Ich weiß nicht, ob es den Lesern der letzten Beiträge ähnlich ergangen ist wie mir. Ich finde nämlich die Beschäftigung mit Historie, besonders mit Zeit- und neuerer Geschichte an Hand von persönlichen Schicksalen und Erzählungen von Zeugen ausgesprochen spannend. Dies erlebte ich bei der Niederschrift des Beitrages über das Massaker von Laas, aber besonders bei der Beschäftigung mit der Biografie des Hans Pircher. Nach dessen Erscheinen erhielt ich einen Hinweis vom Schulmeister a. D. Herbert Raffeiner aus Tschengls, mit dem er mich auf einen Mann aufmerksam machte, dessen Lebensleistung er als „unglaublich“ bezeichnete, den Johann Wielander aus Galsaun. Dort geboren im Jahre 1910 auf dem Patscherhof, den die Eltern nach dem 1. Weltkrieg wegen Überschuldung aufgeben mussten, verdingte er sich in der Folge als Gärtner, Bauernknecht und Hilfsarbeiter. Im Jahre 1935 hätte er zum italienischen Militär einrücken müssen, um an Mussolinis Abessinienfeldzug teilzunehmen. Der Einberufung entzog er sich durch seine Flucht nach Innsbruck, wo der Antifaschist Wielander bei den Kommunisten politisch sozialisiert wurde und sich für ein freies und unabhängiges Österreich einsetzte. Seine Meinung über Hitler hatte er in einem Brief an die Mutter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: „Ich bin schon seit langem überzeugt, dass Hitler ein tausendfacher Mörder ist und dass es noch nie einen Mörder wie ihn gegeben hat auf der Welt. Er befreit nicht die Völker, sondern unterdrückt sie brutal.“ So war es geradezu zwangsläufig, dass bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges im Juli 1936 der Aufruf des Cellisten Pau Casals während eines Konzerts in Barcelona, den dieser über Radio an die Weltöffentlichkeit richtete, bei Wielander auf offene Ohren stieß:
„Machen Sie sich nicht des Verbrechens schuldig, dem Mord an der Spanischen Republik tatenlos zuzusehen. Wenn Sie es zulassen, dass Hitler in Spanien siegt, werden Sie die nächsten sein, die seinem Wahnsinn zum Opfer fallen. Der Krieg wird ganz Europa, wird die ganze Welt erfassen. Kommen Sie unserem Volk zu Hilfe!“ Dazu muss man wissen, dass in Spanien nach wechselnden Regierungen bei den Wahlen im Jahr 1936 die Volksfront, also die Linke bestehend aus Sozialisten, Kommunisten, Republikanern, sowie baskischen und katalanischen Nationalisten die parlamentarische Mehrheit errang. Gegen diese legitime Regierung putschte ein Teil des Militärs angeführt vom General Franco, der von Spanisch-Marokko aus an der Spitze der von ihm befehligten Kolonialarmee auf das Festland übersetzte und Teile des Mutterlandes in seine Gewalt brachte. Daraufhin kam es zum Spanischen Bürgerkrieg. Die Aufständischen wurden von Nazideutschland, Italien, Portugal und Irland, die Republikaner von der Sowjetunion und Mexico unterstützt, während sich Frankreich und Großbritannien an die vom Völkerbund propagierte „Nichteinmischung“ hielten. An der Seite der Republikaner kämpften auch die sogenannten Internationalen Brigaden, also militärische Freiwilligenverbände aus unterschiedlichen Ländern, welche eine Stärke von ca. 40.000 Mann erreichten. Das Hauptkontingent kam aus Frankreich (7.000), Deutschland (5.000) und Italien (4.000). Aus Österreich stammten 1.400, 40 davon aus Tirol. Einer von Ihnen war der Hans Wielander, der im Juli 1937 in Spanien eintraf. Nach Absolvierung einer Grundausbildung in der Grenzstadt Figueras kam er an die Bürgerkriegsfront, wo er bereits im September 1937 ein erstes Mal verwundet wurde. Im März 1938 kehrte er zu seiner Einheit zurück, um an der Ebroschlacht