Mut und Zuversicht

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Burgeis - Bischof Ivo Muser hat am 16. April der Burgeiser Pfarrei eine Pastoralvisite abgestattet. Er werde sich nicht in die Angelegenheiten der vom Kloster Marienberg inkorporierten Pfarrei einmischen, versprach er den Burgeisern. Der Vinschgerwind hat die Gelegenheit der Pastoralvisiote für ein Interview nutzen dürfen.

Vinschgerwind: Eure Exzellenz, ist Musik für Sie entspannend? Welche Musik bevorzugen Sie?
Bischof Ivo Muser: Ja, eindeutig. Entspannung hat mit Freude, auch mit Erholung zu tun. Ich höre sehr gerne Musik entsprechend der Zeit, in der wir sind. Weihnachtsmusik zum Beispiel, festliche Musik an einem Festtag, getragene Musik in der Karwoche. Das hilft mir sehr, in Stimmung zu kommen oder meine Stimmung zum Ausdruck zu bringen. Mit Musik hab’ ich Freude.

Vinschgerwind: Musik ist also für Ihre geistige Regeneration wichtig. Wie halten Sie sich körperlich fit?
Bischof Ivo Muser: Ich war nie und bin kein Sportler. Sport war auch nicht mein Lieblingsfach in der Schule. Ich hatte lieber die Sprachen, Geschichte, Geografie oder Philosophie. Was ich aber gerne mache, ist ein schneller Spaziergang. Anstelle des Mittagsschläfchen mache ich lieber einen Spaziergang. Auch Wanderungen liebe ich. Alles, was mit Gehen zu tun hat, das geht gut, da bin ich immer noch gut beinander. Sonst bin ich kein großer Sportler. Bergwanderungen im Sommer sind sehr erholsam.

Vinschgerwind: Was bereitet Ihnen große Freude?
Bischof Ivo Muser: Freude bereitet mir die Begegnung mit Menschen. Einen Bischof braucht es nur für die Menschen, für das Volk Gottes. Alles, was mit Menschen zu tun hat, ist das Sensibelste, manchmal auch das Komplizierteste, aber sicher auch das Wertvollste. Über Strukturen, über Herangehensweisen usw. kann man diskutieren. Aber Menschen sind durch nichts zu ersetzen. Ich kann nicht sagen, dass mich Menschen müde machen. Natürlich bin ich auch ab und zu müde. Das ist normal. Ich bin sehr dankbar, wenn ich Menschen begegnen kann und ich erlebe oft, dass Menschen Vertrauen zu mir haben. Das hat nicht nur mit meiner Person, sondern auch mit dem Amt zu tun. Ich bemühe mich, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.

Vinschgerwind: Welche Ängste und Sorgen beschäftigen Bischof Ivo?
Bischof Ivo Muser: Das Gesicht der Kirche ist dabei, sich grundlegend zu verändern. Es ist ein großer Umbruch im Gange. Viele Anfragen an die Kirche, ein Hinterfragen der Kirche, Kritik an der Kirche: Das macht mir aber nicht so sehr Sorgen. Was mir Sorgen bereitet, ist ein zunehmender Individualismus. Auch dass die Glaubensvorstellungen sehr bunt, gegensätzlich und selbstbezogen geworden sind. Oft frage ich mich sogar: Wollen wir noch Christen sein und bleiben? Aber ich will keineswegs alles schlecht reden...

Vinschgerwind: ...jeder formt sich seinen eigenen Glauben?
Bischof Ivo Muser: Genau. Das Problem dabei ist, dass die eigene Sicht der Dinge sehr schnell verabsolutiert wird. Glaube ist persönlich, aber nicht individualistisch. Das ist ein großer Unterschied. Jeder kann und soll einen persönlichen Zugang zum Glauben haben, aber immer im Bewusstsein, dass ich die anderen brauche. Andere korrigieren mich, relativieren mich, fordern mich heraus. Ich habe oft den Eindruck, dass der eigene Standpunkt, der eigene Zugang, die eigenen Erfahrungen sehr schnell zur Norm erhoben werden. In dieser Haltung bekommt es Gemeinschaft schwer. Gemeinschaft hat zu tun mit Hinhorchen, sich etwas sagen lassen, mit Federn lassen, mit Kompromissen. Ohne Gemeinschaft sind wir einsam und kreisen um uns selbst. Gemeinschaft ist Stütze, Halt und Orientierung.

