Nationalpark Stilfserjoch: Vom Wald zum Forst - Eine Waldgeschichte seit der Eiszeit

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Der Obervinschgau um den Tartscher Bühel herum: Die Urvinschger wechselten ihre Siedlungsplätze, wenn Acker- und Weideflächen an Ertrag verarmten und im umliegenden Wald das Holz mangelte. Der Obervinschgau um den Tartscher Bühel herum: Die Urvinschger wechselten ihre Siedlungsplätze, wenn Acker- und Weideflächen an Ertrag verarmten und im umliegenden Wald das Holz mangelte.

Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Theresa von Avila, 15. Oktober 2022

Die Interaktion zwischen dem Menschen und dem Wald beeinflusste die Geschichte des Waldes auch in den Alpen und damit in unserem Land Südtirol schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte.
Das Erdzeitalter, in dem wir heute leben, ist das Eiszeitalter oder Quartär. Im Lichte der menschengemachten Erwärmung und Klimaänderung ist der Ausdruck „Anthropozän“ oder Menschenzeitalter für unsere Jetztzeit wohl eher zutreffend. Paul Cruitzen, der Nobelpreisträger für Chemie, hat den Begriff „Anthropozän“ 2002 in unseren Sprachgebrauch eingeführt, nachdem die 10 Jahre davor schon eindeutig auf den menschenverstärkten Treibhauseffekt verwiesen haben.

Kälte- und Wärmeperioden
Blicken wir aber weiter zurück in längere erdgeschichtliche Zeiträume. In den letzten zweieinhalb Millionen Jahren sind die Temperaturen für mehrere zehntausend Jahre um ein paar Grad abgesunken und dann für ein paar Tausend Jahre wieder mehr oder weniger stark angestiegen. Dieser Wechsel von Kalt- und Warmphasen kennzeichnete das Klima in den Alpen, in Europa, ja darüber hinaus. Es gab vier Eiszeiten, die nach Flüssen benannt sind: Günz-, Mindel- Riss- und Würm-Eiszeit. Die letzte Kaltphase der Würm-Eiszeit wird dabei auf einen Zeitraum von etwa 115.000 bis 10.000 Jahre vor heute datiert. In den Eiszeiten waren die gletscherbedeckten Flächen natürlich vegetationslos, also pflanzenleer. Vor etwa 18.000 Jahren stiegen die Temperaturen allmählich an und das Eis der Gletscher begann abzuschmelzen. Die Gletscherflächen wichen PICT011 Eichezurück. Auf den eisfrei gewordenen Flächen begann Pflanzenwachstum mit sporenbildenden Pflanzen wie Algen, Flechten und Moosen. Und allmählich stellten sich erste krautige Blütenpflanzen als Pionierbesiedler unter den Samenpflanzen auf den Gletschervorfelder ein. Jahrhunderte bis Jahrtausende später beginnt Holzwuchs mit schaftbildenden Pionierbaumarten wie Birke und Kiefer. Im Gegensatz zu früheren Warmzeiten verlief die Waldentwicklung nach der Würm-Eiszeit als der letzten langanhaltenden Kälteperiode diesmal anders: Wir sind jetzt in der Steinzeit und es leben jetzt auch in den Alpen – zumindest saisonal und zeitweise – schon Menschen. Die Besiedlung der Zentralalpen stellt man sich nach heutigem Kenntnisstand von Süden her und in einem Dreischritt vor: Von nomadisierenden Jägern und Sammlerinnen über zumindest teilnomadisierenden Hirten mit erster Haustierzähmung zu sesshaften Bauern mit Ackerbau und winterlicher Vorratshaltung.

Homo sapiens wird sesshaft
Die modernen Menschen des Homo sapiens nutzten den Wald und das Wild von Anfang an. Fernwaffen wie Speere und Pfeile kamen vor etwa 20.000 Jahren auf und verbreiteten sich rasch auf dem ganzen Kontinent. Mit dem Übergang von Jäger- und Sammlergesellschaften zu Hirten und Bauern in der Jungsteinzeit ging eine immer intensivere Nutzung des Waldes einher. Etwa 5.000 Jahre vor der Zeitenwende begannen die Bauern der bandkeramischen Kultur in Mitteleuropa mit Ackerbau und Viehhaltung. Auf gerodeten Waldflächen wurden nun Felder zum Ackerbau von PICT0129 LärcheKulturpflanzen wie Einkorn, Emmer, Gerste, Erbsen und Lein u. a. angelegt. Ihr Vieh – Rinder, Schafe und Ziegen – trieben die Bauern zum Weiden in die Wälder. Eine Tradition, die sich über Jahrtausende halten sollte. Doch schon nach wenigen Jahrzehnten gaben die ersten Bauern ihre Siedlungen oftmals wieder auf. Der Grund war möglicherweise ein Nachlassen des Bodenertrages auf den Feldern. Wahrscheinlich war aber auch der zunehmende Mangel an Holz der Grund für die Suche nach neuen Siedlungsplätzen. Nach dem Weiterziehen konnte sich der Wald die verlassenen Siedlungsplätze wieder zurückerobern. Zuerst wuchs Gebüsch auf den Brachflächen, dann folgten die Pionierarten Birken und Kiefer. Den Birken und Kiefern folgten im Flachland weitere Arten, darunter immer mehr Laubbaumarten wie Eichen u.a., um die Pionierarten schließlich zu verdrängen.

