Dienstag, 06 September 2016 09:26

„I kannt fohrn bis Potsdam“

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

s17 3217Frau Rosa mag Blumen und zupft die verwelkten Blüten regelmäßig von den Stengeln. Sie wohnt derzeit bei ihrer Tochter im „Hotel Schwarzer Adler“ in Reschen, weil ihr Heim im Dörfl bei St. Valentin umgebaut wird. Untätig sein kann sie nicht. „I tua iaz holt do a pissl ummerstirgn”, sagt sie.

von Magdalena Dietl Sapelza

Rosa ist das Arbeiten gewöhnt, seit sie ein kleines Mädchen war. Auf dem elterlichen Hof in Plawenn gab es immer etwas zu tun.

Der Vater war Kriegsinvalide und bei der Feld und Waldarbeit auf Mithilfe angewiesen. Während ihre älteren Geschwister Dienststellen antraten, blieb Rosa daheim. Sie hielt die Zügel der Ochsengespanne,  beim Mistausbringen und beim Holzholen. Den Hof teilte sich ihre elfköpfige Familie mit einer anderen Familie. „Miar hoobm lei a holbs Recht kopp“, erklärt sie. Es war eng, auch beim täglichen Rosenkranzbeten in der Stube. Rosa besuchte die Schule vor der Haustür. Die Lehrerin wohnte dort, der Pfarrer im Widum. Mit der Schulmesse in der kleinen Kirche begann der Unterricht. Der Italienisch-Lehrer kam für zwei Stunden wöchentlich von auswärts und ließ oft auf sich warten oder kam überhaupt nicht. „Sel isch inz lai gleich gweesn“, meint Rosa. Die kleine Plawenner Welt verließ sie meist nur wenn Marktzeit war, und das immer zu Fuß. Als 13-Jährige trieb sie einem Stier bis zum Prader Markt. „Unt hoam nemman hon i in Stier norr a obr kennt“, erinnert sie sich. Rosa besuchte die Hauswirtschaftsschule in Kortsch und einen Kochkurs im Martinsheim in Mals. Über das Fotoalbum, das ihr die Schwester Cyrina als Lohn überreichte, freute sie sich riesig. An Sonntagen trafen sich die jungen Leute aus Plawenn und Planeil auf einem der Höfe zum Tanz. Im Winter organisierten sie Rodelrennen. Mit dabei war auch Josef Theiner, ein Bauernsohn aus der Nachbarschaft. Dieser bestand darauf, dass Rosa auf seiner Rodel Platz nahm. Beide siegten. Rosa erinnert sich noch gut an den Preis: einen Kamm mit Spiegel. „I hon bunte Schmetterlinge in Bauch kopp“, schwärmt sie. Das verliebte Paar traf sich heimlich. Die Schmetterlinge verblassten als sie merkte, dass sie schwanger war. Was würden die Eltern zu dem sagen? Was die Leute? Ein „lediges Kind“ wurde damals als Schande angesehen. Das junge Glück war getrübt, denn an eine sofortige Heirat war nicht zu denken. Um das Gewissen zu erleichtern, beichtete das verdatterte Paar bei den Kapuzinern. „Es hot ins schwar druckt“, erinnert sie sich. Schließlich kam Rosa nicht umhin, ihre Familie einzuweihen. „Begeistert sein sie nit gweesn, obr es isch norr olz guat gwortn“, sagt sie. Die kleine Tochter versöhnte alle.  Jahre später heirateten Rosa und Josef im kleinen Kreis in der Wallfahrtskirche in Riffian. Die Hochzeitsreise führte sie nach Venedig. „Noch zwoa Tog sein miar hoam  heufiarn“, lacht sie. Das Paar richtete sich im Dörfl in einem kleinen Hof ein, den sie aufwändig selbst renoviert hatten. Auch Rosas Schwiegereltern zogen ein. Weitere vier Töchter und drei Söhne brachten Leben ins Haus. Es war eng und die Schwiegermutter wachte über alles. Die Familie lebte von der kleinen Landwirtschaft und vom Lohn, den Josef als Waldarbeiter und als Liftbediensteter auf der Haider Alm verdiente. Hie und da kam es vor, dass Rosa bei der Stallarbeit alleine war, während sich Josef mit Kollegen beim Apres Ski aufhielt. „Oft hon i mi schun gärgert unt hon gschumpfn“, erklärt sie. Er entschuldigte sich jedesmal reumütig, und alles war wieder gut.  „I konn nit Kopf mochn“, erklärt sie. Das Ehepaar ging gemeinsam durch dick und dünn. Eine schwere Zeit brach an, als Josef 1991 an einem Kopftumor erkrankte. Krankenhausaufenthalte reihten sich aneinander. Rosa betreute ihren Mann unterstützt von den Kindern. Josef schaffte es nicht. Er starb zwei Jahre später. Seit 23 Jahren ist Rosa nun schon Witwe. Kraft holt sie im Gebet und bei der Sonntagsmesse. „Wenn ma in Sunnta nit Kirchn geat, isches koa Sunnta“, betont sie. Gerne besucht sie Wallfahrtsorte. Kein Weg ist ihr zu weit, denn sie liebt das Autofahren. „I kannt fohrn bis Potsdamm“, scherzt sie. Und sie liebt das Schwimmen, das sie in der Seniorengruppe bei Rosa Prenner gelernt hat. Sobald ihre Wohnung renoviert ist, kehrt sie wieder ins Dörfl zurück. Bis dahin hilft sie im Hotel bei der Wäsche und kümmert sich um die Blumen.

{jcomments on}

 


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 4248 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 23-24

titel Vinschgerwind 22-24

titel vinschgerwind 21-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.