Das große Experiment

geschrieben von

Stilfs - Dem Ort Stilfs sind vom italienischen Kulturministerium 20 Millionen Euro zugesprochen. Stilfs hat sich an der nationalen Ausschreibung zur Aufwertung von Ortschaften mit starker Abwanderung beteiligt. Auf Provinzebene wurde das Projekt an die erste Stelle gereiht und vom Kulturministerium anerkannt. Gemeinsam mit 20 anderen „borghi“, jeweils eines pro Region, hat Stilfs bis Ende 2026 Zeit, die 20 Millionen Euro für die angesuchten Projekte auszugeben.

von Erwin Bernhart

Allein durch die Zusage, dass der Ort Stilfs 20 Millionen erhalten soll, hat Stilfs in den Fokus der Berichterstattung gestellt und die lokalen medialen Scheinwerfer waren auf Stilfs gerichtet. 20 Millionen Euro? Wie, was, wofür? Und noch einen Effekt hatte die große Meldung: Es haben sich junge Leute telefonisch bei BM Franz Heinisch und bei Vize-BM Armin Angerer über Wohnmöglichkeiten in Stilfs informiert. Wenn dieser Effekt anhält und wenn aus Interesse tatsächlich Zuzug resultieren würde, hätte Stilfs, hätten die Initiatoren gewonnen.
Denn das Grundrauschen der Ausschreibung durch das italienische Kulturministerium war, durch kulturelle, soziale und wirtschaftliche Projekte für Orte mit starker Abwanderung dieser Abwanderung entgegenzuwirken, sogar bestenfalls eine Zuwanderung, also eine Wiederbelebung erzeugen zu können. Ein Ziel, das in der Vergangenheit in Stilfs zwar angegangen, die Wirkung, gemessen an der Abwanderung, aber verfehlt worden ist.
Der langjährige BM Josef Hofer hat mit seiner damaligen Mannschaft ab der Jahrtausendwende veranlasst, dass das Altdorf generalsaniert worden ist: Straßen und Gassen in Stilfs wurden mit einer neuen Oberfläche, eine Mischform aus Pflasterungen und Teer, versehen, darunter wurden marode Leitungen durch eine Trennkanalisation ersetzt, die Stromleitungen kamen auf Betreiben der E-Werk-Stilfs Genossenschaft unter die Erde. Sieben Brunnen wurden durch neue ersetzt. Die Finanzierung damals war ein Ineinandergreifen von Landesgeld, Eigenmittel der Gemeinde, EU-Strukturfonds, Nationalpark Stilfserjoch und Raika Prad.
Die Hardware von Infrastrukturen und Straßenbelag war gelegt, funktioniert heute noch. Einige Brunnen bedürfen einer Sanierung. Hofers Vermächtnis ist sicht- und begehbar. „Das Dorf hat ein Sonntagskleid angezogen, und das bedeutet Aufbruchstimmung“, sagte damals der Dorflehrer Roland Angerer. Aber: Die Abwanderung konnte damit nicht gestoppt werden. Stilfs ist mittlerweile auf rund 420 Einwohner geschrumpft.

