Dienstag, 09 August 2011 00:00

„Viel Feind, viel Ehr“

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Die Umweltschutzgruppe Vinschgau (USGV) feiert in diesem Jahr bereits ihr 30-jähriges Bestehen. Eigentlich gibt es sie schon etwas länger. Anlässlich dieses Jubiläums traf sich der „Vinschger Wind“ mit dem Gründervater der USGV Prof. Florin Florineth und einigen seiner heutigen Nachfolger.

von Bruno Telser

Es war im Jahr 1975, als Florin Florineth, damals frisch von der Universität Innsbruck kommend, die Notwendigkeit einer Umweltschutzgruppe für den Vinschgau erkannte. Damals, der junge Florineth war nach einjähriger Lehrtätigkeit als Biologielehrer am Wissenschaftlichen Gymnasium in Meran gerade in den ingenieursbiologischen Dienst der Wildbachverbauung berufen worden, traten Eyrser Jungbauern mit einer dringenden Meldung an ihn heran. Die Bezirksgemeinschaft plane eine Mülldeponie in der Eyrser Au.

s6_umwelt1Florineth organisierte aus dem Stand eine Gruppe bestehend aus Naturwissenschaftlern. Unter ihnen allen voran Ina Schenk, Wolfgang Platter, Christian Köllemann und Angelika Gurschler, welche sich bereits damals Umweltschutzgruppe Vinschgau nannten. Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass die geplante Deponie in einem Feuchtgebiet mit derartigem Grundwasserspiegel unmöglich realisierbar sei. Die unterzulegende Haut würde geradewegs davonschwimmen. Ein Schreiben an den damaligen Talschaftspräsidenten Erich Müller sowie Verhandlungen mit Lokalpolitikern wurden nicht ernst genommen. Daraufhin belud man frech gemeinsam einige  Traktoranhänger mit Müll, fuhr nach Schlanders und entlud diese vor der Haustür des Talschaftspräsidenten in der heutigen Fußgängerzone. Diese Aktion schlug große Wellen und der junge Biologe, der dafür seinen Kopf hinhielt, wurde auch in den Medien „hochgelobt“. Derartigen Protest im Sinne des Umweltschutzes war man in dieser Zeit, als man den Müll teilweise noch in der Etsch entsorgte, nicht gewohnt. Die Aktion zeigte Erfolg. Die geplante Deponie wurde auf trockenem und dafür besser geeignetem Grund nach Glurns verlegt. Zusätzlich erreichte man später, dass die Augebiete von Eyrs, Tschengls und Schluderns unter Schutz gestellt wurden.  Die in den Kinderschuhen stehende Gruppe feierte ihren ersten Erfolg.

