Spezial-Bauen: Wann lernen wir endlich aus unseren Fehlern?

geschrieben von

Der geplante Abriss des Kasernenareals in Schlanders entfacht eine neue
Diskussion rund um den Umgang mit alter Bausubstanz. Ein kritischer Blick in
die Vergangenheit lohnt sich.

„Wenn man einen Baum fällt, soll man daraus etwas bauen, das mindestens so schön ist wie der Baum selber“, zitierte Ben Harper einen Gitarrenbauer bei seinem Konzert in Lucca 2022. Diese Aussage ist hochaktuell, nicht nur wenn es um unsere Natur geht, sondern auch, was unser bebautes Umfeld betrifft, unsere Heimat.
Alte Gebäude durch neue Bausubstanz zu ersetzen, bringt oft auf lange Sicht keinen Mehrwert, sondern einen langsamen und sukzessiven Verlust. Manchmal sind es nur scheinbar unbedeutende Elemente, wie eine alte Umfassungsmauer, ein Erker, ein dekoratives Marmorelement, welche im Zuge von Renovierungsarbeiten verschwinden, manchmal sind es ganze Häuser. Den Wert des Verlorenen erkennt man meist erst, wenn es nicht mehr da ist. Dafür gibt es genügend Beispiele in großen Städten, aber auch in kleinen Dörfern und mit Wehmut werden durch alte Bilder Erinnerungen wachgerüttelt, man möchte die einstige Bedeutungslosigkeit von Gebäuden und Bäumen revidieren. Selten sind es äußere Umstände wie Unwetterkatastrophen, die zum Verlust führen, sondern leider bewusste Entscheidungen.

Verlorene Gebäude, Gaststuben und Biergärten

Beispiele, wo man die Uhr einfach gern zurückdrehen würde, gibt es zur Genüge, so wie die alte Grundschule in Kortsch. Diese musste einem vierstöckigen Kondominium mit rot umrandeten Fenstern, einem turmartigen Treppenhaus mit Laubengang auf jeder Etage weichen und obwohl viele Menschen hier ein neues Zuhause gefunden haben, so ist der genius loci, der „Geist des s40 gr kortschOrtes“ doch nicht mehr erkennbar.
Auch unter den Gasthäusern gibt es viele verlorene Schätze. Der alte Hasenwirt in Schlanders, eines der ursprünglichsten Gastlokale in Schlanders,ist manchen nur noch in vager Erinnerung, ein fixer Treffpunkt zu Zeiten, in denen man auch ohne Handy erreichbar war. Der Fußboden war aus dunklem Holz, die kleinen Abteile weiß gestrichen. Kurz vor dem Abriss hatte sich schon längst die Patina der Zeit über alle Oberflächen gelegt und vermittelte einen heruntergekommenen und etwas traurigen Eindruck. Das unter der fettigen und abblätternden Oberfläche schlummernde Potential war sicherlich schwer zu erkennen. Eine Architektin aus Venedig wurde engagiert, um ein modernes, dem Zeitgeist entsprechendes Lokal zu bauen, mit vielen Sitzmöglichkeiten im Untergeschoss. Das Problem mit dem Zeitgeist ist halt, dass er nicht zeitlos ist. Das italienische Flair der Fassade mit Messingelementen, welche anstelle der Ansicht des ursprünglichen Gebäudes rückte, scheint zusammen mit dem Interieur etwas aus der Mode gekommen. Trotz guter Pizza bleiben die Sitzplätze im Untergeschoss leer. Was wohl aus dem Lokal geworden wäre, hätte man das Bauwerk liebevoll renoviert?
So wie das historische Gasthaus Krone in Laas mit seinem weiß gestrichenen Getäfel? Die Pizza im Innenhof unter der Pergola einer alten Glyzinie würde gleich noch besser schmecken…
Die Modernisierung des Kreuzwirts brachte gleich ein neues Geschäftsmodell nach Schlanders: Take-away, mit großer Leuchtschrift an der Theke beim Eingang. Was wohl aus dem alten Rosskastanienbaum im verschwundenen Biergarten wurde? Etwas so Schönes wie der Baum selbst?

