Schlanders erzählt... Märchenherbst

Maerchenherbst24

 
 
Freitag, 29 Juli 2011 00:00

„Alles wird nicht gehen“

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Er ist der, den man in Südtirol und im Vinschgau ruft, wenn es darum geht, einen Zugang zu komplexen Themen zu finden. Das sagte Herbert Raffeiner, Oberschuldirektor kürzlich über Gottfried Tappeiner. Tappeiner stammt aus Laas, lehrt an der Universität Innsbruck, leitet dort das Institut für Volkswirtschaft, zählt zu den führenden Wirtschaftsfachleuten in Tirol  und ist Präsident des PensPlan Centrums. Der „Wind“ hat mit ihm im Hinterhof des Schupferwirts ein Sommergespräch geführt. Tappeiner hat zu Vinschger Themen Stellung bezogen - mit einem frischen Blick von außen. Es wäre schlecht, wenn eine große Konfliktlinie zwischen Bauern und Nicht-Bauern auftreten würde, sagt Tappeiner unter anderem. Die Steuerthematik muss man deshalb durchdiskutieren, sonst sei das Ganze eine Gefahr für den sozialen Frieden. Es ist nicht etwas, das sich zwischen Bauern und Nicht-Bauern abspielt, sondern auch zwischen Kindern, jenen, die auf dem Hof bleiben und jenen, die gehen. Windräder auf der Malser Haide hätte er noch viele aufgestellt. Das ist nur eine Frage der Gewohnheit, sagt Tappeiner. Mit den Windrädern sei es wie mit den Migranten, die ersten 50 sind störend, natürlich da besonders, wo man daheim ist. Ganz einfach weil es die Emotionen berührt.

Das „Wind“-Gespräch führten Angelika Ploner und Magdalena Dietl-Sapelza.
Fotos: Magdalena Dietl-Sapelza

Vinschgerwind: Sie haben vor über zwanzig Jahren die Strukturschwäche des Vinschgaus in einer Studie festgehalten und damit die Grundlage für das EU-Förderprogramm Leader geschaffen. EU-Mittel in Millionenhöhe sind geflossen. Wie würde Ihre Studie heute aussehen?
Gottfried Tappeiner: Das kann ich nicht ganz genau sagen. Ich glaube, dass meine Diagnose damals ziemlich korrekt war. Was mich heute noch verblüfft: Es ist gelungen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung zu aktivieren. Ich würde heute aber weniger breit streuen und mehr Schwerpunkte setzen.
Punktuell ansetzen, also.
Ja, weil sich herausgestellt hat, dass wenn man nicht lange genug hinter einem Projekt bleibt, keine dauerhafte Wirkung erzielt wird.
 

Zum Beispiel.
Beispielsweise die Weiterbildungsmaßnahmen, die im Prinzip ganz richtig sind, sich aber irgendwo verlaufen haben. Sie waren gut aufgesetzt, aber sind nach wie vor nicht in ein strukturiertes berufliches Weiterbildungsprogramm übergeführt.

Als Weiterbildungsmaßnahme von Leader übriggeblieben ist die GWR, die Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung.
Die funktioniert gut, Informationen im Detail habe ich aber nicht. Was uns überhaupt nicht gelungen ist, trotz optimaler Voraussetzungen, ist die Produktentwicklung für überregionale Märkte. Und da schmerzt mich als Laaser am allermeisten der Marmor. Der Marmor ist ein spannendes Produkt. Mit der Initiative Lechner gibt es jetzt aber wieder Hoffnung.

Lechner ist das gelungen, was der Tiroler Marmorwerk GmbH um Siegfried und Peter Paul Pohl, Siegfried Unterberger und Josef dalle Nogare und Ihnen als deren Berater vor wenigen Jahren verwehrt blieb, nämlich den Stollen der Lasa Marmo zu öffnen.
Wem es schlussendlich gelungen ist, ist verhältnismäßig Nebensache. Was man damals gesehen hat, ist, dass die Entwicklung des Marmors über dreißig Jahre vollständig stagniert hat. Seit 1960 ist nichts mehr passiert. In diesem Zusammenhang hab ich ein Konzept gemacht, hinter dem ich nach wie vor stehe und das sich nicht wesentlich von dem unterscheidet, was im Moment verfolgt wird. Die strategische Ausrichtung von Lechner ist richtig und das Potential ist da. Die Erfahrung, die ein Konzern wie Victorinox, die Schweizer Messer mitbringt, könnte dem Produkt Laaser Marmor in Zukunft sehr helfen.

