„In di Luftschutzkeller isches furchtbor gwesn“

geschrieben von
Lydia Grassl Kaufmann, geb. 1936, Laas. Das Holzkästchen, das ihr Vater im August 1945 aus seiner Gefangenschaft in Amerika mitgebracht hatte, hütet sie sorgsam, genauso wie seine Briefe. Lydia Grassl Kaufmann, geb. 1936, Laas. Das Holzkästchen, das ihr Vater im August 1945 aus seiner Gefangenschaft in Amerika mitgebracht hatte, hütet sie sorgsam, genauso wie seine Briefe.

Eine Südtiroler Siedlung bei Salzburg war von 1938 bis 1945 Lydias Zuhause. Sie war drei Jahre alt, als sie dorthin kam. Ihr Vater war von den faschistischen Arbeitgebern aus dem Laaser Marmorwerk vertrieben worden und mit der Frau und den zwei kleinen Kindern auswandert.

von Magdalena Dietl Sapelza

Lydias Vater fand sofort Arbeit in den „Salzburger Marmorwerken“, bis er in den Krieg ziehen musste. Die Mutter verdiente sich etwas mit Näharbeiten. In der Siedlung fühlte sich Lydia wohl. Schrecklich war für sie jedoch der Bombenalarm und die Enge in den überfüllten Luftschutzkellern. Noch heute riecht sie den modrig feuchten Geruch. „In di Luftschutzkeller isches furchtbor gwesn“, sagt sie. Die Gedanken daran machen es ihr heute noch schwer, durch ein Tunell zu fahren oder auch nur in den Keller zu gehen. Ein Schock für sie war die Nachricht, dass ihr Vater vermisst sei. Im Frühjahr 1945 entschied die Mutter mit ihren Kindern - inzwischen waren es drei - nach Laas zurückzukehren. Im Lastwagen auf holpriger Straße hielt sich Lydia an ihrer Puppe fest. Von Reschen ging’s zu Fuß weiter bis Schluderns und dann mit einem Ziehwagen nach Laas. Unterschlupf bot dort eine Tante. Die Mutter schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Lydia fühlte sich in der Schulklasse gemobbt. „Dia woaß nit amol wo Eyrs isch“, diese verächtlichen Worte der Lehrerin schmerzten. Italienisch war ihr fremd, und sie war tieftraurig, nachdem sie von „Sehr gut“ in Salzburg auf „Genügend“ herabgestuft worden war. „Di Frau fan Italienischlehrer hot miar norr fescht gholfn“, betont sie. Die Ungewissheit um das Schicksal des Vaters lag wie ein Schatten über der Familie. Die erlösende Nachricht kam mit einem Brief aus Amerika. Er lebte. Er arbeitete dort als Gefangener bei Waldarbeiten, und es ging ihm gut. Es folgten weitere Brief. Im August 1945 konnte Lydia ihren Vater in die Arme schließen. „Norr hon i gwisst, iatz kimmt a bessere Zeit“, erklärt sie. Mit im Gepäck hatte er eine Holzscha-tulle, auf der er die Namen seiner drei Kinder eingeritzt hatte. Später kamen noch zwei Kinder dazu. Beherzt förderte er alle. Lydia schaffte es sogar, Klassen zu überspringen. Nach der Mit-telschule bei den „Englischen“ in Meran besuchte sie dort die LBA. Als Lehrerin begann sie in Katharinaberg, kam dann nach Tabland und Allitz. Auf dem Fußweg dorthin begleitete sie gelegentlich der Steinmetz Franz Kaufmann (Jg. 1928), den sie 1957 heiratete. „Er isch gonz a liabr Mensch gwesn“, betont sie. Ihre nächste Stelle erhielt sie in Goldrain zugewiesen. Inzwischen war sie Mutter geworden. Da die Mutterschafts-Auszeit begrenzt war, kam sie nicht umhin, das Kind im Puppenwagen in die Schule mitzunehmen. Ein Hausmeister warf ein Auge darauf. Dann kam sie endlich in die Schule nach Laas. Inzwischen war sie Mutter von drei Kindern geworden. Nach einer Pause von 10 Jahren kamen noch zwei Nachzügler dazu und ein Pflegekind. Lydia gab ihr Bestes als Mutter und als Lehrerin. Auch beim Bau des Eigenheimes half sie tatkräftig mit. „Miar sein grennt unt hobm bugglt, obr olz isch gongen“, sagt sie.
Ein großes Anliegen war ihr stets die Förderung lernschwacher Kinder. Von der damaligen Landesrätin Gebert Deeg ließ sie sich dazu bewegen, für den Gemeinderat zu kandidieren. Als erste Frau im Laaser Gemeinderat kämpfte Lydia für die Errichtung der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen im „Doktorhaus“, die später nach Tschengls übersiedelte. Im Verwaltungsrat des Schlanderser Krankenhauses setzte sie sich für die Rechte der Frauen ein. Und sie gründete den Laaser Seniorenclub. „Miar hobm a tolle Gruppe kopp“, schwärmt sie. Deis isch für miar di scheanste Zeit gwesn.“ Mit dem Erlös von Bastelarbeiten konnte beispielsweise die Kirchenorgel mitfinanziert werden. Nachdem ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte und ihre Hilfe benötigte, gab Lydia die Leitung im Seniorenclub ab. Später kümmerte sie sich auch liebevoll um ihren Mann, bis dieser 2017 starb.
Heute pflegt sie ihren Garten, schreibt Begebenheiten aus ihrem Leben auf, ordnet die persönlichen Dokumente, die sie aufbewahrt hat, darunter auch die Briefe ihres Vaters. Inzwischen hat sich ein wertvoller Erinnerungsschatz angesammelt. Und Frau Lydia liest gerne. „Als Kindr hobm miar koane Bücher kopp“, meint sie.
Im vergangenen Jahr besuchte sie die Siedlung, in der sie einst gelebt hatte. Sie fand das Gebäude noch so vor, wie es einst war. „Obr kurz drnoch hobm si olz ogrissn“, erklärt sie. Die Siedlung ist zwar verschwunden, doch ihre Erinnerungen daran bleiben lebendig.

Gelesen 1075 mal
Mehr in dieser Kategorie: « Requiem in d-Moll k.626 Zukunft »

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 25-24

titel Vinschgerwind 24-24

titel vinschgerwind 23-24

 weihnachtsbroschüre 2024

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.