Der Zufall will es, dass für Stilfs Geldmittel aus dem PNRR, diesem „Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza“ freigeschaufelt werden konnten. Dreh- und Angelpunkt für das Ansuchen, für das Ausarbeiten und Formulieren von Projekten, ist der Präsident der Bürgergenossenschaft Obervinschgau (BGO) Armin Bernhard. Die Architektin Susanne Waiz ist ihm zur Seite gestanden. In das Ansuchen hineingepackt wurden Projekte, die bislang in der Schublade verblieben sind, die bisher aufgrund von Geldmangel Wunschtraum geblieben sind. Aber auch viel Kultur, unter anderem ein Streumuseum, mit dem Vorschlag eines „albergo diffuso“ eine neue Form für den Tourismus, einen multifunktionalen Dorfladen, eine Reaktivierung von Wiesen oberhalb des Dorfes, Aufforstunen, eine Beregnungsanlage am östlichen Dorfrand...
Es sind 26 Projekt-Linien skizziert, die ineinandergreifend Stilfs gegenwarts- und nachhaltig zukunfstfit machen könnten.
Alle Projekte sind mit einer eng bemessenen Zeitleiste versehen: Diskussionszeit, Planungsphase, Genehmigungsprozesse, Umsetzung, Fertigstellung. Denn die Projektdauer ist mit Ende 2026 befristet. Dann, so der bisherige Stand, müssen sämtliche Maßnahmen, bauliche und inhaltliche fertiggestellt sein.
Seit dem Einreichen und mit der Zusage vom Kulturministerium hat in Stilfs ein Zeitmangementplan begonnen, der schweißtreibend sein wird. BM Franz Heinisch hat sich frühzeitig hilfesuchend an die Bezirksgemeinschaft in Schlanders gewendet und beim dortigen Generalsekreär Urban Rinner um Hilfestellung angesucht. Der Bezirksrat hat kürzlich beschlossen, mit der Gemeinde Stilfs eine diesbezüglich Vereinbarung zu machen. Diese Vereinbarung dürfte in diesen Tagen unterschrieben werden. Damit laufen sämtliche bürokratischen Aufwände, die für die Projekte in Stilfs anfallen werden, über den Schreibtisch von Urban Rinner. Die Vergabestelle in der Bezirkgemeinschaft unter Eva Ratschiller wird die jeweiligen Ausschreibungen und Vergaben betreuen. Zudem wird die Bezirksgemeinschaft für den Stilfser Projektzeitraum bis Ende 2026 1,5 Arbeitstellen neu besetzen.
In Stilfs ist es der Vize-BM Armin Angerer, der die PNRR-Agenden vorantreiben wird. „Wir mussten nichts Neues erfinden“, sagt Angerer. Vieles war in den Schubladen. Für einen Buswendeplatz am östlichen Dorfrand liegt seit Herbst 2021 eine Machbarkeitsstudie vor - eine Straßenauskragung und darunter eine Tiefgarage mit 45 Stellplätzen und auch der Bauhof soll da hineingepackt werden. Kosten: 4 Millionen Euro. Oder der Umbau des alten Gemeindehauses. Gedanken darüber hat man sich bereits seit Jahren gemacht. Weil kein Geld vorhanden war, kam es nie zu einer Umsetztung. Nun soll eine Tiefgarage für die Dorfbewohner kommen, ein Dorfladen als Treffpunkt und darüber Altenwohnungen. 3,5 Millionen Euro ist der Kostenvoranschlag dafür. Ein anderer, lang gehegter Wunsch ist die Verlegung der Hochspannungsleitung, die direkt vor der Nase der Stilfser vorbeigeht. Zwei Millionen Euro sind dafür budgetiert. Ein gemeindeeigenes Gebäude soll mustergültig energetisch saniert werden, die ehemaligen Altenwohnungen in Wohnraum umgewandelt werden, die Sanierung und Erweiterung der Feuerwehrhalle steht demnächst schon an...
Die „Hardware“ im Projekt verschlingt rasch einen Haufen Geld.
Die „Software“, also die Bereitstellung von Räumlichkeiten für Handwerker, für Künstler, die Erstellung des Konzeptes und die Umsetzung eines Srreumuseums, ein angedachtes „Stelvio-Festival“ und vor allem auch die Umsetzung eines Mobilitätskonzeptes ist weniger „betonzentriert“. Bei der Mobilität wird bereits im August, so der Plan, ein Professor von der TU Wien die Anregungen, Wünsche und Visionen der Bevölkerung mitbegleiten.
Der Kerngruppe der 20 Millionen PNRR-Gelder, die aus BM Franz Heinisch, Vize-BM Armin Angerer, Roland Angerer und Samuel Marseiler, aus Armin Bernhard (BGO), der Architektin Susanne Waiz, Volker Klotz von der Abteilung für deutsche Kultur, und der Künstlerin Verena Wopfner besteht, steht die Aufgabe bevor, die Stilfserinnen und Stilfser auf den Weg der Projekte-Verwirklichung mitzunehmen. Bei einer ersten Bürgerversammlung waren Interesse und die Bereitschaft zum Mitdenken groß. 80 Bürger:innen waren im Saal und weitere 45 Leute haben die Versammlung online mitverfolgt. Die Arbeitstische nach der Grundinformation wurden angenommen, die Leute blieben im Saal und wechselten zwischen den Themen „Wohnen“, „Handwerk und Landwirtschaft“, „Kultur“ und „Tourismus“. „Von Jung bis Alt, alle Bevölkerungsschichten waren interessiert“, stellt VizeBM Armin Angerer mit Genugtuung fest.
Derweil sind im Hintergrund bereits Amtswege beschritten worden, die bürokratisch Zeit in Anspruch nehmen: ein Wiedergewinnungsplan für das Altdorf ist ausgeschrieben, für die Bauleitplanänderungen ist die Projektierung in Auftrag gegeben worden, in der Dreijahresbilanz sind die PNRR-Gelder bereits eingebaut und demnächst sollen die ersten 2 Millionen Euro vom Kulturministerium fließen. Weiteres Geld kann nach Bau- oder Projektfortschritten abgerufen werden.
Stilfs geht mit dem Gewinn der 20 Millionen Euro ein großes Experiment ein. Seien wir realistisch, sagt der VizeBM: „Wir wollen die Abwanderung stoppen und wir träumen davon, den Trend umkehren zu können.“

Gelesen 2071 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 25-24

titel Vinschgerwind 24-24

titel vinschgerwind 23-24

 weihnachtsbroschüre 2024

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.