Nationalpark Stilfserjoch: Der Nationalpark Stilfserjoch ist keine unbesiedelte Wilderness - Er ist ein Mosaik aus Kultur- und Naturlandschaft

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links: Beispiel Naturlandschaft in der A- oder Kernzone:  Jennwand mit Göflaner See vom Marteller Grat aus.  rechts: Höfe am Marteller Sonnenberg im Herbst als Beispiel  für gepflegte Kulturlandschaft im Nationalpark. links: Beispiel Naturlandschaft in der A- oder Kernzone: Jennwand mit Göflaner See vom Marteller Grat aus. rechts: Höfe am Marteller Sonnenberg im Herbst als Beispiel für gepflegte Kulturlandschaft im Nationalpark.

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Pankratius, 12. Mai 2020

Der Nationalpark Stilfserjoch ist keine unberührte Wilderness in einer unbesiedelten Randlage, sondern ein wertvolles Mosaik aus Natur- und Kulturlandschaften. Dies sollte man beherzigen, wenn man den verständnisvollen Zugang zu diesem Schutzgebiet sucht und finden will. Die ökologisch wertvolle Verzahnung von Natur- und Kulturlandschaft gilt es für die uns nachfolgenden Generationen zu erhalten. Dabei geht es um Augenmaß und gegenseitiges Verständnis. Natur- und Landschaftsschutz unter der Käseglocke sind nicht möglich, nicht nachhaltig und nicht zukunftsfähig. Fundamentalistische Extrempositionen, dem Schutzgebiet von außen aufgezwungen, sind ebenso falsche Ansätze wie schamlose Profitgier von innen mit unwiederbringlicher Zerstörung von Lebensräumen. Die Wohnbevölkerung muss auf dem Weg des sorgsamen Umganges mit Landschaft, Grund und Boden mitgenommen werden und mitwachsen. Und andererseits kann die Entsiedlung des ländlichen, peripheren und strukturschwachen Raumes nicht Ziel einer Mittel- und Langzeitstrategie für ein Schutzgebiet im Range eines Nationalparks sein. Die Bergbauern auf ihren Höfen, teilweise in extremer Höhen- und Steillage leisten wertvolle Beiträge zum Erhalt der Kulturlandschaft. Bewirtschaftete Bergbauernhöfe und bestoßene Almen sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt des abwechslungsreichen Mosaiks an Lebensräumen und zur Biodiversität von Pflanzen und Tierarten. Die Leistungen der Bergbauern in der Pflege der Landschaft für die Gesellschaft verdienen daher auch finanzielle Abstützung.

Lenkungsinstrument Parkplan
Der Nationalpark Stilfserjoch hat ein hohes ökonomisches Entwicklungspotential. Mit dem Übergang der Verwaltungskompetenzen im Jahr 2016 (Legislativdekret des Staatspräsidenten vom 13. Jänner 2016, Nr. 14) vom Staat an die Länder Lombardei, Trentino und Südtirol hat das Subsidiaritätsprinzip Anwendung gefunden und das Umweltministerium hat in Anerkennung der Sonderautonomie der Region Trentino Südtirol Vertrauen in die lokalen Gebietskörperschaften gesetzt. Parkplan und Park-reglement bilden weiterhin ein Lenkungsinstrument, das von den drei Ländern im Einvernehmen erarbeitet werden muss. Das Umweltministerium hat sich mit der Verabschiedung des neuen Textes zur Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatutes DPR 279/1974 (aus der Zeit Silvius Magnago, Alfons Benedikter) im Sachbereich Nationalpark Stilfserjoch ein Mitsprache- und Vetorecht bei der Verabschiedung des Parkplanes als Ordnungs- und Planungsinstrument vorbehalten.

Leitbild
Für den Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch haben die verschiedenen Interessensgruppen im Frühjahr 2016 unter dem Vorsitz von Landesrat Dr. Richard Theiner ein Leitbild entwickelt „Nationalpark Stilfserjoch - Mensch und Natur in Balance“. Dieses Leitbild ist der Verantwortung, der Nachhaltigkeit und der maßvollen Entwicklung in der sorgsam abgewogenen Balance zwischen Ökologie und Ökonomie verpflichtet. Es wurde von der Südtiroler Landesregierung mit Beschluss übernommen. Mensch und Natur haben im Gebiet des Nationalparks lange vor dessen Ausweisung immer schon in enger Wechselwirkung gelebt. Die besondere Beziehung mit dem Naturraum zeigt die jahrtausendealte Bewirtschaftung dieses kleinstrukturierten Berggebietes. In besonderer Verantwortung für die Zukunft wollen sich die Gemeinden des Nationalparks zu einer Modellregion für nachhaltiges Leben in den Alpen weiterentwickeln.

Geschichte
Der Nationalpark Stilfserjoch ist mit einer Ausdehnung von 130.728 Hektaren nach dem Nationalpark Hohe Tauern mit ca. 180.000 ha Fläche in den drei österreichischen Bundesländern Tirol, Salzburg und Kärnten das zweitgrößte Schutzgebiet in den Alpen. Er war im Jahr 1935 unter dem faschistischen Regime ohne Einbezug der Wohnbevölkerung ausgewiesen worden. Treibende Kräfte waren Naturwissenschaftler aus der Universitätswelt und der italienische Alpenverein CAI. Mit den Nationalparken Gran Paradiso, Abruzzo und Circeo gehört der Nationalpark Stilfserjoch damit zu den vier historischen Nationalparken Italiens aus den 1920-er und 1930er-Jahren. Heute zählt Italien 23 Nationalparke. In den Alpen gibt es zwischen Frankreich und Slowenien 14 Nationalparke. Weltweit der älteste Nationalpark ist der Nationalpark Yellowstone in den USA aus dem Jahre 1872. Der erste Nationalpark in Europa wurde 1902 in Schweden ausgewiesen. Im Alpenbogen ist der Nationalpark Schweiz mit seiner Ausweisung im Jahr 1914 der älteste. Weltweit sind heute ca. 4.300 Schutzgebiete als Nationalparke klassifiziert.