Gehören die Brüche alle in eine Hand?
Wir haben im Moment zwei Tagebrüche, nämlich Göflan und Jenn und wir haben einen Untertagabbau, den Weißwasserbruch. Dies gibt die Möglichkeit, Arbeitskräfte gleichmäßiger über den Jahresverlauf auszulasten, als wenn ich nur einen Bruch betreibe. Das ist der Punkt; alle anderen Vorteile, wie zum Beispiel den Abtransport, kann man auch durch Kooperation lösen.

Kooperation ist nicht die Stärke der Vinschger. Viel Geld ist etwa in die Zusammenarbeit Tourismus-Landwirtschaft und die Regionalität gesteckt worden. In kaum einem Hotel oder Restaurant kommen – abgesehen von saisonalen Berührungen – die Produkte der Bauern auf den Tisch.
Das funktioniert systematisch praktisch nirgends. Wir haben eine kleinbäuerliche Produktion, die in eine quasi industrielle Fertigung mit einer gleichmäßigen Versorgung übergehen müsste. Das funktioniert nur, wenn es dazwischen eine Handelsstruktur gibt. Die Bauern sind dazu meist nicht in der Lage. Es gibt im Vinschgau ein paar Ansätze mit dem Bauernladen am Eingang des Schnalstals und jenem in Mals. Wir sind aber in der Produktentwicklung weiter als im Vertrieb. In der Produktentwicklung gibt es viele Delikatessen, aber bereits in Bozen hat man große Mühe zum Beispiel die Vinschger Marillenschokolade zu bekommen. Das verhindert, dass sich eine Fangemeinde bildet. Einen guten Schritt hat man in Martell gemacht, denn eine Genossenschaft kann natürlich auch diese Handelsfunktion übernehmen. Man war auf dem Sprung, dasselbe bei der OVEG zu machen, dort ist dann einfach das Obst zu attraktiv geworden.

Apropos Genossenschaften, braucht’s eine Flurbereinigung?
Ganz sicher. Wenn ich mir den Einkäufermarkt anschaue, hab ich im Prinzip für ganz Deutschland ungefähr fünf bis sechs Einkaufschefs, die 70 Prozent des ganzen deutschen Volumens einkaufen. Es kann nicht Sinn machen, dass der zuerst bei der Alpe anruft und dann bei der GEOS, wie der Preis ist.

Deshalb hat man das Vi.P-drei Konzept gemacht.
Das mit dem Vi.P-Konzept ist ein erster Punkt, der aber nicht ausreicht. Vi.P, VOG und Melinda gehören alle in ein Boot. Das muss nicht die Verarbeitung sein. Ich brauch natürlich den Kontakt zu den Bauern, denn sonst funktioniert die Produktion nicht. Den Kontakt zu den Bauern zentral organisieren zu wollen, wäre Wahnsinn. Aber auf der andern Seite können nicht sechs oder sieben Leute mit den Einkäufern verhandeln, sondern nur eine Person.

Die Obstmengen werden sich vergrößern. Die Anbaugrenze im Vinschgau verschiebt sich nach oben.
Ist das schlimm?

Untervinschger Bauern kaufen denen im Obervinschgau die Gründe zusammen.
Das ist natürlich eine andere Frage. Entscheidend ist hier, warum bauen die Bauern im Obervinschgau nicht selber Äpfel an.