Vorbei die schönen Bälle in den großen Sälen vieler Gastlokale, vergessen die Kegelbahnen in den angrenzenden Außenbereichen als Treffpunkt für Jung und Alt.
Wer heute noch im Besitz eines Biergartens mit großstämmigen Bäumen ist, weiß wie sehr diese von den Besuchern geschätzt werden, vor allem in Zeiten, in denen die Sommer immer heißer werden.

 

s42 florinethHier sei der Baumexperte Dr. Florin Florineth zitiert, der sagt, dass hohe Bäume eine enorme Verdunstungsleistung und Beschattung aufweisen und unbedingt zu erhalten seien, soweit sie garantierte Standsicherheit haben. Es braucht unglaubliche 1500 Jungbäume um die Vorteile eines großen Baumes mit einer Höhe von 20 m und einer Krone von etwa 12 m Durchmesser auszugleichen.

 

Renovieren macht Sinn

 „Ich würde, wenn es geht, alles erhalten.“, erklärt der Schlanderser Architekt Christian Kapeller. „Das ist nachhaltig.“ Er ist Experte, wenn es darum geht, alter Bausubstanz neues Leben einzuhauchen. Nicht nur in denkmalgeschützten Gebäuden erkennt er deren Wert, sondern auch in vermeintlich normalen Gebäuden und einfachen Mauern. Viel zu oft werde über ein Bauwerk schnell s42 kapellergeurteilt, eine Konstruktion als nicht erhaltenswert eingestuft. Dabei sind der stetige Abbruch und Wiederaufbau, die ständige Modernisierung, nicht mehr sinnvoll in einer Zeit, in der der Ressourcenverbrauch höher ist, als es unsere Welt verkraften kann. Viele Gebäude haben nach 30 Jahren bereits ausgedient und werden durch komplett neue ersetzt, manchmal mit dem schmückenden Label von KlimaHaus, Gold und Nature. „Wir müssen endlich lernen, zeitlose Architektur zu schätzen, und dem modernen Konsumgut des Bauens den Rücken zu kehren.“ Auch in Glurns seien die Kasernen sehr hastig und ohne lang zu überlegen abgerissen und das wertvolle Bauland veräußert worden. Die darauf errichteten Gebäude weisen allerdings keine hohe architektonische Qualität auf…

 

Architektin Silvia dell’Agnolo verweist ebenfalls auf die Wichtigkeit der Wiederverwendung alter s42 agnoloBausubstanz. “Wir tun manchmal gerade so, als ob wir alles hätten und uns alle Materialien grenzenlos zur Verfügung stehen würden.‘‘ Dem ist aber leider nicht so. Wir alle müssen lernen umzudenken. Wenn man ein Gebäude abreißt, ist das ein nicht wiederherstellbarer Wert. “Man bedenke nur, wie viel Energie zwischen Abbruch und Aufbau benötigt werden…”

 

 

 

„Dass der Pritzkerpreis, die höchste Anerkennung für Architektur, im letzten Jahr an das französische Architekturbüro Lacaton und Vassal vergeben worden ist, welche sich ausschließlich mit dem Umbau und der Sanierung von bestehender Bausubstanz beschäftigen, zeigt, dass das s42 wallnökologische und nachhaltige Handeln mittlerweile auch von der Architekturwelt anerkannt wird. Dies wäre vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen“, meint Architekt Jürgen Wallnöfer. Mittlerweile gibt es unzählige Beispiele hochwertiger Umbauten. In Bad Aibling bei München zum Beispiel wurde von einer der größten Immobilienfirmen Deutschlands eine verlassene und leerstehende Kaserne mit verschiedenen Funktionen (Sportschule, Konferenz- und Wellnesshotel usw.) gefüllt und zu neuem Leben erweckt.

Erkennen wir den Wert der Kasernen?

