Dienstag, 29 November 2016 12:00

Die Unschuldsvermutung lässt grüßen!

Aus dem Gerichtssaal - Die Unschuldsvermutung ist einer der Eckpfeiler eines rechtstaatlichen Strafverfahrens. Sie richtete sich in der Vergangenheit vor allem gegen das himmelschreiende Unrecht der Hexenprozesse. Mittlerweile hat das vom Mailänder Aufklärungs- und Rechtsphilosophen Cesare Beccaria postulierte  Rechtsprinzip Eingang gefunden in die Menschenrechtserklärung der UNO von 1948, in die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 sowie in die meisten europäischen Verfassungen.
Die Unschuldsvermutung erfordert, dass der einer Straftat Beschuldigte bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung, als unschuldig zu gelten hat. Rufschädigende Vorverurteilungen durch die Strafverfolgungsbehörde und vor allem durch die Medien müssen unterbleiben. Aus der Praxis der Gerichte wissen wir allerdings auch, dass kaum ein anderes Grundrecht so oft und so nachhaltig beschädigt wird.

Als klassisches Beispiel dafür fällt mir ein Fall aus den 60-iger Jahren in Deutschland ein. Auf den Autobahnen war es zu einer Reihe von Morden an Frauen gekommen. Die Polizei tappte im Dunkeln. Auf Grund vager Indizien glaubte sie als Mörder einen Privatdetektiv aus Stuttgart ausgemacht zu haben. Über eine undichte Stelle sickerte die Nachricht bis zur BILD-Zeitung durch, welche mit dem Knüller samt Foto titelte: “DIES IST DER AUTOBAHNMÖRDER“. Darunter stand kleingedruckt: das meint die Polizei. Der so als Mörder Gebrandmarkte entging nur knapp der Lynchjustiz seiner Nachbarn. Er konnte zwar seine Unschuld beweisen, aber sein beschädigter Ruf blieb ihm bis an sein Lebensende erhalten.
Doch wir brauchen nicht in die Ferne zu schweifen. Ähnliche Beispiele gibt es auch vor unserer Haustüre. Da gab es doch in den 1990-iger Jahren eine Mordserie in Meran. Auch hier war die Polizei einem großen Fahndungsdruck ausgesetzt. Auf Grund einer vagen Personenbeschreibung fertigte sie das Identikit des mutmaßlichen Täters an und identifizierte diesen in der Person eines gewissen Luca Nobile aus Sinich. Der leitende Staatsanwalt steckte den Anstreicher ins Loch, übergab den Journalisten die Fotos des „Täters“ und fuhr „nach getaner Arbeit“ in den wohlverdienten Urlaub. Blöderweise gingen danach die Morde weiter, Nobile musste enthaftet und auf Staatskosten entschädigt werden, der Staatsanwalt machte Karriere und ist jetzt Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Doch auch der jüngste Fall mit dem angeblichen „Gammelfleisch“ in einem Gasthaus in Schlanders hat gewisse Parallelen mit den spektakulären Mordfällen. Auch hier entsteht, verursacht durch unzulässige Verlautbarungen der Lebensmittelpolizei, in der Öffentlichkeit der Eindruck, in dem Lokal wäre verdorbenes Fleisch verkocht worden. Wäre dem so gewesen, dann wäre das Lokal sofort geschlossen worden! In Wirklichkeit hat der Betreiber das Fleisch tiefgefroren, wodurch die öffentliche Gesundheit zu keiner Zeit gefährdet war. Aber bis zur endgültigen Klärung des Falles bleibt man im Dorf erst einmal bei einer Vorverurteilung!
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt

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Publiziert in Ausgabe 24/2016

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