Vinschgerwind: Wir befinden uns im Musikprobelokal der MK Burgeis. Welchen Verein würden Sie als Beispiel hernehmen, um Ihre Sicht zu verdeutlichen?
Bischof Ivo Muser: Bleiben wir bei der Musikkapelle. Die Musikkapelle braucht Leute, die ihr Instrument beherrschen. Aber das, was eine Musikkapelle ausmacht, ist das Zusammenspiel und die Symphonie. Ein einzelner kann und soll sein Instrument gut beherrschen, aber er darf das nicht übertreiben. Sonst stört er die Harmonie und bringt die Gemeinschaft aus der Kontrolle. Um das geht es. Selbstverständlich braucht es das Persönliche, aber es braucht auch die Symphonie. Oder anders ausgedrückt: Weniger Ich und mehr Wir. Nicht um das Ich abwerten zu wollen. Aber wenn wir nur mehr das Ich haben, bekommt es die Gemeinschaft schwer und löst sich unter Umständen sogar auf – auch zum Schaden des Ich. Das ist nicht nur eine gesellschaftliche Herausforderung, sondern auch eine kirchliche.

Vinschgerwind: Muss Kirche ihre Sprache verändern und anpassen?
Bischof Ivo Muser: Ganz sicher. Ich höre das oft und ich denke oft darüber nach. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Dissonanzen nur eine Sache der Sprache sind. Die Inhalte des Glaubens werden oft nicht mehr geteilt. Ich habe nicht selten den Eindruck, dass Menschen ihre individuelle, religiöse Sprache sprechen und dass so die eigenen Vorstellungen nicht mehr mit dem Glauben der Kirche übereinstimmen. Ich rede gerne mit den Leuten und habe nicht den Eindruck, dass sie mich sprachlich nicht verstehen. Aber wie gesagt: Die Glaubensinhalte und die Glaubensvorstellungen gehen heute oft weit auseinander.

Vinschgerwind: „Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier...“ steht in der hebräischen Bibel in der Genesis. Diese Jahrhunderte lang tradierte Aufforderung geht angesichts des menschenverursachten Klimawandels in die Hosen...
Bischof Ivo Muser: Oder auch nicht. Man muss diese Aufforderung nur richtig verstehen. Für die Bibel ist der Mensch tatsächlich die Krone der Schöpfung und er trägt damit eine ganz besondere Verantwortung. Herrschen heißt nicht zerstören. Im Gegenteil - hegen und pflegen. Dass das Ganze außer das Lot gekommen ist, ist ohne Zweifel. Mir bereitet dieses „Immer mehr, immer weiter, immer schneller“ Sorge. Wir haben begrenzte Ressourcen und die sind mit den Forderungen nach mehr Wachstum auf allen Ebenen nicht vereinbar. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen. So ist das „Herrschen“ bestimmt nicht gemeint!

Vinschgerwind: Gibt der Bischof diese Neuinterpreation an seine Priester für deren Predigten weiter?
Bischof Ivo Muser: Auf jeden Fall. Da ist ein starkes Bewusstsein gewachsen. Man sieht das an den zwei päpstlichen Enzykliken „Laudato sí“ und „Fratelli tutti. Die Verantwortung der Menschen als Krone der Schöpfung und Partner Gottes muss sich im Staunen zeigen, in Ehrfurcht, in Verantwortung, in Selbstbeherrschung. Wir dürfen nicht alles tun, was wir heute tun können. Das ist eine große Herausforderung – politisch und gesellschaftlich. In der bäuerlichen Bevölkerung war früher viel deutlicher die Beziehung zum Schöpfer und zur Schöpfung vorhanden. Es ist ein großer Trugschluss, zu meinen, dass wir aufgrund der Technik alles tun dürfen. Wir brauchen mehr Maß, Dankbarkeit und Verzicht.

Vinschgerwind: Themenwechsel: Sie sind Vorsitzender der „Kommission für Ökumene und interreligiösen Dialog“ der Regionalen Bischofskonferenz von Nord-Ost-Italien. Stimmen Sie den Überlegungen von Don Paolo Renner zu, eine Moschee in Bozen zu ermöglichen?
Bischof Ivo Muser: Ich habe gar nichts dagegen. Ich bekenne mich mit Überzeugung zur Religionsfreiheit. Religionsfreiheit heißt, dass die Menschen das Recht haben, ihre Glaubens-Überzeugung zu zeigen und zu praktizieren. Das drückt sich in jeder Religion in Gebäuden, in Gebetsräumen, in Festtagen, in Bräuchen usw. aus. Wir brauchen, gerade auch in der Begegnung mit Religionen, den Respekt füreinander. Wenn ich davon überzeugt bin, dass Religion etwas Gutes ist, und wenn mir die eigene Religion heilig ist, dann gestehe ich anderen zu, was ihnen heilig ist. Natürlich braucht es den Willen zur Gewaltlosigkeit, den Ausgleich, den Respekt, auch gesetzliche Regelungen. Für mich ist wichtig: Die eigene Religion mit Freude und Überzeugung leben, Identität im Eigenen haben und nur wenn ich eine solche Identität habe, bin ich auch fähig zum Dialog. Deshalb habe ich überhaupt nichts gegen eine Moschee.