Geographie
Das Herzstück des Nationalparks Stilfserjoch bilden die derzeit noch vergletscherten Berge der Ortler-Cevedale-Gruppe und der Zufritt-Spitzen und die von diesen Gebirgsmassiven abfallenden und ausgefurchten Täler. 45% der Gesamtfläche des Nationalparks Stilfserjoch liegen in der Region Lombardei, 41% in Südtirol und 14% im Trentino. In seiner Höhenamplitude reicht der Nationalpark von der collinen Stufe in der Valle Camonica (BS) und der montanen Stufe im Vinschgau bei Latsch auf 650 m bis in die Nivalstufe am Gipfel des Ortlers (3.900 m). Damit umfasst der Nationalpark alle Lebensräume vom Weinbauklima bis zum Gletscher.
Insgesamt 23 Gemeinden haben Flächenanteile am Nationalpark Stilfserjoch, davon 4 in der Provinz Brescia und 6 in jener von Sondrio (Region Lombardei), 10 in Südtirol und 3 im Trentino als Autonome Provinzen. In diesen Nationalpark-Gemeinden lebten 2017 64.821 Einwohner (1991: 59.992). Einige Gemeinden, etwa in der Brescianer Valle Camonica oder die Gemeinden Stilfs und Martell im Vinschgau, haben eine negative Bevölkerungsentwicklung.

Landwirtschaft
Innerhalb der Grenzen des Nationalparks Stilfserjoch gab es zum Stand der letzten Landwirtschaftszählung (2011) 2.985 landwirtschaftliche Betriebe (davon 2.237 im Südtiroler Parkanteil) mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 75.812 Hektar (davon in Südtirol 37.292 ha). Mit 4,8% der Fläche hat die Landwirtschaft in Südtirol noch den höchsten Anteil in der Landnutzung. Im Trentino macht die landwirtschaftliche Nutzfläche noch 3,3% der Parkfläche aus, in der Lombardei nur mehr 0,8%.
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist in den Alpen besorgniserregend von 450.000 Betrieben im Jahr 1980 auf knapp 290.000 Betriebe im Jahr 2010 zurückgegangen (Werner Bätzing: Die Alpen. C.H. Beck-Verlag, 2015). Wir sollten in der Berglandwirtschaft im Vinschgau, im Nationalpark und in Südtirol keine Entwicklung wie in den Westalpen mit der Entleerung ganzer Täler und starker Überalterung der Bevölkerung in den Randlagen erleben müssen.

Tourismus
Innerhalb des Nationalparks Stilfserjoch gibt es 1.163 touristische Strukturen (Hotels, Beherbergungsbetriebe u.a.) mit insgesamt 37.646 Betten (davon Lo: 19.583, BZ 14.515 und TN 3.548) und damit ein hohes Angebot an Unterkünften, aber mancherorts mit geringer Jahresauslastung. Im Sommertourismus wurden 2016 im Nationalparkgebiet insgesamt 632.695 Ankünfte und 2.545.092 Nächtigungen registriert, davon in Südtirol 283.613 Ankünfte (45% aller Ankünfte im NPS) und Nächtigungen 1.191.292 (47%). Im Winter waren es 2016 insgesamt 677.677 Ankünfte im Parkgebiet und 3.267.152 Aufenthalte, davon im Südtiroler Parkgebiet Ankünfte 124.381 (18%) und Aufenthalte 554.131 (17%)

Das Vier-Zonen-Modell
Das Vier-Zonen-Modell unterschiedlicher Schutzintensität, wie es der derzeitige Entwurf zum Nationalparkplan vorsieht und das staatliche Rahmengesetz über die geschützten Gebiete 394/1991 vorgibt, ist meines Erachtens ein taugliches Planungs- und Lenkungsinstrument in der sensiblen Balance zwischen Schützen und Nützen der Kombination von Natur- und Kulturlandschaft, wie es sie in unseren Gebirgstälern gottlob noch gibt. Der Nationalpark Stilfserjoch ist eben keine unbewohnte Wilderness, wie schon eingangs erwähnt wurde. Und die Entsiedlung des ländlichen Raumes und das weitere Auflassen von derzeit bewirtschafteten Bergbauernhöfen kann nicht Ziel eines mittel- und langfristig sinnhaften Landschafts- und Naturschutzes sein. Die vier vorgesehenen Zonen von der D- bis zur A-Zone lassen differenzierte Schutz- und Nutzintensitäten zu:
• Die D-Zone oder Entwicklungszone umfasst das dauerbesiedelte Gebiet in den geschlosssenen Ortschaften; diese Zone umfasst im Südtiroler Länderanteil des Nationalparks 4% des Schutzgebietes (Stand 2018). Die D-Zone ist in zwei Unterzonen D1 (geschlossene Siedlungen) und D2 (Infrastrukturen wie Skipisten und Aufstiegsanlagen, Staudämme, Steinbrüche) unterteilt;
• die C-Zone oder Übergangszone umfasst die Dauersiedlungen in Streusiedlung und die Einzelhöfe sowie den Nutzwald und macht 22% der Südtiroler Parkfläche aus;
• die B-Zone oder Bewahrungszone schließt den Schutzwald und die Almen ein (55% der Südtiroler Parkfläche);
• die A-Zone oder Kernzone umfasst als Vollschutzgebiet die Gebirgsregion oberhalb der Waldgrenze und macht 21% des Südtiroler Parkgebietes aus.

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