 

“Warum diese Eile? Lasst die Kasernen stehen. Als Reserve für die nächsten Generationen. “, meint Dr. Raimund Rechenmacher, Leiter der Bibliothek Schlanders. “ Unsere jungen Mitbürger haben genügend Ideen, wie dieses Areal genutzt werden kann. Lassen wir dieses Pflänzchen langsam wachsen. Lassen wir unsere Jugend endlich selber etwas machen und setzen ihnen nicht immer s42 rechenmache3ralles vor. Kein Wunder, wenn sie dann mit Vandalismus ihre Ablehnung ausdrücken. Wir müssen das Kasernenareal nicht gleich mit Wohnhäusern vollstopfen.” Laut Rechenmacher gebe es keine Wohnungsnot, sondern ein Verteilungsproblem. “Solange Wohnungen als Investitionsobjekte gehandelt werden, werden sie für den Großteil unserer jungen Mitbürger nicht erschwinglich sein.‘‘ Da greifen gut betuchte Investoren zu. Was in Innichen und anderen Alpengemeinden schon vor Jahren passiert ist, geschieht derzeit bei uns.” Er regt zudem an, die Leerstände bei Wohnungen und Gewerbeflächen zu erheben, sowie die zukünftigen unbewohnten Gebäude abzuschätzen, die durch Todesfälle in den nächsten 10-15 Jahren entstehen und eventuell nicht mehr genutzt werden. “Vielleicht könnte die Gemeinde oder das Land ja eine “Wohnungsbank” einrichten, leerstehende Wohnungen anmieten und an Interessierte weitergeben. In vielen Regionen Italiens machen sie so etwas mit Erfolg mit ungenutzten landwirtschaftlichen Flächen. Das Projekt nennt sich banca della terra.”

 

In die gleiche Kerbe schlägt der frühere Gemeindearzt Dr. Hansjörg Gluderer. Auch er sieht die Veräußerung wertvoller zusammenhängender Fläche als groben Fehler. Einen derartigen Bedarf an Eigentumswohnungen, egal ob gefördert oder frei, sieht er nicht, zumal es im Dorf sehr viele Leerstände gibt und Neubauten schlicht nicht mehr leistbar sind. Die junge Generation soll sich s42 gluderereinbringen, das Areal nutzen. Sein Vorschlag, alle Schulen ab der Mittelschule im Kasernenareal unterzubringen, sei schon vor vielen Jahren ungehört versandet. Eine Mensa, Campus und Studentenwohnungen seien ideal dort auf dem Gelände. Durch das langsame Zusammenwachsen der Fraktionen ist das Kasernenareal beinahe zum Zentrum von Schlanders geworden und bietet sich aus der Vogelperspektive als “Central Park” an. Die frei werdenden Schulgebäude könnten in Wohnungen umgewandelt werden, zentral, familiengerecht, auch für ältere Generationen. Und überhaupt, im Faschismus wurden 4 ha Grund Schlanderser Bürgern zwangsenteignet, diese Fläche gehört an die Gemeinde rückerstattet, ohne Millionenzahlungen. Spekulation ist nicht mehr gefragt.

 

Schlanders ist anders“ (oder könnte es anders sein?). Die Gemeinde Schlanders hat mit dem Bauprojekt „Kasernenareal“ die Chance, diesem häufig strapazierten Werbe-Slogan tatsächlich einen positiven Inhalt zu geben, indem sie nämlich ihre Bereitschaft zu einer zukunftsweisenden s42 mayrPlanung und Entwicklung beweist. Dies kann aber nur gelingen, wenn es eine organisatorisch-professionelle „Aufsicht“ gibt und die Anregungen eines kreativen, die Bevölkerung einbeziehenden Teams berücksichtigt werden. Mit den engagierten Menschen von Idrukas gibt es dieses Team schon und es hat bereits viel an wertvoller und „aufbauender“ Vorarbeit geleistet.
Es ist daher unumgänglich, außer in die Hardware (Wirtschaft) auch in die Köpfe (Kultur und Baukultur) zu investieren. In diesem Sinne freut es mich, dass es ein „Spielfeld“ für Innovation und jungem Geist – sprich die BASIS Vinschgau – gibt!
Manfred Alois Mayr

 

Beim Kasernenareal ist ein wohl überlegtes Handeln unabdingbar, um nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und den Abriss irgendwann zu bereuen. Wenn man dann sagt “Stian lossn war gscheider gwesn…” ist es leider zu spät…
Wie ist eure Meinung zum Thema? Schreibt uns unter:
idrukas@gmail.com

Gelesen 1536 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 25-24

titel Vinschgerwind 24-24

titel vinschgerwind 23-24

 weihnachtsbroschüre 2024

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.