teilzunehmen, bei der er neuerlich schwer verwundet wurde. Im Oktober 1938 wurde er mit einem Krankentransport nach Frankreich gebracht, wo er im April 1939 das Ende des Bürgerkrieges erlebte. Damit sollte sein Leidensweg jedoch erst beginnen. Denn als italienischer Staatsbürger und Deserteur konnte er nicht in seine Heimat zurück. In der Zwischenzeit hatten die Deutschen Frankreich überfallen und in einem Blitzkrieg besiegt. Nach Zwischenaufenthalten in den französischen Auffang- und Internierungslagern von Gurs, Argelès und Mont-Louis mit katastrophalen hygienischen und Ernährungsbedingungen wurde er am 26.04.1941 den deutschen Behörden übergeben. Darauf folgte vom 03.05 bis 22.08.1941 Gestapohaft in Innsbruck und vom 24.08.1941 bis 29.04.1945 die Internierung im KZ Dachau. Dort hatte er das „Glück“, als Lagergärtner arbeiten zu können. Im Vergleich zu den französischen Lagern bezeichnete Wielander die Zustände im KZ als geradezu „komfortabel“! Nach seiner Entlassung kam er jedoch, wie er schrieb, „als ganzer Ruin nach Hause, ….“, „meine Kräfte ließen es nicht zu, eine Arbeit anzunehmen. Ich beschloss, zu meine Erholung im Herbst 1946 zu meinen Verwandten nach Südtirol zu gehen.“ Erst im September 1949 war er soweit genesen, dass er wieder zu seinen Eltern nach Hall zurückkehren konnte. Dort hat er 1951 geheiratet, eine Familie mit drei Kindern gegründet und ein Haus gebaut. Politisch hat er sich in seinen späten Jahren der Sozialdemokratie Bruno Kreisky‘s angenähert. Am 19.12.1989 ist er in Hall gestorben.
Nun mag man sich im Nachhinein darüber streiten, ob der Spanische Bürgerkrieg ein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie war. Hätten nämlich die Republikaner trotz des ungleichen Waffen- und Kräfteverhältnisses gesiegt, wäre am Ende wohl keine bürgerliche Demokratie im heutigen westlichen Sinne entstanden, eher eine Volksdemokratie nach osteuropäischem Muster. Denn die Demokratie war zu der Zeit in Europa überall ein eher zartes Pflänzchen, das gleich von zwei Seiten bedroht wurde: Von rechts durch den Faschismus und von links durch die radikale Linke, welche von der proletarischen Revolution nach sowjetischem Vorbild träumte. Und dies alles in politisch unruhigen Zeiten, die von Arbeitslosigkeit, Inflation und Weltwirtschaftskrise geprägt waren. Dies schmälert aber nicht die Wertschätzung, welche die Spanienfreiwilligen verdienen. Denn beim Vergleich zwischen den Verwüstungen der Legion Condor in Guernica mit dem idealistischen Einsatz der Inter-brigadisten braucht man nicht lange zu überlegen, auf wessen Seite man sich schlägt. Und wenn man heute hierzulande, aber nicht nur bei uns, eine weitgehend ideologiefreie Politik beklagt, dann ist dies auch deshalb bedauerlich, weil damit der von Idealismus geprägte Leidensweg eines Landsmannes wie Hans Wielander nicht gebührend gewürdigt wird. Der Gemeinde Kastelbell-Tschars würde es daher gut anstehen, durch Anbringung einer Gedenktafel an ihren Widerständler gegen den Faschismus zu erinnern.
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it
Verwendete Literatur:
- Herbert Raffeiner: Johann Wielander (1910-1989), ein Galsauner als Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg. In: Kastelbell-Tschars Gemeindebuch, 2020, S. 463-466
- Friedrich Stepanek: „Ich bekämpfe jeden Faschismus“, Studien Verlag Innsbruck 2010
- Wikipedia, Spanischer Bürgerkrieg
- Wikipedia, Internationale Brigaden
- Fotos mit freundlicher Genehmigung Tiroler Landesarchiv Innsbruck; Entlassungsschein aus dem KZ Dachau
- Dank an Othmar Thaler, Tappeiner Verlag