Ihr gutmütiges, offenherziges Auftreten lässt auf keinster Weise darauf schließen, welches schlimme Schicksal die heute 92-Jährige schon ertragen musste. „Vergessen konn man nit, obr es muas olm weitrgian“, so die gebürtige Laatscherin.
In dem Jahr, in dem die Faschisten in Italien die Macht ergriffen, erblickte ein kleines Mädchen namens Maria „Trina“ das Licht der Welt. Sie wurde am 20. August 1922 im idyllischen Dorf Laatsch geboren.
Die Auswirkungen des italienischen Regiments bekam das Mädchen früh auferlegt, als sie in die Schule ging. Die italienische Sprache und Kultur versuchte man den kleinen Kindern aufzuzwingen; sie zitierte dazu ein Kinderlied, das ihr noch immer so präsent ist, als ob sie noch gestern mit den anderen Kindern vom Dorf in der italienischen „scuola“ in den Schulbänken saß:
„Siamo i piccoli italiani,
Ferarri e maccheroni
ambarabà cicci coccò,
in Italia si può.“
„Obr im Herzn wor i olm a Tiroulrin“, bekannte sich Maria zu ihrer Heimatliebe. Ihren Eltern lag viel daran, dass sie auch die deutsche Sprache beherrschte, und so besuchte sie auch die geheime Katakombenschule in Meran im Marienheim. „Die Italienr hobn sel nit gearn gsechn; insre Leit hobm obr olm drei mol klopft, wenn sie sie gsechn hobn. Nor hobmr schnell s Strickwerkzuig ausrtoun, dasses ausschaug als hattmr a Hondorbatskurs“, gesteht sie. Erwischt wurden sie nie.
Als Jugendliche wohnte sie bei den Klosterfrauen in Schlanders und war ihnen eine helfende Hand. Als sie allerdings als „Klosterfrau“ ihren Dienst antreten sollte, packte sie rasch ihr mageres Hab und Gut zusammen und haute ab. „Im Kloster leben, und kuane Familie hobn, honni nit gwellt“, begründet Maria ihre Entscheidung, die sich als richtig herausstellte. Bei einem Theaterbesuch lernte sie wenig später einen jungen, attraktiven Briefträger aus Münster kennen. Sie hakten sich beim Nachhauseweg ein, und bei ihm, ihrem späteren Mann Prevost, blieb sie auch ihr Leben lang hängen, und gebar vier bezaubernde Kinder.
Der Weg in die Schweiz stellte sich allerdings keineswegs als einfach heraus. Die Italiener haben sie immer mit „niente passaporto“ an der Grenze abgewehrt; bis sie einen Beamten mit einem schönen Stück Speck „gschmiert“ hat. In der Schweiz wurde sie wieder mit einer neuen Sprache konfrontiert, die sie, um dort zu bleiben, erlernen musste: das Rätoromanische. Ihre Kinder korrigierten ihre Mutter immer wieder geduldig, bis sie die Sprache beherrschte.
Frau Prevost arbeitete lange Zeit als Mithilfe im Museum und im Kloster. „Bettn hon i ah nu gmocht“, erzählt sie. Sie erinnert sich noch an eine Begebenheit mit einem Bischof. Dieser fragte sie eines Tages, was das „K M B“ an der Tür bedeutete. Sie antwortete mit „Kaspar Melchior und Balthasar“. Dieser lachte jedoch und sagte: „Nein gnädige Frau: Käse, Milch und Butter“. Maria musste schmunzeln.
Leider traten in ihr Leben Tage ein, an denen sie das Lachen verlor, sie sich einsperrte und Tage nicht mehr raus wollte. Ihre Eltern, ihr Mann und ihr „Madele“ verstarben innerhalb von zwei Jahren. Ihre Tochter biss in eine Mandarine und infizierte sich an einer Kinderlähmung. Auch zwei Söhne starben bald darauf. „ S Schlimmste isch, wenn di Kinder vour uan sterben“, erwähnt sie betrübt. „ I konn die Nocht oft gor nit schlofn“. Doch Maria hadert nicht mit ihrem Schicksal, sie geht tapfer ihren Weg zu Ende, „bis mi do oubn uanr ohoult“.
Seit einem halben Jahr, nachdem sie schwer gestürzt war, ist sie nun im Seniorenheim Center de sandá in Münster. Es gefällt ihr hier sehr gut, aber sie wäre verständlicherweise lieber zu Hause, „in meine oagenen vier Wänd“. Noch einmal im Leben möchte sie nach Schlanders, zur Prozession an Maria Namen.
Maria erzählt mir zudem, dass sie dem jungen Koch im Heim noch lernen muss, wie man „Tirouler Kneidl“ macht. Deshalb verabschieden wir uns mit einem „Pfiati“ und einem „Sta bain“.
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