Erste Erfolge
Bereits zwei Jahre später sah sich Florineth und seine Gruppe wieder unter Zugzwang. Die Politik diesseits und jenseits des Brenners plante eine Autobahntrasse durch den oberen Vinschgau, als Teil einer Autobahn zwischen Ulm und Mailand: vom Reschen her kommend unter Kloster Marienberg hindurch, über Prad in die Lombardei. „Bei uns läuteten alle Alarmglocken“, so Florineth. Die Gruppe suchte Verbündete und fand Unterstützung durch den Kreis „Neustift“, einer Eisacktaler Gruppe, bestehend aus Akademikern, die sich ebenfalls dem Umweltschutz zuwandten, und dem Alpenverein. Dies war die Geburtsstunde des Südtiroler s6_umwelt3Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz. Oberstes Ziel war es, die Bevölkerung zu informieren und wachzurütteln. Bürgerversammlungen noch nie dagewesener Größenordnung vor allem im Vinschgau aber auch in Nordtirol sowie in Bayern setzten die Politiker stark unter Druck. Auf einer Bürgerversammlung 1978 in Burgeis, laut Florineth die erste richtig große Bürgerversammlung in Südtirol, wurde der damalige LH-Stellvertreter Alfons Benedikter nach dem „ersten großen Referat“ Florineths von der Bevölkerung ausgepfiffen. Woraufhin Benedikter meinte: „Ja wenn’s ihr alle nicht wollts, dann werden wir etwas dagegen unternehmen müssen“. Florineth spricht vom Benedikter-Effekt, denn von nun an machte die Politik eine Kehrtwendung. Viele Vinschger Bürgermeister unterstützten die USGV und mit unzähligen Plakataktionen, Versammlungen und Protesten konnte das Mammutprojekt schließlich verhindert werden. Die junge Umweltschutzgruppe sah sich wiederum bestärkt in ihrem Tun im Sinne der Bevölkerung und erhielt immer  größeren Rückhalt.
Wenige Zeit später galt es das nächste Großprojekt abzuwenden. Vor allem auf Bestreben der Nordtiroler TIWAG (Energiegesellschaft), deren Aufsichtsratsvorsitz zufällig vom Nordtiroler LH Eduard Wallnöfer besetzt wurde, einem großen Verfechter des Projekts, sollte eine 380 KV (Kilovolt) - Leitung quer durch den Vinschgau übers Ultental in die Lombardei errichtet werden. Wiederum organisierte man Bürgerversammlungen, brachte Bauern, Fraktionen und Gemeinden auf, die allesamt entlang der Hochspannungsleitung vom Staatsbetrieb ENEL enteignet worden wären und ging sogar bis zum ENEL-Sitz nach Venedig, so Florineth. In Nordtirol war auf Bestreben Wallnöfers bereits ein Teilstück der Leitung errichtet worden. Dieser erboste sich nicht zu wenig über die Widerstände im Vinschgau und ließ Florineth eine Botschaft zukommen: „Was erfrechen sich die paar Vinschger, dies zu verhindern?“ Woraufhin Florineth forsch erwiderte: „Wir in Südtirol leben unter Magnago in einer Demokratie.“ Stark unter Druck geriet Florineth in dieser Zeit auch, weil der damalige Landesrat Sepp Mayr, seines Zeichens ein großer Befürworter des Projekts, politisch sein direkter Vorgesetzter durch die Tätigkeit Florineths bei der Wildbachverbauung war. Die Gegner des Projekts konnten sich abermals durchsetzen, beseelt vor allem durch den „verwegenen Optimismus“ der Umweltschutzgruppe.
Am 16. Juni 1981 wurde die Gruppe notariell beglaubigt und als gemeinnütziger Verein begründet. Gründungsmitglieder waren damals „Gründervater“ und Vorsitzender Florin Florineth, Wolfgang Platter, Johann Pichler, Christian Köllemann und Angelika Gurschler, allesamt Biologen und der Künstler Karl Grasser. Gründungsmitglied war auch der Lehrer  Alfred Strimmer, der jedoch am Tag der Unterzeichnung verhindert war.  Florineth behielt den Vorsitz bis 1994 inne, daraufhin wechselte er als Professor an die Universität für Bodenkultur nach Wien, wo er noch heute lehrt. Auf Florineth folgten als Vorsitzende Heinrich Zoderer, Sebastian Felderer, Peter Gasser und schließlich Helmuth Schönthaler, der s7_072zurzeit den Vorsitz innehat. Ein großes Anliegen der Umweltschutzgruppe Ende der 80-er Jahre war die nahende Stilllegung der Vinschger Bahn. Die Umweltschutzgruppe versuchte in dieser Zeit den Nutzen der Bahn hervorzuheben und auf eine Sanierung zu drängen. Doch auch Gespräche mit dem neuen LH Luis Durnwalder führten nicht zum Erfolg, die längst marode und unrentable Bahn wurde stillgelegt. Florineth erinnert sich an die schwierige Zeit: „Es wurde überlegt, eine Schnellstraße über die bestehende Bahnlinie zu teeren“. Der einzige BM, der sich damals querstellte, war der heutige Landtagsabgeordnete Arnold Schuler. Gemeinsam organisierte man in Naturns eine riesige Bürgerversammlung, auf die erstmalig  der Verkehrsexperte Hermann Knoflacher eingeladen wurde. Aus der Bahndebatte entstand eine allgemeine Mobilitätsdebatte für den gesamten Vinschgau. Mehrere Studien und Konzepte folgten. Der Bau einer Schnellstraße konnte abgewendet werden und ein von Professor Knoflacher vorgelegtes Verkehrskonzept wurde weitgehend adaptiert. Der ehemalige Vorsitzende Peter Gasser versteht das Verkehrskonzept Knoflachers als „einzigartige Konzipierung der Zielsetzung der Vinschger Bevölkerung“: Ortskerne umfahren, keine Schnellstraße, hausgemachten Verkehr eindämmen. So feierte die Umweltschutzgruppe in den vergangenen drei Jahrzehnten unzählige Erfolge.