Laub- und Nadelhölzer
Im feuchten Klima der gemäßigten Zonen können Laubbäume wegen ihres effizienteren Wassertransportes im Stamm rascher wachsen als Nadelbäume. Die Nadelbäume haben als Wasserleitbahnen mit den so genannten Tracheiden nur einen Typ von Wasserkapillaren. Diese Tracheiden haben allesamt etwa den gleichen, relativ kleinen Durchmesser. Laubbäume hingegen verfügen neben den engen Tracheiden zusätzlich über weitlumige Tracheen als großporige Wasserleitbahnen. Mit diesem zweifach ausgeformten Leitungssystem können Laubbäume weit mehr Wasser in die Baumwipfel leiten als Nadelbäume, wenn dieses Wasser im feuchten Klima in ausreichender Menge verfügbar ist und die Verdunstungsverluste über die Blätter ausgeglichen werden können. Durch das erhöhte Wasserangebot können Laubbäume auch mehr Fotosynthese betreiben als Nadelbäume, ein Grund, weshalb Eichen, Ulmen, Linden, Eschen, Ahorne sich gegenüber Nadelhölzern im Tiefland durchsetzten.
In Gebirgsregionen und Hochlagen wie den Zentralalpen mit ungünstigeren Klimabedingungen, wie intensiver Sonneneinstrahlung und erhöhten Verdunstungsverlusten, Winterkälte mit Bodenfrost und damit Wassermangel waren hingegen die „sparsamen“ Nadelbäume den Laubbäumen überlegen und konnten sich ausbreiten.

Wald entstand immer wieder neu
Auf den vom Menschen geschaffenen und aufgelassenen Freiflächen entstand Wald immer wieder neu. Aber nicht von Beginn der Waldbildung an als geschlossener Hochwald, sondern als Mosaik von Lichtungen, Waldrändern, Wiesen, Hochstaudenfluren und verbuschten Bereichen. Diese Übergangsräume und Saumgesellschaften boten verschiedene Lebensräume, in denen jede heimische Art von Tieren und Pflanzen ihre eigene Nische fand. Und der Artenreichtum war entsprechend groß und wurde immer größer.

Die Römer bringen die Dauersiedlung
Als die Römer um das Jahr 15 v. Chr. bis in das Rheinland und nach Süddeutschland vordrangen, brachten sie eine neue Lebensweise nach Mitteleuropa. Siedlungen und Wirtschaftsflächen wurden jetzt nicht mehr ständig verlagert, sondern blieben dauerhaft bestehen. Regionen, in denen die neue römische Siedlungsweise Fuß gefasst hatte, grenzten nun an andere, in denen – wie in vielen Jahrtausenden zuvor – Siedlungen gegründet und wieder aufgegeben wurden. Die Grenze zwischen zwei so unterschiedlichen Welten war im heutigen Deutschland der Limes, die befestigte Außengrenze des Römischen Reiches, die quer durch Mitteleuropa verlief.

Holzbedarf im Mittelalter
Im Mittelalter kam es auch in den Rand- und Zentralalpen zur weiteren Konsolidierung von Siedlungen. Um die Siedlungen herum lag üblicherweise eine Ackerbaufläche. Und am Außenrand der Ackerbaufläche bestand eine mehr oder weniger feste Außengrenze, jenseits der die Gemeinschaftsweide oder Allmende lag. Die Allmende durfte von allen Bauern des Dorfes gemeinsam als Viehweide benutzt werden. Sie diente aber auch zur Gewinnung von Holz, Streu und anderen Ressourcen. Niemandsland oder besser Jedermannsland.
Mit dem Siedlungsbau stieg der Bedarf an Brennholz. Der zunehmende Holzeinschlag und die Abnahme der Holzvorräte in den Wäldern beunruhigten die Menschen. Deshalb wurden schon im Hoch- und Spätmittelalter erstmals Waldflächen aufgeforstet.
Auf der mittelalterlichen Gemeinschaftsweide gingen die Grenzen von Wald und Offenland fließend ineinander über. Bäume wurden vom Weidevieh verbissen, reagierten beim Laubholz in ihrem Wachstum mit mehrtriebigen Stockausschlägen anstelle eines einzigen Schaftes oder Hochstammes wie ihn die Nadelhölzer ausbilden. In den Gemeinschaften entstanden erste Regelwerke zu den verschiedenen Nutzungen des Waldes, um die Widersprüche zwischen Weide und Bauholzbedarf aufzulösen. So genannte Niederwälder waren auch Energielieferanten, um Erze und Glas zu schmelzen. Mancherorts entstanden auch „Mittelwälder“, in denen einzelne Stämme in die Höhe wuchsen und bis zum Einschlag als Bauholz geschont wurden. So entstand ein zweischichtiger Aufbau des Waldes: Im Laubwaldklima gediehen u. a. auch Eichen und diese schafften es, manchmal als Einzelbäume hohe Stämme zu bilden, meist auch verdreht und knorrig wachsend. Diese Eichenstämme fanden etwa im süddeutschen Raum Verwendung zum Hausbau.
In der unteren, bodennahen Schicht des Waldes wuchsen hingegen niedrige, verbuschende Gehölze, welche weiterhin der Gewinnung von Brennholz dienten. Für den Bau der damals etwa im außeralpinen Raum weit verbreiteten Fachwerkhäusern waren gerade gewachsene Stämme, wie sie von Nadelbäumen stammen, nicht immer verfügbar, aber auch nicht unbedingt nötig: Zum Bau der Tragkonstruktion von Fachwerkhäusern genügten kürzere Teile und die Baumeister füllten die einzelnen Gefache mit Lehm, Getreidespreu oder anderen Materialien auf.
In den Regionen, in denen vorwiegend Nadelhölzer wuchsen, sahen die Hauskonstruktionen ganz anders aus: Hier konnte man aus den geraden und lang gewachsenen Stämmen der Nadelbäume massive Blockbauten errichten. In den Alpen als Nadelwaldgebiet herrschten daher massive Holzblockbauten vor.

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