Nationalpark Stilfserjoch: Die Uhr läuft - Wir Menschen sägen am eigenen Ast

geschrieben von
Der Obervinschgau um den Reschensee und St. Valenin a. H. von der Seebodenspitze aus Der Obervinschgau um den Reschensee und St. Valenin a. H. von der Seebodenspitze aus

Wolfgang Platter, zum Tag des Heiligen Laurentius, 10. August 2022

Zwei Gründe haben mich vorrangig bewogen, heute über die Folgen des Klimawandels zu schreiben: der erste Jahrtag nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 in Deutschland und die Ausrufung des Wassernotstandes in Südtirol durch unseren Landeshauptmann. Zwei entgegengesetzte Enden einer Skala: Extremniederschlag und Extremtrockenheit. Extremereignisse häufen sich auch in ihrer zeitlichen Abfolge: Jahrhundertereignisse werden zu Jahrzehntereignissen. Meine nachfolgenden Zustandsbeschreibungen habe ich dem neuen Buch von Mojib Latif „Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können“ entnommen, welches im heurigen Jahr im Herder Verlag erschienen ist. Mojib Latif ist Seniorprofessor an der Universität Kiel und forscht am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Der fortschreitende menschengemachte Klimawandel verschlechtert die Lebensbedingungen auf der Erde radikal. Hinzu kommen weitere menschengemachte negative Einflüsse: der anhaltende Rückgang der Artenvielfalt. Oder kriegerische Auseinandersetzungen mit Hunger und Elend. Syrien und Jemen sind nur zwei Beispiele für langjährige Kriege. Die Ukraine ist seit dem 24. Februar dieses Jahres dazugekommen. Weltweit gibt es derzeit 80 Millionen Flüchtlinge und 800 Millionen 010C2 2010hungernde Menschen. Gesellschaften sind aus verschiedenen Gründen fragil. Und Gesellschaften sind schon in verschiedenen Ländern zusammengebrochen. Die weltweit zunehmenden Umweltprobleme treten immer offener zutage. Diese Umweltprobleme unterstützen vorhandene Fehlentwicklungen, verschärfen Krisen und beschwören neue herauf.

Das Risiko von Pandemien durch Tierwanderungen
Unser Planet Erde hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv erwärmt. Diese Erwärmung führt u. a. dazu, dass sich Tiere an Land und in den Meeren von den Tropen weg zu den Polen bewegen, um der Hitze zu entkommen. Durch die Veränderung ihrer Lebensräume können diese abwandernden Tiere mit anderen Tieren in Kontakt kommen, die sie normalerweise nicht treffen würden. Und das ermöglicht es Krankheitserregern, neue Wirte zu infizieren. Der Klimawandel könnte somit das Risiko von Pandemien erhöhen. Die Abholzung der Wälder, die meistens landwirtschaftlichen Zwecken dient, ist weltweit die größte Ursache für den Verlust von Lebensräumen. Auch der Verlust ihres angestammten Lebensraumes zwingt Tiere zu Wanderungen, bei denen sie mit anderen Tierarten oder Menschen in Kontakt kommen und Krankheitserreger weitergeben können.

Härtetest nicht bestanden
„Manche frühen Hochkulturen sind untergegangen, wenn die Natur zu stark unter Druck geriet und sich die Lebensbedingungen für die Menschen verschlechterten. So war der Untergang der Maya-Kultur im 9. Jahrhundert n. Chr. zum Teil dem Raubbau an der Natur und höchstwahrscheinlich auch mehreren dicht aufeinanderfolgenden Dürreperioden geschuldet“ schreibt Mojib Latif. Und weiter: „Die Menschheit ist im Begriff, durch den Klimawandel den Ast abzusägen, auf dem sie selber sitzt.“

Die Zeit drängt
799B3 SW 2019Die Zeit drängt, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden. Auch wenn es Interessensgruppen gibt, die den Zeitdruck bestreiten, um etwa aus der Kohle auszusteigen. Aber den Zeitdruck können wir an vielen Daten erkennen, die unbestechlich sind und Auskunft über den Zustand der Erde geben. Die Beobachtung der Daten, insbesondere seit Beginn des Satellitenzeitalters vor etwa 40 Jahren zeigt, wie sich der Mangel an Nachhaltigkeit lokal und global auswirkt. Latif: “Wir können nachweisen, dass das Grundwasser überall auf der Erde verloren geht, hauptsächlich in den trockenen und halbtrockenen Regionen“. Bei diesem Verlust des Grundwassers spielt nicht nur die globale Erwärmung eine Rolle, sondern vor allem die verschwenderische Wassernutzung.