Vielfältiges Engagement
In den 90-er Jahren waren diese vor allem die Verhinderung des Ausbaus einer vierspurigen ME-BO Erweiterung, wobei die Tunnelvariante nicht verhindert werden konnte; die 2-malige Abwendung einer geplanten skitouristischen Erschließung des Zerzertales durch die Watles AG oder etwa die Verhinderung der Errichtung eines Golfplatzes in der Prader Sand mittels Volksbefragung Anfang des vergangenen Jahrzehnts. Großes Aufsehen erregte 1996 eine großangelegte Aktion gemeinsam mit dem Transitforum Austria-Tirol und insgesamt 78 Nord- und Südtiroler Vereinen durch eine Kundgebung und totaler Verkehrsblockade am Reschenpass gegen den zunehmenden Transitverkehr, erinnert sich Helmuth Schönthaler. Aktuell sind die Energiedebatte um einen energieautarken Vinschgau sowie der Etschdialog auf Ideen der Gruppe zurückzuführen. Auch in Sachen direkte Demokratie zeigt sich die Gruppe sehr engagiert. Als großen Erfolg, der ihnen aber kaum angerechnet wurde, werten Rudi Maurer und Peter Gasser die Wiederbelebung der Vinschger Bahn. Auch wenn ihnen der Ruhm um die jahrelangen Kämpfe verwehrt blieb. Florin Florineth durfte bei der pompösen Eröffnung der Vinschger Bahn dabei sein, auf eine Einladung für die Umweltschutzgruppe wurde allerdings verzichtet. „Kaum ein Kampf wurde so belächelt wie der um die Vinschger Bahn. Wir s7_0944waren oft mutterseelenallein und wurden für blöd verkauft. Als Väter der Bahn rühmten sich später ganz andere. Dies ist bei unseren Aktivitäten leider öfters der Fall“, meinen Maurer und Gasser. Rudi Maurer bezieht sich dabei auch auf den kürzlich, eigentlich von der Umweltschutzgruppe sowie der Initiativgruppe Prader Sand vorangetriebenen Biotop-Managementplan  der Prader Sand, dessen Präsentation ohne Beisein beider Gruppen feierlich abgehalten wurde. Solche Vorgehensweisen schmerzen natürlich. Gasser meint dazu: „Wir sind keine Fundamentalisten, uns geht es um die Sache!“ Durch die stetigen Kämpfe habe man sich natürlich zahllose Feinde geschaffen und wird dadurch oftmals als Generalverhinderer bezeichnet, doch: „Wo viel Feind, viel Ehr.“
Der Vorsitzende Schönthaler sieht die Gruppe mittlerweile in der Gesellschaft etabliert, auch wenn man immer wieder aneckt. Es gebe immer wieder positive Meldungen und Rückhalt aus der Bevölkerung, vor allem weil die  Gruppe Unausgesprochenes offen ausspricht. Als Rückschlag wertet Schönthaler die nahezu uneingeschränkte Monokultur in der Talsohle ohne Nischenetablierung als auch die Wildwucherung neuer Obstanlagen (50 ha Neuerschließungen pro Jahr) und den hemmungslosen Einsatz von Pestiziden in Wildwestmanier. Aufklärungsarbeit und Aktionen in puncto Pestizideinsatz werden sicher in nächster Zeit einen Schwerpunkt der Gruppe bilden.

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