Anna Felnhofer:
Schnittbild.
Luftschacht Verlag, Wien 2021.
Das Sehen ist zentral im Debütroman von Felnhofer. Sehen, um nicht nur zu beobachten, sondern um zu erkennen. Dafür schaut Fabjan durch die Leica, versinkt Rahel in Bildern aus Literatur und Songs und hält sich die Augen gewaltsam auf, zückt Erik eine Kodak. Sie alle untersuchen ihre Seelenbilder auch in Therapiegesprächen, arbeiten sich an ihren Schrunden und Schnitten ab. Das Scharnier des Episodenromans ist die Psychotherapeutin der Figuren, sie scheint sie durch die Jahrzehnte zu fixieren. Umgekehrt haben die Klienten und Patientinnen aber auch sie in ihren Fängen. Die Verletzlichkeit liegt auf beiden Seiten. Die Autorin erzählt mit größter Präzision und eigenwillig entgegen aller Moden, den Attributen räumt sie viel Platz ein. Zu Beginn braucht das weitschweifige Erzählen beim Lesen ordentlich Zuwendung, dann kommt man mit dem trickreich vorgeführten Baukasten Sprache gut aus. Ein komplexer Text mit Wiedererkennungswert, kippenden Figuren, wortreicher Schärfe und doch pendelnd in geheimnisvoller Schwebe. Ob sich im Sucher Trugbilder oder doch Schnittbilder zeigen, die sich zu einem Bild zusammenfügen? Die Poesie des Ungewissen spiegelt sich in der pastellfarbenen Covergestaltung. Anna Felnhofer, selbst Psychologin, knüpft ein cleveres Netz zwischen Beziehungen und Motiven. Sie tritt mit einem Manifest der Sinne auf Einladung von Jurorin Daniela Strigl beim Tumler-Preis an.
Maria Raffeiner
Über die Autorin
Anna Felnhofer ist 1984 in Wien geboren, hat dort und in Warschau Psychologie studiert. Sie arbeitet als Wissenschaftlerin und Klinische Psychologin an der MedUni Wien, gründete und leitet ein Virtuelles Realitäts-Labor und eine internationale wissenschaftliche Zeitschrift. Neben der Herausgabe von Lehrbüchern und wissenschaftlichen Publikationen ist sie literarisch tätig. „Schnittbild“ ist ihr erster Roman.