Schnelle Trendumkehr notwendig
Latif: „Die Menschheit unterzieht sich gerade einem Härtetest. Sollte eine schnelle Trendumkehr in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung nicht gelingen, drohen die Gesellschaften einiger Weltreligionen vielleicht sogar noch in diesem Jahrzehnt zusammenzubrechen. Eine solche Trend-umkehr erfordert viel mehr als die Begrenzung der lokalen Erwärmung. Es ist die ganze Art und Weise, wie wir auf dem Planeten leben, die sich ändern muss, einschließlich der Lebensmittelproduktion und unserer Ernährungsgewohnheiten. Sonst kann es zum Kollaps kommen, wie es der Club of Rome vor einem halben Jahrhundert berechnet hat. Wie unvernünftig die Menschen agieren, zeigt eine jüngst erschienene wissenschaftliche Studie anhand empirischer Daten. Gaya Harrington, die Autorin der Studie, kommt zum Schluss, dass die Menschheit in den letzten 50 Jahren ziemlich genau den Pfad beschritten hat, den der Club of Rome in seinem Bericht Die Grenzen des Wachstums als das Worst Case-Szenario (schlechtesten Fall) berechnet hat. Die Menschen scheinen immer noch nicht hinzugelernt zu haben.“

Gifte in Luft, Boden und Wasser
Weltweit betrachtet, sterben viele Menschen frühzeitig durch Umweltschäden. Todesursachse sind dabei nicht ausschließlich die Auswirkungen der globalen Erwärmung. Verantwortlich für verfrühtes Sterben ist auch die Luftverschmutzung in den Ballungszentren mit viel Industrie und Verkehr. Auch hier spielen die fossilen Brennstoffe eine Rolle, deren Verbrennung nicht nur der Hauptgrund für die globale Erwärmung ist, sondern auch eine Ursache für die schlechte Luftqualität.
Die schleichende Vergiftung der Böden, des Grundwassers und der Weltmeere zählt ebenfalls zu DSC 3341den lebensverkürzenden Faktoren. Diese Einflüsse sind allerdings schwer zu beziffern und bishere unzureichend erforscht.
Die Ökosysteme werden in weiten Teilen unserer Erde von den menschengemachten Umweltveränderungen gestresst. Das Waldsterben, in Deutschland als Waldsterben 2.0 bezeichnet, mitausgelöst durch größere Hitze und Trockenheit während der letzten Jahre als Folge der globalen Erwärmung, ist ein Beispiel für diesen Stress.
Ein weiteres Beispiel ist das Insektensterben. In der öffentlichen Diskussion steht das Bienensterben symbolisch für den Tod der vielen Insektenarten. Dabei ist die globale Erwärmung ebenfalls ein Faktor, der zum Insektensterben beiträgt: Die steigenden Temperaturen führen zu einem verfrühten Blühen. Dadurch gerät der fein abgestimmte Rhythmus von Insekten und Pflanzen durcheinander. In der Literatur findet man Angaben, dass drei Viertel aller Fluginsekten Deutschlands im Verlauf von nicht einmal 30 Jahren verschwunden sein sollen. Der Insektenschwund beeinflusst die Nahrungskette sehr negativ: Insektenfressende Vögel und Kleinsäuger wie z. B. die Fledermäuse sind hungergefährdet.

Die Abholzung der tropischen Regenwälder
Neben der Zerstörung der Korallenriffe in den Weltmeeren ist die Abholzung der tropischen Regenwälder eines der schlimmsten Beispiele für die Zerstörung von Ökosystemen auf der Erde überhaupt. Im Blickpunkt steht derzeit v. a. der Amazonas-Regenwald. Immer größere Teile fallen den Brandrodungen und Kettensägen zum Opfer. Mit katastrophalen Auswirkungen für die indigenen Völker, die Artenvielfalt und das Klima. Aber die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes wirkt sich auch außerhalb der Region aus: Der Regenwald ist eine gigantische Feuchtigkeitsquelle. Gewaltige Mengen von Wasser verdunsten aus seinem Blätterdach. In der gasförmigen Form werden sie als Wasserdampf mit den Winden fortgetragen und über große Distanzen verfrachtet. Diese Wassermassen sorgen für die dringend benötigten Niederschläge in einigen Nachbarländern Brasiliens. Man nennt diese Fernverfrachtung von Wasser in Dampfform und dessen Ausregnen andernorts auch „fliegende Flüsse“. Eine weitere globale Erwärmung könnte die tropischen Windsysteme und Niederschlagssysteme so weit verändern, dass die Amazonasregion noch in diesem Jahrhundert austrocknet und dort überhaupt kein Regenwald mehr existiert. Der Kollaps des Regenwaldes wiederum würde die Erderwärmung beschleunigen, weil dann wegen der fehlenden üppigen Vegetation weniger Treibhausgase gebunden würden. Und die Amazonasregion würde sich von einer CO2-Senke, die sie heute noch ist, in eine CO2-Quelle verwandeln. Deswegen wäre es so wichtig, das, was noch vom Regenwald übrig ist, in Ruhe zu lassen, um seine Widerstandskraft zu erhalten, anstatt ihm immer größere Wunden zuzufügen.

Gelesen 1483 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 25-24

titel Vinschgerwind 24-24

titel vinschgerwind 23-24

 weihnachtsbroschüre 2024

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.