Schlanders erzählt... Märchenherbst

Maerchenherbst24

 
 
Montag, 14 März 2016 09:26

„Miar Dobleiber hoobm nichts Guats kopp“

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

s17 0127Auswandern oder Dableiben. 1939 standen die Südtiroler vor dieser Entscheidung. Über 90 Prozent der Bevölkerung optierte für das Deutsche Reich. Die Propaganda der Nazis hatte ihre Wirkung getan. Viele Dableiber wurden als „walsche Verräter“ beschimpft und verfolgt. Nach dem Krieg ging man zur Tagesordnung über und  versuchte das Geschehene wortlos zu verdrängen. Frau Adolfine Lechthaler Pernthaler hat die Zeit nicht vergessen.

Von Magdalena Dietl Sapelza

Adolfine war ein Dableiber-Kind. Wer seinem Kind den Namen des Führers gegeben hat, der kann doch nicht da bleiben.

So munkelte man, als der Familievater entschieden hatte, nicht auszuwandern. Was viele nicht wussten, der Name hat mit einer Gräfin Adolfine zu tun, die sich als Patentante angeboten hatte. Obwohl Adolfine bei der Option noch klein war, bekam sie die Gängelungen mit, unter denen ihre Familie zu leiden hatte. Die Mutter weinte viel. „Miar Dobleiber hoobm nichts Guats kopp“, betont sie. Der Vater war „Rück-Optant“. Er hatte seinen bereits abgegebenen Antrag wieder zurückgezogen. Seinen Hof und seine Heimat wollte er nicht aufgeben. Seine Familie bekam das dann zu spüren. Eine der zwei Kühe wurde ohne Erklärung sofort abgeholt. Und der Hof stand im Visier des Gauleiters. Er sollte enteignet werden. Ein Lokalaugenschein  erfolgte. Schließlich wurde das Gebäude als ungeeignet für ein Soldaten-Quartier befunden. Die Familienmitglieder atmeten auf. Kurz darauf kam ihre Mutter weinend vom Einkauf zurück. Sie war angespuckt worden. Alle im Haus weinten mit. Es blieb nicht bei dem einen Mal. Die Mutter wagte sich kaum noch ins Dorf. Nur die wenigen anderen Dableiber waren Verbündete und der Pater Guardian der Kapuziner.
Eines Tages waren die acht Familien namentlich auf der Gemeindetafel aufgelistet. Darunter stand: „Di Schlonderser Walschn Fockn“. Eine Demütigung, die kurz darauf in eine nächste grausige Aktion mündete. Adolfine stand mit Lebensmittelkarten vor dem Metzger. Dieser nahm ihre Ringtasche, verschwand kurz und brachte sie gefüllt zurück. Erfreut über das vermeintlich große Stück Fleisch lief sie heim. Als die Mutter den Inhalt heraushob, brach sie in Tränen aus. Adolfine glaubte, es sei vor Freude. Doch dann starrten sie die leeren Augen eines Schweinekopfes an. Und sie weinte mit. Die Schikanen gingen weiter. Als die Deutschen 1942 einmarschierten verschlimmert sich die Lage. Steine flogen in die Scheiben. Der Vater befahl den Kindern, sich bei verdächtigen Geräuschen sofort unter dem Tisch zu verstecken. „Dr Pater Guardian hot inz getöstet“, sagt sie. Eines Tages erzählte dieser von einem gefangenen Geistlichen in der Schlandersburg, der dort zu verhungern drohte. Die Mutter gab „Knödel“ in eine Schüssel und begab sich mit Adolfine in den Kerker. „Sogg jo niamat eppas, suscht kemmts noch Dachau“, so die Worte des Wärters.  Schweigend nahm der Häftling das Essen in Empfang und dankte durch  Kopfschütteln. Ein nächstes Mal wagte sich die Mutter nicht mehr hin. Was aus dem Gefangenenen geworden ist, wurde nie bekannt. Dass mit Dachau ein Konzentrationslager gemeint war, erfuhr Adolfine erst später. Die Angst vor einer Deportierung war in den Reihen der Dableiber allgegenwärtig. Fanatische Nazis im Dorf  drohten ihnen regelmäßig damit. Selbst vor den Kindern machten diese nicht Halt. Als Adolfine eine Klosterfrau des Jesuheimes bei der Sammlung begleitete, sagte ein Mann zu ihr: „Do kearat a Hitler hee, a Dachau unt a Gaskammer.“ Bedrückend empfand sie die Erschießung eines jungen Desserteurs. Diesen verscharrte man in der nicht geweihten Erde des Friedhofes. Adolfine brachte Grabschmuck hin, den ihre Mutter regelmäßig anfertigte. Die Blumen kultivierte sie im Garten. Adolfine beschriftete die Schleifen. Mit dieser Dienstleistung verdiente sich die Familie ein Zubrot.
Nach dem Krieg ging das Leben stillschweigend weiter, so als ob nichts gewesen wäre. Das Unrecht, das den Dableibern angetan worden war, kehrte man unter den Teppich. Geredet wurde vom Leid der Optanten, die man im Reich nicht mit offenen Armen aufgenommen hatte und die es als Rückkehrer in Südtirol schwer hatten neu anzufangen. Die „Stille Hilfe“ spendete Kühe. „Di Nazi hoobm sich die Kiah olle selbr gholt, miar hoobm insre nit zruck kriag“, sagt Adolfine.
Bei der Suche nach einer Lehrstelle hatte sie Glück. Ein Geschäftsmann, der Dableiber war, gab ihr den Vorzug. Jahrelang arbeitete sie als Verkäuferin, dann heiratete sie und baute den elterlichen Hof zu einer Pension um. Als tüchtige Gastgeberin umsorgte sie ihre Gäste und ihre drei Kinder. Die Verletzungen in der Optionszeit haben ihre Spuren hinterlassen. Sie hat verziehen aber nicht vergessen.

 

{jcomments on}


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2325 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 22 24

titel Vinschgerwind 21-24

titel vinschgerwind 20-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.