Vinschgerwind: Sind halbleere Kirchen ein Anzeichen dafür, dass sich die Gläubigen von der Kirche abwenden oder dass die Sprache und die Botschaft der Kirche nicht mehr verstanden wird?
Bischof Ivo Muser: Wenn man die Menschen fragt, wird wohl von alldem etwas vorhanden sein.

Vinschgerwind: Darf ich das anders formulieren: Sie sind Jahrgang 62. Viel auseinander sind wir nicht. Wir sind eine Generation, in der das Kirchengehen eine Selbstverständlichkeit war, vielleicht war auch ein bestimmter Zwang vorhanden. Unsere Generation gibt diese Zwänge nicht mehr weiter.
Bischof Ivo Muser: Wir kommen tatsächlich aus einer Generation, in der der volkskirchliche Kontext sehr prägend war. Auch sozial prägend. Jene, die nicht in die Kirche gegangen sind, wurden eher als Außenseiter abgestempelt. So wichtig der gemeinsame Gottesdienst ist, wir dürfen den Glauben nicht darauf beschränken. Das gesamte Umfeld ist wichtig. Wo und wie kommen Kinder mit Religion in Berührung, wird zuhause über den Glauben geredet, beten Erwachsene mit ihnen, erleben sie an den Erwachsenen, was der Sonntag und unsere Festtage vom Glauben her bedeuten? Der Gottesdienst als gemeinschaftlicher Ausdruck des Glaubens muss eingebettet sein in die Erfahrung dieses Glaubens im Alltag. Wenn Glaube in meinem Alltag kaum mehr vorkommt, warum soll ich dann am Sonntag in die Kirche gehen? Wichtig ist, mit Kindern zu beten, sie zu segnen, ihnen den Glauben zu erzählen und die Welt des Glaubens zu erschließen. Mit Kindern darf man auch über die eigenen Zweifel, Sorgen und Enttäuschungen reden. Glaube hat mit allen Fragen des Lebens zu tun. Das macht ihn so kostbar.

Vinschgerwind: Es gibt Personalmangel im Gastgewerbe, im Handwerk und auch in der Kirche. Wie lautet Ihre Suche nach Personal, sprich nach Priestern?
Bischof Ivo Muser: Ob ein Slogan der richtige Weg ist? Ich habe nur die Möglichkeit, davon zu erzählen, was mir Glaube und Kirche bedeuten. Ich bin fest davon überzeugt, dass damit eine andere Qualität ins eigene Leben hineinkommt. Für mich haben Glaube und Kirche vor allem mit Hoffnung zu tun – im Leben, im Sterben und über diese Welt hinaus.

Vinschgerwind: Was war Ihre persönliche Erfahrung, den Weg ins Priestertum zu gehen?
Bischof Ivo Muser: Da hat es viele Mosaiksteine gebraucht. Mich hat diese Welt immer schon angezogen. Ich habe meine Mutter fast dazu gezwungen, mit mir in die erste Kirchenbank zu gehen, damit ich das Geschehen am Altar ganz aus der Nähe sehe. Mich hat niemand gezwungen Priester zu werden. Ich habe gespürt, dass das mein Weg ist. Wenn ich dazu nicht ja gesagt hätte, wäre mein Leben nicht in die richtige Richtung gegangen. Das spüre ich bis heute. Ich bin seit 36 Jahren Priester, ich würde es heute, trotz stark geänderter Bedingungen, noch einmal tun. Für diese Überzeugung bin ich sehr dankbar.

Vinschgerwind: Wir haben von Kindern geredet, von Erwachsenen. Wenn Sie sich im Telegrammstil an die Jugend wenden, was rufen Sie der Jugend zu?
Bischof Ivo Muser: Habt Mut und Hoffnung! Ich kenne Jugendliche, die Angst vor der Zukunft haben. Wegen der Umweltproblematik, wegen des Krieges in der Nähe, weil Beziehungen so brüchig geworden sind. Traut euch etwas zu. Ihr habt kostbares Potenzial. Stellt nicht nur die Frage: Was macht mir Spaß, wie komme ich leicht und ohne Mühe über die Runden? Sondern: Wie kann ich mit dem eigenen Leben beitragen, dass auch das Leben anderer Menschen gelingt? Die beste Werbung für junge Menschen sind junge Menschen, die sich einbringen und einsetzen – mit Mut und Hoffnung. Über die Jugend sollte man nicht schimpfen. Viel wichtiger ist es, dass wir Jugendlichen etwas zutrauen und dass wir sie nicht allein lassen. Meine Sorge sind nicht die Jugendlichen; das Denken, Reden und Verhalten von manchen Erwachsenen schon.

Interview: Erwin Bernhart

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