Weil das Geld fehlt.
Wenn sichs rentiert, kann das kein Argument sein. Wenn es für jemanden in Latsch rentabel ist, da oben Äpfel anzubauen, muss es für jemanden da oben einmal mehr rentabel sein. Es muss sogar fünf Prozent rentabler sein, weil er weniger Ärger in der Betreuung hat und weniger Fahrtspesen. Also ist die entscheidende Frage: Warum krieg ich’s nicht hin? Was wahr ist und was dahinter liegen könnte, ist, dass zum Teil Quadratmeterpreise gezahlt werden, die nicht mehr wirtschaftlich sind. Wo, wenn der Investor wirklich rechnen würde, er auch gar nicht mehr investieren dürfte. In Laas habe ich die Entwicklung genau verfolgt: Anfang der 60er Jahre reine Grünlandwirtschaft, dann ist der Gemüseanbau gekommen, insbesondere Gelwurzn, Karfiol, Kobis und die Ronen. Ausgelacht hat man den ersten Pionierbauer und Gelwurzen-Ander geheißen. Richtige Kulturkonflikte wurden ausgetragen. Alle haben sich gefreut, wenn einmal ein schlechtes Jahr für ihn war. Dann hat sich das konsolidiert und die Äpfel sind gekommen. Es ist immer wieder dasselbe. Jede Strukturänderung löst Konflikte und Polemiken aus. Was ich wirklich nicht gut fände, wäre, wenn die Entwicklung zur Konzentration des Eigentums führen  würde.

Zusammengefasst macht der obere Vinschgau derzeit also eine ganz normale Entwicklung durch.
Ja, mit ein paar Gewinnern und Verlierern.

Bleiben wir bei den Gewinnern und Verlierern. Die Landwirtschaft genießt Steuerbegünstigungen. Gehören Berg und Tal getrennt?
Nein, meines Erachtens nicht. Berg und Tal gehören gleich behandelt. Das heißt, ich könnte einen Bauer gleich behandeln wie einen anderen wirtschaftlichen Betrieb. Mir kann auch niemand mehr klar machen, dass ein Bauer nicht in der Lage ist, eine Buchhaltung zu führen. Die Bauern bekommen 80 Prozent ihrer Einnahmen von den Genossenschaften, der eine von der Milkon und der andere zum Beispiel von der Alpe. Also wäre die Abrechnung, zumindest was die Umsätze angeht, eine einfache. Was die Kostenseite angeht, will man die nicht genau verbuchen, könnte man eine Pauschalierung machen. Die Laimburg könnte das zum Beispiel tun. Bei einem Umsatz von 50.000 Euro, hat ein Obstbetrieb dann, um etwas zu sagen, 20.000  Euro Spesen und der Rest ist zu versteuern. Und das kann man auch  beim letzten Bergbauer machen. Nur beim Bergbauer bleibt eh nichts übrig, was ich versteuern könnte. Und dann sagt man, wenn ich den Bergbauer oben haben will, zahl ich Subventionen. Ich brauch nicht Berg und Tal trennen, denn dann ginge der Streit los, wo hört das Tal auf und wo fängt der Berg an. Derzeit ist jedenfalls nicht klar zu machen, warum ein Obstbauer sein Einkommen nicht besteuern muss.

Eine sukzessiv steigende Zahl an Zuwanderern, das sind Ihre Worte, ist schwer zu handhaben. In den Kasernen von Schlanders werden mindestens 50 Flüchtlinge in absehbarer Zeit beheimatet werden. Problematisch?
50 Flüchtlinge können für eine Gemeinde wie Schlanders kein Thema sein. Wieviel hat Schlanders jetzt Einwohner?

Knapp 6.000.
Gut, also reden wir von nicht einmal einem Prozent.

s8_1572Der dazu kommt.
Das darf überhaupt kein Thema sein. Was man tun muss und was sicher nicht leicht ist, sie einbinden. Wenn sie keine Einbindung über den Arbeitsmarkt haben dürfen, weil wir da manchmal etwas merkwürdige Rechtslagen haben, dann muss das über Vereine, Schulen, Kindergarten passieren. Das deshalb, damit es keine Ausgrenzung gibt. Alle Migrantengruppen quer durch Europa sind dann ein Problem, wenn sie eine geschlossene und vom Rest abgegrenzte Gemeinschaft bilden. Wenn das passiert ist, gibt’s kaum noch ein Rezept.

Der Mensabetrieb im Schloss Goldrain muss eine öffentliche Lizenz erhalten und ausgelagert werden – haben Sie bereits Ende der 90er Jahre gefordert. Die erteilte Lizenz wurde angefochten. Der Streit behängt noch immer in Rom.
Das ist alles extrem ungeschickt gemacht worden. Meines Erachtens gehört die öffentliche Lizenz tatsächlich dahin. Und meines Erachtens ist der Restaurantbetrieb öffentlich auszuschreiben, dass sich die Gastwirte daran auch beteiligen können und dann wird das der- oder diejenige bekommen, der das am ökonomischsten betreiben kann. Was nicht geht ist, wir machen da einen mit öffentlichem Geld subventionierten Konkurrenzbetrieb zu Restaurants auf und führen ihn selbst. Das geht nicht. Da ist die Aufregung zu Recht.

