So munkelte man, als der Familievater entschieden hatte, nicht auszuwandern. Was viele nicht wussten, der Name hat mit einer Gräfin Adolfine zu tun, die sich als Patentante angeboten hatte. Obwohl Adolfine bei der Option noch klein war, bekam sie die Gängelungen mit, unter denen ihre Familie zu leiden hatte. Die Mutter weinte viel. „Miar Dobleiber hoobm nichts Guats kopp“, betont sie. Der Vater war „Rück-Optant“. Er hatte seinen bereits abgegebenen Antrag wieder zurückgezogen. Seinen Hof und seine Heimat wollte er nicht aufgeben. Seine Familie bekam das dann zu spüren. Eine der zwei Kühe wurde ohne Erklärung sofort abgeholt. Und der Hof stand im Visier des Gauleiters. Er sollte enteignet werden. Ein Lokalaugenschein erfolgte. Schließlich wurde das Gebäude als ungeeignet für ein Soldaten-Quartier befunden. Die Familienmitglieder atmeten auf. Kurz darauf kam ihre Mutter weinend vom Einkauf zurück. Sie war angespuckt worden. Alle im Haus weinten mit. Es blieb nicht bei dem einen Mal. Die Mutter wagte sich kaum noch ins Dorf. Nur die wenigen anderen Dableiber waren Verbündete und der Pater Guardian der Kapuziner.
Eines Tages waren die acht Familien namentlich auf der Gemeindetafel aufgelistet. Darunter stand: „Di Schlonderser Walschn Fockn“. Eine Demütigung, die kurz darauf in eine nächste grausige Aktion mündete. Adolfine stand mit Lebensmittelkarten vor dem Metzger. Dieser nahm ihre Ringtasche, verschwand kurz und brachte sie gefüllt zurück. Erfreut über das vermeintlich große Stück Fleisch lief sie heim. Als die Mutter den Inhalt heraushob, brach sie in Tränen aus. Adolfine glaubte, es sei vor Freude. Doch dann starrten sie die leeren Augen eines Schweinekopfes an. Und sie weinte mit. Die Schikanen gingen weiter. Als die Deutschen 1942 einmarschierten verschlimmert sich die Lage. Steine flogen in die Scheiben. Der Vater befahl den Kindern, sich bei verdächtigen Geräuschen sofort unter dem Tisch zu verstecken. „Dr Pater Guardian hot inz getöstet“, sagt sie. Eines Tages erzählte dieser von einem gefangenen Geistlichen in der Schlandersburg, der dort zu verhungern drohte. Die Mutter gab „Knödel“ in eine Schüssel und begab sich mit Adolfine in den Kerker. „Sogg jo niamat eppas, suscht kemmts noch Dachau“, so die Worte des Wärters. Schweigend nahm der Häftling das Essen in Empfang und dankte durch Kopfschütteln. Ein nächstes Mal wagte sich die Mutter nicht mehr hin. Was aus dem Gefangenenen geworden ist, wurde nie bekannt. Dass mit Dachau ein Konzentrationslager gemeint war, erfuhr Adolfine erst später. Die Angst vor einer Deportierung war in den Reihen der Dableiber allgegenwärtig. Fanatische Nazis im Dorf drohten ihnen regelmäßig damit. Selbst vor den Kindern machten diese nicht Halt. Als Adolfine eine Klosterfrau des Jesuheimes bei der Sammlung begleitete, sagte ein Mann zu ihr: „Do kearat a Hitler hee, a Dachau unt a Gaskammer.“ Bedrückend empfand sie die Erschießung eines jungen Desserteurs. Diesen verscharrte man in der nicht geweihten Erde des Friedhofes. Adolfine brachte Grabschmuck hin, den ihre Mutter regelmäßig anfertigte. Die Blumen kultivierte sie im Garten. Adolfine beschriftete die Schleifen. Mit dieser Dienstleistung verdiente sich die Familie ein Zubrot.
Nach dem Krieg ging das Leben stillschweigend weiter, so als ob nichts gewesen wäre. Das Unrecht, das den Dableibern angetan worden war, kehrte man unter den Teppich. Geredet wurde vom Leid der Optanten, die man im Reich nicht mit offenen Armen aufgenommen hatte und die es als Rückkehrer in Südtirol schwer hatten neu anzufangen. Die „Stille Hilfe“ spendete Kühe. „Di Nazi hoobm sich die Kiah olle selbr gholt, miar hoobm insre nit zruck kriag“, sagt Adolfine.
Bei der Suche nach einer Lehrstelle hatte sie Glück. Ein Geschäftsmann, der Dableiber war, gab ihr den Vorzug. Jahrelang arbeitete sie als Verkäuferin, dann heiratete sie und baute den elterlichen Hof zu einer Pension um. Als tüchtige Gastgeberin umsorgte sie ihre Gäste und ihre drei Kinder. Die Verletzungen in der Optionszeit haben ihre Spuren hinterlassen. Sie hat verziehen aber nicht vergessen.
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