Bewusstsein darüber, dass wir vor allem das Wachstumscredo, das Streben nach immer mehr, weiter und schneller in Frage stellen müssen. Zumal sich herausgestellt hat, dass Wachstum – gesprochen vom Bruttoinlandsprodukt – zwar global gesehen zu einer Wohlstandssteigerung geführt hat, es aber nach wie vor große Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten – global und lokal – gibt. Auch ist es trotz Wirtschaftswachstum, neuer Technologien und erhöhter Vernetzung – wie lange geglaubt und prophezeit – nicht gelungen, gegen die Klimakrise anzukämpfen. Viele Menschen haben erkannt, dass es längst an der Zeit ist, neue Wege einzuschlagen.
Vinschgerwind: Sie haben als Projektleiterin zusammen mit anderen Forscher:innen im Auftrag der Südtiroler Landesregierung vier Zukunftsszenarien für ein nachhaltiges Südtirol ausgearbeitet. Südtirol muss aber auch globale Megatrends berücksichtigen. Welche sind dies?
Daria Habicher: Zu den wichtigsten Megatrends gehören etwa Globalisierung, Klimawandel, Digitalisierung, demographischer Wandel, Urbanisierung und Migration. All das sind nicht aufhaltbare und komplexe Entwicklungen, die unmittelbare Auswirkungen auch auf Südtirol haben. Wichtig wäre es, diese Trends zu erkennen und bedacht darauf zu reagieren. Wie wirken sich solche Megatrends auf Südtirol aus? Wie können wir diese Trends zu unseren Gunsten nutzen? All das sind Fragen, die wir diskutieren sollten.
Vinschgerwind: Bei den Zukunftsszenarien spielen der Grad der Zusammenarbeit und der Grad der Transformation eine zentrale Rolle. Was ist damit gemeint?
Daria Habicher: Diese beiden Achsen wurden ausgewählt, weil sie zentrale und bestimmende Faktoren für die zukünftige Entwicklung Südtirols in Hinblick auf die Nachhaltigkeit sind. Wollen wir den großen Herausforderungen reformartig, Schritt für Schritt annähern oder bevorzugen wir bereichsspezifisch oder insgesamt eine systemische, tiefgreifende Veränderung? Es geht nicht darum, ein Szenario mit dessen Entwicklungspfaden auszuwählen, sondern vielmehr sollte gemeinsam überlegt werden, wie sich einzelne Bereiche, seien es die Landwirtschaft, die Mobilität, die Altersfürsorge oder politische Entscheidungsfindungen, entwickeln sollen – und welche Entwicklungen wir uns gerade nicht wünschen.
Vinschgerwind: Was sind die größten Herausforderungen, die zentralen Fragen für die zukünftige Entwicklung Südtirols?
Daria Habicher: Es gibt drei zentrale Herausforderungen: Erstens sollten wir vom Reden ins Tun kommen. Südtirol will sich mit großen Schritten in Richtung mehr Nachhaltigkeit bewegen, so die Landesregierung. Das bedeutet für mich, dass es eine ehrliche und stringente Politik, ein Neu-Denken vieler Bereiche und Prozesse braucht und es dann auch zu einer zeitnahen Umsetzung kommen muss. Zweitens müssen wir Umweltproblemen verstärkt entgegenwirken, global und lokal. Wir müssen Adaptions- und Präventionsmaßnahmen ergreifen und unseren ökologischen Fußabdruck als Provinz verringern. Zu guter Letzt bin ich der Überzeugung, dass Südtirol mehr dafür tun muss, um junge und motivierte Südtiroler:innen für das eigene Land und dessen Entwicklung zu begeistern. Dazu gehört es, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, Mobilität und Erreichbarkeit auf Vordermann/frau zu bringen, leistbares Wohnen voranzutreiben und vieles mehr.
Vinschgerwind: Seit dem 22. Juli präsentiert Eurac Research, gemeinsam mit anderen Partnern, in mehreren Orten im Vinschgau das Tiny FOP MOB, ein rollendes Forschungs- und Praxismobil aus Holz und Hanf. Auch da geht es um Nachhaltigkeit. Wie waren die Reaktionen der Bevölkerung?
Daria Habicher: Ich muss sagen, dass die Reaktionen bislang sehr positiv ausgefallen sind. Wir konnten bereits sehr viele Menschen, von Jung bis Alt erreichen, sensibilisieren, informieren und zum Nachdenken anregen. Die Veranstaltungen wurden bzw. werden gut besucht. Es kommen wichtige Diskussionen zustande und man/frau merkt, dass die Menschen sich im Grunde alle mit ähnlichen Fragen beschäftigen. Zum Abschluss geht es für uns an die Datenauswertung und das Zusammentragen von Erkenntnissen, die wir zu Projektende veröffentlichen werden.
Vinschgerwind: Sie haben ein besonderes Hobby. Was hat das mit ihrem Leben und ihrer Arbeit zu tun?
Daria Habicher: Es ist mehr als ein Hobby. Das Tauchen ist, neben der Projektarbeit, meine große Leidenschaft und mein zweiter Job. Ich biete regelmäßig Tauchtrainings und diverse Kurse an, auch im Vinschgau. Mein Leitsatz bei all meinen Aktivitäten ist „Change above and below“, also Veränderung oberhalb und unterhalb der Oberfläche – was man/frau auf verschiedenste Weise interpretieren kann. Mir macht es Spaß, Denk- und Veränderungsprozesse anzustoßen, den Menschen Mut zu machen, an sich selbst zu arbeiten, die eigenen Grenzen auszuloten oder für Veränderung einzustehen, wenn ihnen danach ist.
Interview: Heinrich Zoderer