Gespräche zwischen dem GWR und Schloss Goldrain für eine mögliche Zusammenarbeit sind aufgenommen worden und mittlerweile wieder eingeschlafen.
Die Verankerung von Schloss Goldrain im Vinschgau ist zu klein. Schloss Goldrain hat einen hohen Anteil an Gastveranstaltungen. Das halte ich für nicht glücklich. Die Geschäftsführung braucht ein halbwegs passables Geschäftsergebnis und ist unter Druck. Wenn, dann muss man sagen, Schloss Goldrain ist eine Bildungseinrichtung, die wir im Wesentlichen für den Vinschgau betreiben und ich muss mich fragen, wie komme ich zu den Produkten? Man denkt zu sehr darüber nach, was man Intelligentes anbieten könnte und ist  zu wenig offen, zu sagen: Wer könnte denn ein Weiterbildungsbedürfnis auch als Organisator haben. Zum Beispiel geh ich zur Bäuerinnenorganisation, und sage: Wenn ihr eine Idee habt, was ihr machen wollts, dann sagt es uns, wir können es organisatorisch und durch unsere Einrichtung unterstützen.

Schloss Goldrain müsste also sämtliche Vinschger Vereine ins Boot holen?
Ja, die Vereine haben und bringen die Leute auf Schloss Goldrain und Schloss Goldrain schaut, dass das Angebot in einem professionellen Rahmen abläuft. Wenn die Mitarbeiter einer Struktur das Angebot erstellen, ist das so, als ob der Köder dem Fischer schmeckt, tatsächlich muss er aber dem Fisch schmecken.

Von Goldrain nach Tarsch. Der spanische Skiliftbetreiber Jaime Lorenzo Blanco will das Tarscher Skigebiet loswerden. Wie würde eine Studie von Gottfried Tappeiner zum Tarscher Skigebiet aussehen?
Eine Studie würde sich nicht rentieren. Die Tarscher Alm hat die Größenordnung einer Naherholungseinrichtung. Das heißt, sie hat einen Stellenwert, der mit einem Hallenbad vergleichbar ist.

Das werden die Latscher und Tarscher nicht gern hören.
Das ist aber so. Die kleinen Skigebiete sind strukturell alle defizitär. Das Erste, was ich schauen muss, ist, was brauch ich an Struktur, dass ich die Naherholungsfunktion hab, alles andere gehört weg, abgebaut, rationalisiert. Wenn ich die Naherholungsfunktion hab, dann muss ich schauen, wie ich sie realisiere. Die kleinen Skigebiete brauchen alle eine Zusatzfinanzierung. In Österreich gibt es viele Modelle, wo große gut gehende Skigebiete die kleinen subventionieren. Der Grund: Die Kinder müssen Skifahren lernen, denn sonst hab ich morgen die Kunden nicht mehr. Wir haben jetzt im Vinschgau nicht viele gut gehende Skigebiete, aber man könnte im Land wirklich andenken, ob man nicht eine Gesellschaft für kleine Skigebiete betreiben möchte, mit der Idee, genügend lokalen Nachwuchs zu haben. 

Also das Problem Tarscher Skigebiet kann nicht hausintern gelöst werden.
Wenn die Gemeinde sagt, wir haben lieber ein defizitäres Skigebiet, als ein defizitäres Hallenbad, dann ginge das auch. Nur wird man sich nicht ein defizitäres Hallenbad, eine defizitäre Eishalle und ein defizitäres Skigebiet leisten können. Alles wird nicht gehen. Eine, maximal zwei Sachen schafft eine reiche Gemeinde wie Latsch sicher.

Der Ball liegt momentan bei den Tourismustreibenden der Gemeinde Latsch.
Das funktioniert mit Sicherheit nicht, denn die müssten ja einen Mehrwert zurückbekommen.  Den kann ich nicht sehen. Da muss man ernsthaft daran denken, das Skigebiet zu schließen.


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